Klin Padiatr 2003; 215(6): 291-292
DOI: 10.1055/s-2003-45490
Nachruf
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Nachruf: Joachim H. Kühl * 27. 6. 1948 - † 12. 8. 2003

In Memoriam: Joachim H. Kühl * 27. 6. 1948 - † 12. 8. 2003H.  Jürgens, U.  Göbel
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Publication Date:
15 December 2003 (online)

Prof. Dr. med. Joachim H. Kühl ist am 12. August 2003 verstorben. Am 19. August nahmen seine Frau Christine und seine Kinder Annegret, Julius und Regine, die Angehörigen und Freunde, viele Kollegen und ehemalige Patienten von ihm in einer Trauerfeier Abschied.

Joachim H. Kühl hat ein erfülltes Leben geführt. Er errang viele Erfolge als Arzt und Forscher und hinterlässt seinen Fachkollegen die große Aufgabe, sein Werk fortzusetzen.

Joachim Kühl wurde in Karlsruhe geboren, ging in Bretten zur Schule und studierte in Würzburg, wo er auch 1974 seine Dissertationsschrift „Untersuchungen über die spezifischen Aktivitäten der Lactatdehydrogenase, Glucose-6-Phosphat-dehydrogenase und Isocitrat-dehydrogenase” vorlegte, die mit „magna cum laude” bewertet wurde. Mit erlangter Approbation diente er an der Sanitätsschule der Luftwaffe und trat 1976 als Wissenschaftlicher Assistent in die Universitäts-Kinderklinik Würzburg ein. Schon 1979 wurde er dort mit dem Bereich „Pädiatrische Onkologie/Hämatologie” verantwortlich betraut. Wieder ein Jahr später gründete er einen interdisziplinären Arbeitskreis, in dem regelmäßig die Patienten vorgestellt wurden und ein Behandlungskonzept unter Einbindung des am Hochschulort vorhandenen Fachwissens erstellt wurde. Am 12. 2. 1981 erhielt Dr. Joachim H. Kühl den Joseph-Schneider-Preis der Medizinischen Fakultät der Universität Würzburg.

Im gleichen Jahr beantragte er die Mitgliedschaft in der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Onkologie und der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für Leukämieforschung und -behandlung, die ihn im Folgejahr in die Studienkommission zur Behandlung der Langerhanszell-Histiozytose wählte. Ein Jahr später wurde er auch Mitglied der BFM-ALL-Studienkommission zur Behandlung der akuten lymphatischen Leukämie.

Parallel hierzu verlief sein Weg in der Kinderklinik mit der Facharztanerkennung (1981), der Wahl in den Beirat des Tumorzentrums der Universität Würzburg (1985) und der Ernennung zum Akademischen Rat (1984). Nach Vorlage der Habilitationsschrift „Postoperative Chemotherapie vor der Bestrahlung von Kindern und jungen Erwachsenen mit malignen Hirntumoren: Verträglichkeit, Wirksamkeit und prognostische Faktoren” erhielt er die Venia legendi für das Fach Kinderheilkunde und die Ernennung zum Oberarzt (1992) und zum Akademischen Direktor (1998).

Sein Lebenswerk widmete er der Behandlung von Kindern mit bösartigen Hirntumoren - und erfuhr dafür national innerhalb der Gesellschaft für Pädiatrische Onkologie wie auch weltweit innerhalb der International Society of Pediatric Oncology (SIOP) große Anerkennung.

Vor allem der Anfangsweg war jedoch nicht klar zu erkennen und steinig. Als der Vorstand der GPOH Dr. Joachim H. Kühl 1986 zum Leiter der Arbeitsgruppe für Hirntumoren im Kindesalter ernannte, existierte lediglich das SIOP-Protokoll MED 84 für Medulloblastome, an dem nur ein Teil der deutschen Kliniken teilnahm. Die Hirntumoren bei Kindern waren in Deutschland eine Domäne der Neuropädiater, Neurochirurgen und Strahlentherapeuten; die Wirksamkeit einer systemischen Chemotherapie wurde allgemein bezweifelt und deshalb als ethisch fragwürdig angesehen. Die Behandlungserfolge zu dieser Zeit waren wenig ermutigend und schienen den Kritikern Recht zu geben. In dieser schwierigen Situation ließ sich Joachim H. Kühl nicht entmutigen und stellte in akribischer Kleinarbeit die weltweit verfügbaren Behandlungsergebnisse von bösartigen Hirntumoren auf der Grundlage der WHO-Klassifikation zusammen. Diese Metaanalyse diskutierte er mit den Mitgliedern der Studienkommission in entspannter Arbeitsatmosphäre auf dem Haus einer farbentragenden Studentenverbindung, der er als Alter Herr angehörte, wie auch im Hörsaal der Frankfurter Universität mit allen Mitgliedern der GPOH. 1978 stellte er dann die multizentrische Therapiestudie HIT SKK 87 zur Behandlung maligner Hirntumoren von Kindern unter 3 Jahren und 1988 die Therapieoptimierungsstudie HIT 87/89 zur Behandlung maligner Hirntumoren bei Kindern über 3 Jahren vor. Im Protokoll HIT SKK 87 verzichtete er vollständig auf eine postoperative Bestrahlungstherapie, um das noch nicht ausgereifte Gehirn der kleinen Patienten vor den Bestrahlungsfolgen zu schützen, und setzte statt dessen eine Polychemotherapie mit den Medikamenten ein, für die nach Auswertung aller verfügbaren Literaturdaten eine Wirksamkeit anzunehmen war. Die Unvoreingenommenheit und die Beharrlichkeit, mit denen er dieses Konzept erarbeitete und gegen alle Angriffe verteidigte, sprechen für seinen persönlichen Mut und seine Standfestigkeit. Inwieweit dies ausschließlich genetisch fixierte Tugenden oder während seiner Studenten- und Assistentenzeit erworbene Eigenschaften waren, werden seine Familie und Freunde am besten beurteilen können. Mut und Standfestigkeit gehörten zum Wesen von Joachim H. Kühl ebenso wie seine Gelassenheit in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung, sein Humor und seine Freude am geselligen Beisammensein - nach erfolgreich getaner Arbeit -, wie auch seine Genauigkeit, seine Pflichttreue und sein Gerechtigkeitsempfinden.

Mit dem Protokoll HIT SKK 87 wurde für die lebensbedrohlich erkrankten Kinder ein ungeahnter Therapieerfolg erzielt, der international rasch Anerkennung fand. Hiervon profitierten auch die nachfolgenden Studien zur Behandlung älterer Kinder, denen sich eine wachsende Zahl kooperierender Kliniken anschlossen.

Aus den Anfängen der HIT-Studien entwickelte sich ein interdisziplinäres Netzwerk mit den Stützpfeilern Pädiatrische Onkologie, Radiologische Diagnostik und Pädiatrische Neurochirurgie in Würzburg. Grundlegende Qualitätskontrollen einzuführen, die Bestrahlungsplanung zu optimieren und die Langzeittoxizität für die Kinder zu reduzieren, war stets ein Anliegen von Joachim H. Kühl. Über mehr als 15 Jahre hat er die Entwicklung der Neuroonkologie in Deutschland herausgefordert und mit geprägt. Er wirkte durch seinen Charakter, seine Fähigkeiten im Dialog und durch die klare Präsentation seiner Überzeugungen, wobei immer die Bereitschaft zur Formulierung neuer Fragen, aber auch zur Akzeptanz unerwarteter Antworten bestand. Seine Bereitschaft zur Delegation von Aufgaben und Verantwortung erwies sich als weitere wesentliche Voraussetzung für die erfolgreiche Arbeit des HIT-Kompetenznetzwerkes. Alle, die in dieser interdisziplinären Zusammenarbeit als Leistungserbringer oder Leistungsempfänger eingebunden sind, ebenso wie die Fachkollegen im In- und Ausland werden das Andenken von Joachim H. Kühl bewahren.

Äußerliche Zeichen der Anerkennung waren die Ernennung zum Apl. Professor im Mai 2002 durch die Medizinische Fakultät der Universität Würzburg und kurz vor seinem Tod die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland.

H. Jürgens, U. Göbel

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