Psychother Psychosom Med Psychol 2003; 53(12): 473-474
DOI: 10.1055/s-2003-45370
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Deep Impact - Konsequenzen für Nachwuchs und LOM

Deep Impact - Concequences for Young Scientists and Money DistributionElmar  Brähler, Oliver  Decker
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Publication Date:
08 December 2003 (online)

Verlag und Herausgeber dieser Zeitschrift haben sich im Juli über die Verlautbarung des zum Thompson-Konzern gehörenden privaten Institutes ISI sehr gefreut. Nicht ohne Grund, der vom ISI ermittelte Impactfaktor der PPmP ist im Jahr 2002 beträchtlich gegenüber dem Wert von 2001 angestiegen und zwar von 0,6 auf 1,38 (2000: 0,35). Dieses Qualitätsmaß vor Augen, fragen wir uns: Ist die Qualität der Zeitschrift im Jahresabstand um 100 % besser geworden? Und wie haben Redaktion und Herausgebergremium dies hinbekommen? Zunächst können wir nur festhalten, dass die Artikel der PPmP aus den Jahren 2000 und 2001 im Jahr 2002 im Durchschnitt 1,4-mal zitiert wurden, die Artikel aus den Jahren 1999 und 2000 im Jahre 2001 jedoch nur 0,6-mal.

Liebe Leserin, lieber Leser, Sie werden sich vielleicht zurücklehnen und denken: Was interessiert mich diese Erbsenzählerei? Für Ihre Bewertung der Zeitschrift spielt diese penibel ermittelte Maßzahl keine Rolle. Wen sollte eine solche Zahl überhaupt interessieren?

Leider trifft es mit voller Härte unseren wissenschaftlichen Nachwuchs. Seit Anfang der 90er-Jahre des letzten Jahrhunderts ist die Etablierung des Impactfaktors als Währung, man könnte auch sagen Fetisch, des Wissenschaftsbetriebes flächendeckend über Deutschland gekommen. Genauer gesagt hat er sich in den medizinischen Fakultäten der Bundesrepublik wie eine Seuche verbreitet. Der Impactfaktor wird inzwischen in keinem anderen Land der Welt, von Finnland vielleicht abgesehen, stärker angebetet als in den medizinischen Fakultäten Deutschlands. Manche medizinischen Fakultäten verlangen für die Habilitation den Nachweis von 20 oder 30 Impactfaktorenpunkten. Manche Fakultäten gehen soweit, dass sie niemanden mehr zu Bewerbungsgesprächen einladen, der oder die nicht mindestens 50 Impactfaktorenpunkte hat. Umgerechnet für die PPmP bedeutete das für einen Nachwuchswissenschaftler oder eine Nachwuchswissenschaftlerin bezogen auf das Jahr 2001 32, 84 oder 80 Artikel in der PPmP veröffentlichen zu müssen, für das Jahr 2002 sind die Zahlen schon beträchtlich gesunken. Hier würden schon 14 bzw. 22 oder 36 Arbeiten reichen. Bitter wird es dann, wenn zum Zeitpunkt einer Bewerbung oder einer Habilitation der Impactfaktor der PPmP wieder gesunken sein sollte, da immer der aktuell ermittelte Wert als Qualitätsmerkmal herangezogen wird. Ein hervorragender Wissenschaftler oder eine exzellente Forscherin des Jahres 2003 kann mit denselben Veröffentlichungen bereits im nächsten Jahr im Mittelfeld spielen.

Alle Argumente gegen die unkritische und falsche Verwendung des Impactfaktors bei der Bewertung von Einzelpersonen verhallen bei den meisten medizinischen Fakultäten ungehört. So sagt der Impactfaktor, wenn überhaupt, nur etwas über die Güte einer Zeitschrift aus und selbst hier ist er mit zahlreichen Fehlern behaftet. Dies haben große Zeitschriften wie Science und Nature in den letzten Jahren mit Ärger festgestellt, nachdem ihr Faktor wider Erwarten gesunken war. Aber völlig ungeeignet ist er, um über die einzelne Publikation einer Autorin eine Aussage zu treffen. S. O. Seglen hat ermittelt, dass die Korrelation zwischen dem Impactfaktor einer Zeitschrift und den tatsächlichen Zitierungen des jeweiligen Artikels für Einzelpersonen berechnet ungefähr bei 0,10 liegt. Die DFG betont ausdrücklich, dass sie für die Bewertung von wissenschaftlichen Vorleistungen nicht den Impactfaktor verwendet (http://www.uni-duesseldorf.de/WWW/AWMF/bimet/lb-dfg.htm). Die Bibliometriekommission der AWMF hat die medizinischen Fakultäten mehrfach aufgefordert, auf diese Art der Bewertung zu verzichten (http://www.uni-duesseldorf.de/WWW/AWMF/bimet/impa-emp.htm). Doch immer wieder setzen sich Vertreterinnen oder Lehrstuhlinhaber der Fächer durch, deren Zeitschriften aus strukturellen Gründen mit einem hohen Impactfaktor gesegnet sind. Für die psychosozialen Fachgebiete, aber auch andere Fachgebiete wie Chirurgie, Augenheilkunde, Geschichte der Medizin, Allgemeinmedizin, hat die gängige Praxis teilweise sehr unangenehme Auswirkungen, nicht nur bei der Qualifikation des Nachwuchses, sondern auch bei der Mittelzuweisung.

Hier gibt es nämlich inzwischen wiederum ein neues Zauberwort, das zum Standard der medizinischen Fakultäten wird: LOM. Dies bedeutet Leistungsorientierte Mittelzuweisung oder Mittelvergabe, bei der neben der Einwerbung von Drittmitteln wiederum meistens die Impactfaktoren der Veröffentlichungen herangezogen werden. Damit wird der Impactfaktor zum Leistungskriterium für Forschungsgruppen, wofür er ebenfalls nur bedingt geeignet ist. Die AWMF hat versucht, durch Dämpfungs- und Gewichtungsfaktoren die gröbsten Ungerechtigkeiten zwischen den Fächern zu beseitigen. Doch nur ein Teil der Fakultäten folgt diesem Versuch der Fairness.

Prinzipiell besser geeignet für die persönliche Leistungsbewertung und für LOM wäre eigentlich die Verwendung des persönlichen Impactfaktors. Dieser ergibt sich aus der Anzahl der Zitierungen eines Artikels durch andere Autoren. Technisch ist diese Angabe überhaupt kein Problem, auch wenn die Fehlerquellen denen des Zeitschriften-Impactfaktors entsprechen. Der persönliche Impactfaktor basiert auf der Anzahl der Zitierungen einer Arbeit durch andere Autoren, wobei nur der Erstautor berücksichtigt wird. Und genau aus diesem Grund hat das Verfahren keine Chance in der Medizin. Die Klinikdirektoren und Institutsleiter setzen sich meistens auf die Seniorposition, den letzten Platz bei Publikationen. Ein Beispiel für die nach persönlichem Impactfaktor sortierte Rangliste der Top-Mediziner Deutschlands findet sich - nach verschiedenen Fachgebieten gruppiert - unter www.die-besten-nennen.de. Sollte eine solche Rangliste an Popularität und Bedeutung gewinnen, würde dies wohl wiederum zu einer Änderung der Publikationspraxis führen: Die Chefs würden sich an die Spitze setzen. Immerhin benötigt man zurzeit für die Aufnahme in die Bestenliste für Psychosomatik oder für Medizinpsychologie mindestens 20 Zitierungen als Erstautor im Jahre 2002, abzüglich der Eigenzitierungen.

Was lernen wir aus dem Gesagten? Wie wird die PPmP noch besser? Wie werden die Autoren noch qualifizierter? Wir wissen heute nicht, ob ein Artikel von mehr Leuten gelesen oder zitiert wird. Also lautet der Ratschlag: Weniger lesen - mehr zitieren, aber nur Artikel der beiden letzten Jahre. Das führt zu Deep Impact und hilft auch bei der LOM. Aber Achtung: Bloß nicht die Konkurrenz zitieren, sonst kommt die auf die Straße der Besten bei www.die-besten-nennen.de.

Prof. Dr. Elmar Brähler

Universität Leipzig · Abt. Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie

Liebigstraße 21

04103 Leipzig

Email: brae@medizin.uni-leipzig.de

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