Zentralbl Gynakol 2003; 125(11): 433-434
DOI: 10.1055/s-2003-44580
Kommentierte Referate

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Deutsches Zentrum für Qualität in der Medizin - Einführung einer bürokratischen Staatsmedizin?

German Centre for Quality in Medicine Prelude to Red-Tapism of State-Controlled Medicine?H. Wartensleben1
  • 1Rechtsanwalt, Stolberg
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Publication Date:
21 November 2003 (online)

Nach dem Willen der „Schöpfer” des Entwurfs eines Gesundheitssystemmodernisierungsgesetzes (GMG) soll das Deutsche Zentrum für Qualität in der Medizin „staatsfern und von Interessengruppen unabhängig” zur Qualitätssteigerung bei gleichzeitiger Wirtschaftlichkeit der Arzneimittelversorgung beitragen. Vorgesehen ist die Erstellung von evidenzbasierten Behandlungsleitlinien und die Fortschreibung des Leistungskataloges unter Berücksichtigung der Kosten.

Eine der zentralen Aufgaben des Zentrums ist die Kosten-Nutzen-Bewertung von Arzneimitteln und Leitlinien.

Es ist schwer vorstellbar, dass durch die Einführung einer zusätzlichen „Behörde” mehr Effizienz in unserem Gesundheitssystem zu erreichen ist.

Das Zentrum soll Empfehlungen zum Nutzen einschließlich seiner finanziellen Bewertung sowie zur Anwendung von Arzneimitteln an die Bundesausschüsse abgeben (§ 35 b Abs. 1 E-GMG). Darüber hinaus soll das Zentrum eine Bewertung des medizinischen Nutzens und der Qualität sowie der Wirtschaftlichkeit ärztlicher Leistungen für folgende Gebiete vornehmen (§ 139 b Abs. 1 E-GMG), wobei geschlechts-, alters- und lebenslagenspezifische Besonderheiten zu berücksichtigen sind:

Bereitstellung von Informationen für Bürgerinnen evidenzbasierte Leitlinien und pflegerische Standards für ausgewählte Krankheiten wissenschaftliche Ausarbeitungen, Gutachten und Stellungnahmen zu Fragen der Qualität der GKV-Leistungen Empfehlungen an die Bundesausschüsse zu den jeweils besten, verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnissen für Arzneimittel- und Behandlungsrichtlinien Empfehlungen an die Spitzenverbände der Krankenkassen über Referenzarzneimittel zur Bildung eines vorläufigen Arzneimittel-Festbetrages.

Die Bundesausschüsse haben die Empfehlungen bei der Erarbeitung von Richtlinien zu berücksichtigen; abweichende Entscheidungen sind zu begründen.

Das Zentrum besteht aus einem Direktorium (Direktorin oder Direktor, stellvertretende Direktorin oder stellvertretender Direktor und ein 5-köpfiger wissenschaftlicher Bereit) und einem Kuratorium (49 Mitglieder und 49 Stellvertreter - § 139 h Abs. 1 E-GMG).

Das Kuratorium hat

zwei Mitglieder von der Bundesärztekammer, ein Mitglied von der Bundeszahnärztekammer, drei Mitglieder von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, zwei Mitglieder von der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung, drei Mitglieder von der Deutschen Krankenhausgesellschaft, zwei Mitglieder vom Deutschen Pflegerat, drei Mitglieder von den Ortskrankenkassen, zwei Mitglieder von den Ersatzkassen, ein Mitglied von den Betriebskrankenkassen, ein Mitglied von den Innungskrankenkassen, ein Mitglied von den landwirtschaftlichen Krankenkassen, ein Mitglied von der knappschaftlichen Krankenversicherung ein Mitglied vom Verband der privaten Krankenversicherung, ein Mitglied von der Bundesarbeitsgemeinschaft Hilfe für Behinderte, ein Mitglied vom Paritätischen Wohlfahrtsverband, ein Mitglied von der Deutschen Arbeitsgemeinschaft Selbsthilfegruppen, ein Mitglied vom Verbraucherzentrale Bundesverband, ein Mitglied von der Bundesarbeitsgemeinschaft Patientinnenstellen, ein Mitglied von der Bundesarbeitsgemeinschaft der Notgemeinschaften Medizingeschädigter, drei Mitglieder vom Deutschen Gewerkschaftsbund, drei Mitglieder von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, drei Mitglieder von der Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände, drei Mitglieder von der Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften, zwei Mitglieder von der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände, zwei Mitglieder vom Bundesverband der pharmazeutischen Industrie, zwei Mitglieder vom Bundesverband Medizintechnologie, ein Mitglied vom Bundesministerium für Bildung und Forschung, ein Mitglied vom Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung.

Das Kuratorium berät das Zentrum bei der Erfüllung seiner Aufgaben. Es entscheidet über die Auswahl und Prioritätensetzung der Aufgaben und beschließt mit Stimmenmehrheit (§ 139 h Abs. 3 und 4 E-GMG).

Die Zusammensetzung des Kuratoriums zeigt ein offensichtliches Übergewicht nicht-ärztlicher Mitglieder.

Für neue Arzneimittel soll das Zentrum deren Beitrag zur Verbesserung der medizinischen Behandlung von Patienten leisten und eine finanzielle Bewertung des zusätzlichen Nutzens dieser Arzneimittel erstellen als Maßstab für die Übernahme von Mehrkosten durch die GKV. Es erscheint wenig glaubwürdig, wenn die amtliche Begründung des E-GMG behauptet, dass auf diese Weise die Teilhabe der Versicherten am medizinischen Fortschritt gewährleistet sei - zumal die Entscheidungen immer unter den Vorbehalt der Finanzierbarkeit des Fortschritts gestellt sind.

Nur „erheblich bessere therapeutische Ergebnisse” bzw. „maßgebliche therapeutische Verbesserungen” finden eine positive Berücksichtigung.

Das Zentrum soll „Erkenntnisse über den zusätzlichen Wert der Leistungen auch im Verhältnis zu den aufzuwendenden Kosten sowie zu den Auswirkungen auf die Verbesserung der medizinischen Behandlung erarbeiten. Dies soll gewährleisten, dass diagnostische und therapeutische Maßnahmen dem besten, verfügbaren wissenschaftlichen Stand entsprechen und auch weiterhin finanzierbar bleiben”.

Bei der Erarbeitung von Leitlinien und Pflegestandards sollen Berücksichtigung finden:

Zahl der von der Krankheit betroffenen Versicherten, Möglichkeiten zur Verbesserung der Qualität der Versorgung, sektorenübergreifender Behandlungsbedarf, hoher finanzieller Aufwand der Erkrankung, Beeinflussbarkeit des Krankheitsverlaufs durch Eigeninitiative des Versichertenund ein Beitrag zur Verbesserung der hausärztlichen Versorgung.

Die strukturierten Behandlungsprogramme und Leitlinien stellen eine wichtige Orientierung für die Leistungserbringer dar, von denen nur im begründeten Einzelfall abgewichen werden kann.

Die Empfehlungen/Leitlinien müssen auf der besten, vorliegenden Evidenz basieren, mit dem Ziel, die vorhandenen finanziellen Mittel auf echte Innovationen mit therapeutischem Mehrwert zu konzentrieren.

Wenn die GKV-Versorgung nur noch eine evidenzbasierte Medizin als legal anerkennt, wird das zweite Standbein ärztlicher Kunst, die Erfahrung als Erkenntnisquelle negiert.

Die Rationierungsabsicht des Gesetzgebers ist offenkundig, soll den GKV-Versicherten aber verborgen bleiben.

Offen bleiben die elementaren Fragen

Wie will das Zentrum den ökonomischen Nutzen von Arzneimitteln, Untersuchungs- und Behandlungsmethoden quantifizieren? Wie viel Wert darf uns die Aufrechterhaltung bzw. Wiederherstellung der Gesundheit sein? Soll medizinische und pharmazeutische Forschung in Deutschland künftig noch eine Rolle spielen und wie viel Geld darf sie kosten? Wer hat künftig überhaupt noch ein Interesse an medizinischer Forschung?

Die Konstruktion des Zentrums und die gesetzlichen Arbeits- und Entscheidungsprämissen lassen den Vorwurf einer „Staatsmedizin” begründet erscheinen.

Im Interesse der GKV-Versicherten kann deshalb nur ein von der Selbstverwaltung getragenes Deutsches Zentrum für Qualität in der Medizin sein.

H. Wartensleben

Rechtsanwalt

Gut Gedau 1

52223 Stolberg

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