Pneumologie 2003; 57(11): 681-689
DOI: 10.1055/s-2003-44265
Workshop
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

COPD, die Systemerkrankung: Ernährung: zu wenig beachtet und noch ungelöst

COPD, the Systemic Disease: Nutrition - an Underestimated and Unresolved ProblemGratiana  Steinkamp1
  • 1Klinische Forschung, Medizinisch-wissenschaftliches Publizieren
Experten-Workshop am 11. und 12. Juli 2003 in Fleesensee. Leitung: Prof. Dr. Harald Morr. GreifensteinUnterstützungBoehringer Ingelheim Pharma GmbH & Co KG, Ingelheim
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Publikationsdatum:
17. November 2003 (online)

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Physiologie und Pathophysiologie der Ernährung bei COPD

Annemie Schols, Abteilung Pneumologie der Universität Maastricht

Die COPD ist charakterisiert durch eine Flusslimitierung infolge von Atemwegsobstruktion, Entzündung, strukturellen Veränderungen des Lungengewebes und mukoziliärer Dysfunktion. In den letzten Jahren trat die systemische Komponente dieser Erkrankung zunehmend in den Vordergrund. Zu den sekundären Effekten der COPD zählen die Mitbeteiligung von Muskulatur, Skelettsystem und Kreislauf.

Welche Gründe sprechen für eine ernährungsmedizinische Intervention bei COPD? In großen epidemiologischen Studien fand man einen klaren Zusammenhang zwischen dem Ernährungszustand und dem Überleben von COPD-Patienten. Bei Untergewicht war die mittlere Überlebenszeit reduziert [1]. Umgekehrt fand man nach klinischen Interventionen, mit denen das Gewicht verbessert wurde, ein verlängertes Überleben. Auch die Hospitalisierungsrate wird durch den Ernährungszustand beeinflusst. Patienten mit Gewichtsverlust während eines stationären Aufenthaltes mussten danach signifikant häufiger erneut in die Klinik aufgenommen werden [2].

In Maastricht betrachtet man die COPD schon längere Zeit als systemische Erkrankung. Dementsprechend ist das Management nicht auf die Lunge beschränkt. Ziel der Behandlung ist die generelle Verbesserung der Gesundheit, nicht nur die Steigerung der Lungenfunktion. Die körperliche Belastbarkeit eines Patienten wird sowohl durch das Ausmaß der Lungenerkrankung bestimmt als auch durch die Funktion der Skelettmuskulatur. Letztere kann man auf verschiedene Weise erfassen. Man kann die Muskelmasse bestimmen, morphometrische Messungen aus Muskelbiopsien vornehmen oder den Stoffwechsel der Muskulatur analysieren. Zur Bestimmung der Muskelmasse stehen verschiedene nicht-invasive Verfahren zur Verfügung: die Ganzkörpermessung mit DEXA, die bioelektrische Impedanz-Analyse und das regionale MRT.

Im MRT war die Muskelfläche am Oberschenkel bei Gesunden größer als bei COPD-Patienten [3]. Patienten mit mittelgradiger bis schwerer COPD (jedoch nicht solche mit leichter COPD) hatten eine um 25 % reduzierte Muskelmasse, wenn man die bioelektrische Impedanz-Analyse verwendete [4]. Außerdem korrelierte die nicht-invasive Bestimmung der fettfreien Körpermasse gut mit dem Muskelfaserquerschnitt aus Muskelbiopsien [5].

Muskelbiopsien erlauben nicht nur Aussagen über die Muskelmasse, sondern man kann die einzelnen Typen von Muskelfasern voneinander unterscheiden. Die Typ-I-Fasern werden bei aeroben Belastungen genutzt, Typ IIx-Fasern eher bei anaerober Belastung (Abb. [1]). Die Muskelatrophie bei COPD betrifft überwiegend die IIx-Fasern [5]. Außerdem ist die oxidative Kapazität der Muskulatur reduziert [6]. Bereits in Ruhe findet man erhöhte Konzentrationen von Inosin-Monophosphat, IMP, im Muskel. Unter Belastung werden die Energiespeicher schnell geleert. Zudem ist die Erholung der Muskulatur der Patienten mit stark eingeschränkter Lungenfunktion verzögert.

Abb. 1 Typen von Muskelfasern (mit freundlicher Genehmigung von Frau Dr. Schols).

Die Situation bei COPD ist demnach charakterisiert durch einen Gewichtsverlust, eine reduzierte Muskelmasse und durch intrinsische Veränderungen der Muskulatur. Therapeutische Strategien müssen sich daher auf genau definierte Patientengruppen beziehen.

In Maastricht wurde ein komplexes Behandlungsprogramm für COPD entwickelt. In einem Flussdiagramm können je nach Situation des Patienten die einzelnen Schritte abgelesen werden (Abb. [2]). Die beiden wesentlichen Elemente sind Supplemente in Form von Trinknahrung sowie Maßnahmen, die den Patienten körperlich aktiv halten.

Abb. 2 Diagnostik und Therapie bei COPD: Vorgehen der Arbeitsgruppe in Maastricht unter Berücksichtigung von Ernährung und körperlichem Belastungstraining (mit freundlicher Genehmigung von Frau Dr. Schols).

Gewichtsverlust ist bedingt durch ein Ungleichgewicht zwischen Energieaufnahme und Energieverbrauch. Personen mit COPD haben einen erhöhten Ruheenergieumsatz, der vor allem durch die chronischen Entzündungsprozesse bedingt ist. Unabhängig davon stellte man auch Veränderungen der belastungsinduzierten Thermogenese fest. COPD-Patienten benötigen für dasselbe Ausmaß körperlicher Belastung mehr Energie als Gesunde. Hinsichtlich der Lungemechanik besteht eine Hyperinflation, die sich besonders bei körperlicher Belastung bemerkbar macht und in einem erhöhten Energieverbrauch für die Atemarbeit resultiert. Doch nicht nur die Atemmuskulatur, sondern auch die übrige Skelettmuskulatur ist bei COPD beeinträchtigt. So fand man eine reduzierte oxidative Kapazität der Beinmuskulatur, die mit einer verminderten mechanischen Effizienz der Muskeln einherging [7].

Neue Ergebnisse zur Regulation des Energie-Stoffwechsels zeigen, dass eine wesentliche Rolle das Uncoupling-Protein 3 spielt. Es beeinflusst die oxidative Phosphorylierung und damit den Stoffwechsel der Fettsäuren. Fettsäuren sind ein wichtiger Energiespeicher und können dementsprechend nur unzureichend genutzt werden, wenn - wie bei COPD - das Uncoupling-Protein 3 reduziert ist [8].

Auf die veränderten metabolischen Bedingungen reagieren Skelettmuskulatur und Zwerchfell unterschiedlich. Bei der Extremitätenmuskulatur kommt es zu einer Verschiebung von Typ-I- zu Typ-IIx-Fasern mit dem Resultat einer reduzierten Ausdauer der Muskulatur. Beim Zwerchfell nehmen IIx-Fasern ab und Typ-I-Fasern entsprechend zu, was die Kraft des Zwerchfelles vermindert. Gehen durch Gewichtsverlust weitere IIx-Fasern verloren, wirkt sich dies zusätzlich negativ auf die Muskelkraft aus.

Abb. 3 Erniedrigte Lungenfunktion und Mortalität in drei großen Studien: West Scotland [25], Buffalo Health [26] und Malmö [27]. Personen mit erniedrigter Lungenfunktion hatten ein erhöhtes Relatives Risiko (mit freundlicher Genehmigung von PD Dr. Welte).

Welche Ergebnisse kann man mit Ernährungstherapie erzielen? Ältere Studien mit Interventionen über nur zwei Wochen ergaben zwar Verbesserungen beim Körpergewicht und bei der Funktion der Atemmuskulatur, jedoch nicht bei der Funktion der Extremitätenmuskulatur. Dies konnte erst durch eine längere ernährungsmedizinische Betreuung erreicht werden. In Maastricht führte man eine Studie über drei Monate durch und fand eine Zunahme der fettfreien Körpermasse, der Funktion der Atem- und der Extremitätenmuskulatur, der Belastbarkeit und der Lebensqualität. Diese günstigen Ergebnisse wurden mit Trinknahrung erreicht, die die Patienten zwei- bis dreimal täglich in kleinen Portionen zu sich nahmen. Es gab aber auch Patienten, die von dieser Maßnahme nicht profitierten. Hier stellte sich heraus, dass sie die Supplemente anstelle von Mahlzeiten zu sich nahmen, so dass die Energiezufuhr ungenügend war.

Wichtig ist, die ernährungsmedizinische Intervention mit einem Programm für körperliches Training zu verbinden. Nur so kann erreicht werden, dass nicht nur die Muskelkraft, sondern auch die Ausdauer verbessert wird. Die einfache Botschaft heißt also: mehr essen und mehr Bewegung! Dies zeigte sich auch in einer Studie mit Patienten, die zur Rehabilitation gekommen waren. Eine Verbesserung der fettfreien Körpermasse wurde nur dann erreicht, wenn die Patienten zusätzlich zur Rehabilitation Trinknahrung erhielten [9]. Schols warnte jedoch auch davor, unterernährte Patienten körperlich zu ausgiebig zu trainieren, weil man damit eine katabole Reaktion induzieren kann.

Zu den Personen, die schlecht auf eine Ernährungstherapie ansprechen, gehören vor allem Patienten mit Hinweisen auf eine systemische Entzündung. Dies zeigte eine Studie, in der TNF-α-Konzentrationen untersucht wurden [10]. Wahrscheinlich wird der Appetit durch Entzündungsprozesse gedrosselt. Außerdem erhöhen Entzündungsprozesse den Ruheenergieumsatz. Verzweigtkettige Aminosäuren spielen wahrscheinlich auch eine Rolle. Wenn bei Entzündungsprozessen verstärkt Akute-Phase-Proteine gebildet werden, ist die Proteinsynthese der Leber allgemein stimuliert. Die Aminosäuren dazu kommen teilweise aus der Skelettmuskulatur und stehen dann dort nicht mehr für die Proteinsynthese zur Verfügung. Tatsächlich fand man bei Emphysempatienten mit reduzierter Muskelmasse eine reduzierte Proteinsynthese, jedoch keinen vermehrten Muskelabbau [11].

Der Ernährungszustand kann auch mit Pharmaka wie anabolen Steroiden und Wachstumshormon moduliert werden. In einer neuen Studie aus Maastricht wurden drei Gruppen von Patienten gebildet: nur Rehabilitation, Rehabilitation plus Ernährung und Rehabilitation plus Ernährung plus anaboles Steroid (Nandrolon). Die dritte Gruppe hatte die besten Ergebnisse für Gewichtszunahme und Zunahme der fettfreien Körpermasse. Patienten, die auf anabole Steroide ansprachen, hatten außerdem eine bessere Überlebenszeit als Non-Responder [12]. In einem anderen Projekt verglich man Rehabilitation mit anabolen Steroiden (Creutzberg, 2003, in press). Die Symptome nahmen zwar ab und man fand auch Verbesserungen der fettfreien Körpermasse, aber insgesamt hatten die anabolen Steroide keinen durchschlagenden Effekt. Eine Ausnahme waren männliche Patienten, die gleichzeitige orale Kortikosteroide erhielten. In dieser Gruppe verbesserten sich maximale körperliche Belastbarkeit und maximaler Inspirationsdruck (Creutzberg 2003 in press). Womöglich heben anabole Steroide die negativen Effekte oraler Kortikosteroide auf den Proteinabbau auf. Auch die klinische Erfahrung zeigt, dass Patienten mit oraler Kortikosteroidtherapie häufig schlecht auf eine Ernährungstherapie ansprechen. In einer neuen Studie hatten Patienten, die täglich mehr als 5 mg Prednisolon-Äquivalent einnahmen, eine reduzierte Überlebenszeit, auch wenn sie mit Patienten mit ähnlich reduzierter Lungenfunktion verglichen wurden [13].

Wenn Muskelfasern atrophieren, ist die Balance zwischen Regeneration und Apoptose nicht ausgeglichen. Bei COPD-Patienten mit reduzierter Muskelmasse fand man keinen Hinweis auf eine verstärkte Apoptose [8]. Jedoch zeigte sich, dass die Typ-IIx-Fasern ihre metabolische Aktivität praktisch eingestellt hatten [5] [13]. Die Regeneration von Muskulatur wird durch so genannte Satellitenzellen, Myoblasten, beeinflusst. Verstärkte Entzündung mit erhöhten Konzentrationen von TNF-α blockiert die Aktivierung dieser Zellen. Daraus resultiert eine beeinträchtigte Differenzierung in Muskelzellen.

Welche Herausforderungen ergeben sich aus diesen Erkenntnissen für die Zukunft? Es wird wichtig sein, die pathophysiologischen Abläufe zwischen Entzündung und Muskelstoffwechsel genauer zu erforschen. Man versucht, regulatorische Moleküle zu identifizieren, die man in klinischen Studien aus Muskelbiopsien messen kann. Lohnend wären auch Untersuchungen zu speziellen Substanzen wie Kreatin, Aminosäuren, Antioxidantien und ω-3-Fettsäuren. Ziel ernährungstherapeutischer Interventionen ist eine Verbesserung der Gesamtbelastbarkeit und der allgemeinen gesundheitlichen Situation der Patienten.

Literatur

Priv.-Doz. Dr. med. Gratiana Steinkamp

Klinische Forschung · Medizinisch-wissenschaftliches Publizieren

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