Zusammenfassung
Nur wenigen ist heute noch Georg Haas als der Mann bekannt, der als erster 1924 in
Gießen eine extrakorporale Hämodialyse mit Erfolg am Menschen durchgeführt hat. Mit
den ersten tierexperimentellen Arbeiten begann Haas bald nach seinem Eintritt in die
Gießener Medizinische Klinik 1914. Von diesen frühen Versuchen sind weder Protokolle
noch verwendete Apparaturen erhalten geblieben. Auch wurden diese Arbeiten durch den
Kriegsdienst von 1917 - 1919 unterbrochen. Bis zum Jahre 1923 hat Haas selbst über
diese anfänglichen Experimente geschwiegen. „Äußere Umstände” (Kriegsdienst) und „Mangel
an Material” (Hirudin) hinderten ihn an der Fortführung der Arbeiten zur Blutwäsche.
Auch waren die Versuche eine volle Enttäuschung, weil die Versuchstiere, zumeist Hunde,
nach wenigen Stunden zugrunde gingen. Die verwendeten Hirudinpräparate hatten sich
als Kapillargift herausgestellt. Setzte die Toxizität der Hirudinpräparate einer Anwendung
der Dialyse am Menschen vorerst eine Schranke, so spornten die Kriegsjahre mit den
vielen Fällen von Feldnephritis zur Entwicklung dialysatorischer Abtrennungsverfahren
an. Haas experimentierte zunächst mit Schilfschläuchen, Kalbsperitoneum und Papiermembranen.
All diese Membranen befriedigten jedoch nicht. Erst als Fr. Pregl Kollodiumröhren
vorstellte, war dieses erste Hindernis beseitigt. Haas experimentierte jetzt mit den
von ihm hergestellten Kollodiumschläuchen. Die Toxizität der Hirudinpräparate bestand
aber fort. Die Wiederaufnahme der Versuche zur Hämodialyse erfolgte 1923. Denn in
diesem Jahr erschien eine Arbeit von H.Necheles, in der von einem angeblich gereinigten
Blutegelextrakt die Rede war. Auch berichtete Necheles von amerikanischen Arbeiten,
die eine Dialyse von Substanzen im Tierversuch verfolgten. Es war J. Abel (Baltimore),
der Haas mitteilte, es läge inzwischen ein gereinigtes Hirudin vor. Haas, der so Anfang
1924 von den amerikanischen Arbeiten erfuhr, nahm Ende 1924 eine erste Blutwäsche
an einem urämischen Patienten vor. Der Versuch dauerte 15 Minuten und verlief komplikationslos.
Ein zweiter Dialyseversuch folgte 1926 und dauerte bereits 30 Minuten. Schließlich
folgten vier weitere Hämodialysen 1927. Die Wende trat ein, als 1925 gereinigtes Heparin
zur Verfügung stand. Haas, der 1924 die erste Blutwäsche mit Hirudin durchgeführt
hatte, nahm jetzt 1927 die erste Blutwäsche mit Heparin vor. Weitere Hämodialysen
folgten. Haas stellte abschließend fest: „Das Problem der Blutwaschung ist noch in
den ersten Anfängen der praktischen Durchführbarkeit. Immerhin konnte bereits gezeigt
werden, dass sie so weit entwickelt ist, dass sie wiederholt Anwendung finden konnte
… Natürlich bedarf die Technik der Blutwaschung noch weiterer Vervollkommnung und
Ausbauung, um in der Therapie als entgiftende Methode Geltung zu finden.” Überblickt
man die Frühgeschichte der künstlichen Niere und ihrer Anwendung auf den Menschen,
so steht fest, dass J. Abel als erster die Hämodialyse am Versuchstier vorgenommen
hat. Ebenso eindeutig ist aber, dass Haas als erster die Blutwäsche am kranken Menschen
durchgeführt hat. Die Versuche der Amerikaner verfolgten die quantitative Leistungsfähigkeit
der Methode in Tierexperimenten, die Versuche von Haas galten der Entwicklung einer
therapeutischen Methode nach dem Grundsatz des „primum nil nocere”.
Abstract
Only very few remember Georg Haas as the scientist who - in 1924 - was the first to
successfully conduct an extracorporal hemodialysis on a patient in Gießen. Haas began
his experiments in 1914 shortly after joining the Medical Clinic of the University
of Gießen. Neither protocols nor any of the set-ups were preserved from these early
experiments. In addition, the WW1 interrupted Haas' early experiments between 1917
- 1919. Until 1923 Haas himself never mentioned his early experiments. “Outside circumstances”
and a “shortage of materials” (hirudin) prevented Haas from continuing his work on
hemodialysis. Also, the early trials had disappointing results as the experimental
animals, mostly dogs, died after a few hours. The hirudin preparations Haas had used
turned out to be toxic. While the toxicity of the hirudin preparations prevented the
application of dialysis in humans early on, the war with its many cases of nephritis
provided new inspiration to develop dialyzing techniques. Haas experimented with reed
tubes, calf peritoneum and paper membranes. None of these worked satisfactorily. Not
until Pregl introduced collodion tubes was the first barrier overcome. Haas started
experimenting with collodion tubes produced by himself. However, the toxicity problem
with the hirudin preparations remained. Haas resumed the hemodialysis experiments
in 1923. Significantly, 1923 was the year when Necheles published his work describing
an alleged purified leech extract. Necheles' paper also described American experiments
that focused on dialysis in animal trials. It was J. Abel of Baltimore who informed
Haas that purified hirudin was available. After learning of this availability through
the American studies in 1924, Haas conducted his first hemodialysis on a uremic patient
in late 1924. This experiment lasted only 15 minutes and was without complications.
A second dialysis attempt followed in 1925 and even lasted 30 minutes. Finally, four
further experiments followed in 1926. The turning point was the availability of purified
heparin from 1925 on. Haas, who in 1924 conducted the first dialysis using hirudin,
in 1927 conducted the first hemodialysis using heparin. Further hemodialysis treatments
followed. Haas concluded: “The problem of hemodialysis is still in the first steps
of practical application. Nevertheless it could be shown that hemodialysis has developed
sufficiently to find applicability even in patients with serious kidney ailments and
irritable heart. … Hemodialysis was not only well tolerated but also brought a temporary
subjective improvement. Of course, the technical aspects of hemodialysis still need
improvement and further development to qualify as detoxicant therapy.” A look at the
early history of the artificial kidney and its applicability to humans reveals that
J. Abel conducted the first hemodialysis on experimental animals. It also becomes
evident that Haas conducted the first hemodialysis in humans. The American experiments
pursued the quantitative optimization of the method in animal trials, while Haas'
experiments focused on the development of a therapeutic method following the principle
“primum nil nocere.”
Schlüsselwörter
Hämodialyse - Hirudin/Heparin-Präparation - Kollodium - künstliche Niere - Medizinische
Fakultät der Universität Gießen - Georg Haas
Key words
Hemodialysis - Hirudin/Heparin preparation - collodion - artificial kidney - faculty
of medicine in giessen - Georg Haas
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Prof. Dr. Jost Benedum
Institut für Geschichte der Medizin der Justus-Liebig-Universität Gießen
Iheringstr. 6
35392 Gießen