Zusammenfassung
Psychosoziale Belastungen (Stress) sind und waren vielfach Gegenstand epidemiologischer
Studien zur weiteren Aufklärung des Frühgeburtsgeschehens, ohne dass die Bedeutung
dieser möglichen Risikofaktoren bisher sowohl theoretisch als auch empirisch als hinreichend
gesichert gelten kann. Assoziationsmaße zwischen erfasster Stressbelastung und der
Frühgeburt sind in epidemiologischen Studien heterogen und in der Regel nicht sehr
hoch ausgeprägt. Auf der Grundlage der empirischen Daten des BabyCare-Projekts soll
in einer ersten Analyse für Primiparae gezeigt werden, welche psychosozialen Belastungen
(potenziell) in einem Zusammenhang mit der Frühgeburt stehen.
Die zunächst deskriptiv-epidemiologische Analyse der Daten zeigt, dass sich Arten
und Häufigkeiten psychosozialer Belastungen und Stress erwartungsgemäß nach Alter
und sozialer Lage z. T. deutlich unterscheiden. In der analytisch-epidemiologischen
Analyse weist bei den gegebenen Fallzahlen unter den psychosozialen Variablen die
Variable „überdurchschnittliche Stressbelastung in den letzten 12 Monaten vor der
Schwangerschaft” das höchste (und an der Signifikanzgrenze liegende) Risikomaß auf.
Entgegen der Erwartung, diskriminieren weder Häufigkeit und Art von Life-events (in
den letzten 12 Monaten), noch ein gebildeter Gesamtstressindex (Belastungsprofil),
noch eine ü berdurchschnittliche Häufigkeit psychosozialer Beschwerden (Beschwerdenliste
nach Zerrssen) zwischen Frühgeburten und Termingeburten. Hinweise auf weiter zu prüfende
Zusammenhänge liegen hinsichtlich der erhöhten Berufstätigkeit und den erhöhten Arbeitsbelastungen,
sowie hinsichtlich des Zusammenhangs mit Partnerkonflikten und fehlender emotionaler
Unterstützung sowie zwischen ungeplanter Schwangerschaft und nicht protektiver sozialer
Lage vor. Mit wenigen Ausnahmen liegen die psychosozialen Variablen in ihren Risikomaßen
deutlich hinter den Maßen der medizinischen und verhaltensbedingten Risikofaktoren.
Die Analyse der Frühgeburtenraten zeigt, dass eine erhöhte Stressbelastung in den
letzten 12 Monaten vor der Schwangerschaft v. a. bei Rauchern das gegenüber Nichtrauchern
ohnehin mehr als verdoppelte Frühgeburtsrisiko nochmals um den Faktor 1,5 erhöht.
Die herausgearbeiteten Zusammenhänge müssen bei zunehmenden Fallzahlen durch geschichtete
Analysen und ergänzende Follow-up- oder retrospektive Untersuchungen geprüft und gesichert
werden, um jene Faktoren zu identifizieren, die im weiteren Verlauf der Schwangerschaft
auftreten und die erhöhte Frühgeburtenrate in der psychosozialen Risikogruppe erklären
können.
Abstract
Psychosocial stress is and has been under study in a plenty of epidemiological research
done to further detect the mechanisms between risk factors and preterm birth, but
the role of these possible risk factors is up to now not approved neither theoretically
nor empirically. Associations calculated between those risk factors and preterm birth
are highly inconsistent and with exceptions only moderate. Based on the data given
by the BabyCare programme in a first analysis for the group of primiparae it will
be analysed, which psychosocial risk factors are correlated with preterm birth and
which of these can be judged as independent risk factors, as far as this can be ruled
out by the sample-size given.
The descriptive data analysis shows, that the frequency of psychosocial risk factors
is varying as it can be expected by age and social stratification. The analytical
analysis shows by the given sample-size that the variable “strong stress in the last
12 months before pregnancy” has the highest ODDS-Ratio, which is also almost significant.
Unexpectedly there is no correlation between preterm birth and the frequency and characteristics
of life-events in the last 12 months, nor between the stress index, nor between the
frequency of psychosocial complaints.
Weaker associations - further to be approved - are given with respect to work load
and occupation, problems in partnership and emotional or social support as well as
to unplanned pregnancy and “low social status”. The risk-ratios of the psychosocial
variables are altogether much lower than the ratios of the medical or behavioural
risk factors. The analysis of preterm birth rates reveals, that “strong stress in
the last 12 months before pregnancy” will especially raise the preterm birth rates
of smokers by an additional factor of 1.5.
The associations found have to be approved by raising sample-size by stratified analytical
methods and additional research by follow-up or retrospective studies to finally find
out the factors which arise in the subsequent time of pregnancy and might explain
the higher risk of preterm birth in the group of pregnants with “strong stress in
the last 12 months before pregnancy”.
Schlüsselwörter
Frühgeburt - psychosoziale Risikofaktoren - Stress
Key words
Preterm birth - psychosocial risk factors - stress
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1 1. Buch Samuel 4:19
2 Zusätzlich wurden Frauen mit Mehrlingsschwangerschaften und Diabetikerinnen aus dem
Datensatz ausgeschlossen.
3 Die Quantifizierung, d. h. der vergebene Punktwert, orientierte sich daran, dass
Schwangere mit theoretischer Maximalbelastung ungefähr ein relatives Risiko der Frühgeburt
von etwa 2 aufweisen. Dieser voluntaristische Wert muss bei zunehmenden Datensätzen
durch das tatsächlich errechnete relative Risiko ersetzt werden. Er dient derzeit
v. a. dazu, in den persönlichen Empfehlungen an die Schwangeren Belastungsprofile
zu bilden und Aussagen über die Stressbelastung machen zu können.
4 Diese Verteilung ergibt sich aus einem ähnlichen Punktbewertungsverfahren, wie es
auch bei der Quantifizierung der Belastungsintensität angewendet wurde. Über die Angaben
zu den Fragen der sozialen Lage, des Einkommens und der Bildung werden Punkte vergeben.
Angehörige der Gruppe „sozial nicht protektiv” haben signifikant häufiger ein unterdurchschnittliches
Einkommen und eine nur mittlere Schulbildung. Dieser Indikator wird verwendet, weil
er stärker zwischen der Gruppe der Früh- und Normalgeburten diskriminiert als die
Schulbildung allein.
5 Es sei darauf hingewiesen, dass der bedeutende Risikofaktor der aszendierenden Vaginalinfektionen
in der Schwangerschaft für die Frühgeburt bei BabyCare bedingt durch den Untersuchungsansatz
nicht adäquat erfasst werden kann.
6 Hinzuweisen ist hier jedoch auf das generelle methodische Problem aller retrospektiven
Untersuchungen, dass die Angaben zu möglichen Risikofaktoren durch das bekannte Geburtsergebnis
„kontaminiert” sind. Dies kann sich gerade auch auf die Reliabilität der Angaben zur
Stressbelastung in der Schwangerschaft auswirken.
Prof. Dr. Joachim W. Dudenhausen
Direktor der Klinik für Geburtsmedizin
Charité Campus Virchow Klinikum
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13353 Berlin
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