Klinische Neurophysiologie 2003; 34(2): 99-100
DOI: 10.1055/s-2003-40130
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© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Werner Martin Herrmann

Werner Martin HerrmannS.  Kubicki
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Publication Date:
20 June 2003 (online)

Werner Martin Herrmann ∗ 4. Juni 1941 † 6. Mai 2002

Vor einem Jahr, am Montag, dem 6. Mai, starb Prof. Dr. Werner Martin Herrmann unmittelbar nach einer Operation. Sein Tod riss eine beträchtliche Lücke, speziell im Bereich der Pharmakoneurophysiologie.

Herrmann verband in einmaliger Weise die klinische Forschung mit der pharmazeutischen Wirtschaft. Er kam über das Max-Planck-Institut für Biophysikalische Chemie in Göttingen zur Grundlagenforschung in die Schering AG.

Im Bundesgesundheitsamt nutzte er später als Direktor und Leiter des Fachgebietes für Psychiatrie und Neurologie in der Abteilung Experimentelle und Klinische Pharmakologie seine jahrelangen Erfahrungen aus Forschung und Industrie in Deutschland und den Vereinigten Staaten zum Ausbau einer qualifizierten staatlichen Normenkontrolle.

Um dieser Normenkontrolle und der damit verbundenen Qualitätssicherung eine möglichst breite Basis zu geben, betrieb er die Gründung der International Pharmaco EEG Group, kurz IPEG genannt. Diese in Deutschland ins Leben gerufene Gesellschaft wurde bald zu einem etablierten Forum für den Austausch von Forschungserfahrungen und -methoden auf internationaler Ebene, aus der unter anderem die ersten „Empfehlungen für pharmakoelektroenzephalographische Untersuchungen am Menschen” hervorgingen.

Im Juni 1981 habilitierte sich Herrmann an der Freien Universität Berlin für das Fach „Klinisch-experimentelle Neurophysiologie”, war zwischen 1983 und 1993 Visiting Full Professor an der State University von New York, erhielt im Dezember 1986 die Würde eines außerplanmäßigen Professors an der Freien Universität Berlin und übernahm dort im November 1987 die Leitung der Klinischen Psychophysiologie in der Psychiatrisch-neurologischen Universitätsklinik.

Sein vorrangiges Interesse galt den zentral wirkenden Pharmaka, was ihn in den 70er-Jahren unter anderem zur damals in Deutschland noch weitestgehend im Verborgenen vegetierenden Schlafforschung brachte. Hier interessierte ihn vorrangig die hypnagoge Phase mit ihren Vigilanzschwankungen. Diese - ähnlich den Schlafstadien - zu skalieren, band immer wieder seine Aufmerksamkeit. Dieses Thema war ihm schon deshalb so wichtig, weil die Beeinflussung der Vigilanz zu einem der bislang wenig überprüften Eigenschaften zentral wirkender Pharmaka gehörte, die auch der Skalierung über eine automatische Analyse widerstanden. So lag die automatische Analyse zentraler Effekte stets in seinem Blickfeld.

In diesem Zuge definierte er 1978/79 die EEG-Frequenzbänder aufgrund von automatischen Strukturanalysen, die interessante Einblicke in die Generierung einzelner Frequenzbereiche ergab, und förderte - mit erheblichem Erfolg - auch die Entwicklung einer brauchbaren automatischen Analyse der Schlafstadien, die den hohen Standards der visuellen Analyse ebenbürtig ist und Grundlage für die meisten in Deutschland verwandten Verfahren wurde. Die Ergebnisse automatischer Analysen schätzte er, weil diese ihm eine höhere Sicherheit gegenüber den visuellen Bewertungsschwankungen (Inter- und Intraraterreliability) boten und differenziertere statistische Sicherungsmethoden ermöglichten.

Er, der stets auf Normierungen zur Sicherung einer qualitativen Forschung drängte, war selbstredend auch ständig bemüht, statistische Methoden im Bereich der Pharmauntersuchungen zu fördern. Er stellte schon frühzeitig eine enge Zusammenarbeit mit Mathematikern und Statistikern her, mit denen er 1987 die „Comstat Rule for Vigilance Classification Based on Spontaneous EEG Activity” entwickelte.

Die Verknüpfung von universitärer und industrieller Forschung war für Herrmann eine logische, eine zwingende Notwendigkeit. Solche Verbindungen, speziell zur Pharmaindustrie, unterlagen allerdings in den 70er- und beginnenden 80er-Jahren der grimmigen Verfolgung durch aggressive Studenten und Assistenten, deren Angriffe zeitweise einen tribunalen Charakter annahmen. Doch verpufften alle Attacken an Herrmanns Standhaftigkeit in dieser Frage, an seiner Bereitschaft, einen solchen Kampf offen auszutragen, nicht zuletzt aber auch an der hohen Qualität seiner eigenen Untersuchungen.

Herrmann legte größten Wert auf sinnvolle und exakte Methodiken sowie auf optimale statistische Absicherungen. Viele der heute selbstverständlich gewordenen Standards gehen auf ihn zurück oder wurde von ihm nachdrücklich vertreten. Eine seiner ersten Plattformen schuf er sich in CIPS, dem Collegium Internationale Psychiatriae Scalarum, in denen Standards für die Pharmaforschung erarbeitet wurden, die später vielfach vom Bundesgesundheitsamt zu Normen erhoben wurden.

Um bestimmten Themen Nachdruck zu verleihen, veranstaltete er Symposien, z. B. über Factor Analysis and EEG Variables (1980) oder Methods of Sleep Research (1985), die zur Standardbildung beitrugen. Diese Leistungen qualifizierten ihn zur Heraus- oder Mitherausgabe von Journalen wie der Neuropsychobiology oder der Pharmacopsychiatry bzw. zu Tätigkeiten im Beirat von Zeitschriften wie der Klinischen Neurophysiologie (früher „Z. EEG-EMG”) oder Somnology.

Werner Herrmann war ein klassischer Workoholic. Mit seinem Tempo Schritt zu halten war auch für hochqualifizierte Kräfte mitunter anstrengend. Bei aller Neigung zum Management besaß er aber auch eine hohe soziale Einstellung, die ihn immer wieder innehalten ließ, um den Mitarbeitern Atempausen einzuräumen. Er wurde nie zum „Antreiber”, weshalb die Zusammenarbeit mit ihm stets angenehm und vornehm blieb. Die meisten seiner Mitarbeiter schätzten und erlebten ihn als Chef und als Freund, was die Lücke durch seinen Tod nur noch größer werden ließ.

Stanislaw K. Kubicki

Prof. Dr. med. Stanislaw K. Kubicki

Onkel-Bräsig-Straße 46

12359 Berlin

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