Psychother Psychosom Med Psychol 2003; 53(3/4): 152-162
DOI: 10.1055/s-2003-38004
Originalarbeit
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Zum Stand der ambulanten psychotherapeutischen Versorgung der Erwachsenen in der Bundesrepublik Deutschland

The State of Outpatient Psychotherapy in GermanySiegfried  Zepf1 , Ute  Mengele1 , Sebastian  Hartmann1
  • 1Institut für Psychoanalyse, Psychotherapie und Psychosomatische Medizin (Direktor: Prof. Dr. S. Zepf)
Further Information

Publication History

Eingegangen: 20. September 2001

Angenommen: 7. Juni 2002

Publication Date:
20 March 2003 (online)

Zusammenfassung

Vorgestellt werden die Ergebnisse einer bundesrepräsentativen Studie zur Lage der ambulanten psychotherapeutischen Versorgung der Erwachsenen in der BRD, wie sie sich nach dem Inkrafttreten des PTG darstellt. Aus der Befragung von 1042 Psychotherapeuten geht u. a. hervor, dass die Wartezeit auf einen Therapieplatz im Durchschnitt 4,6 Monate beträgt, und dass bei jeder 2. Anfrage wegen eines Erstgespräches und einer möglichen Behandlung keine probatorischen Sitzungen durchgeführt werden. Nach den probatorischen Sitzungen wurden ca. 35 % der diagnostizierten Patienten nicht in ambulante Behandlung genommen, obwohl die diagnostizierten Störungsbilder - Schmerz- und Tinnituspatienten, organisch Kranke mit psychischen Veränderungen, Patienten mit Suizidtendenzen, einer Anorexia nervosa, Suchterkrankungen, einer psychosomatischen Organ-, Persönlichkeits- oder psychotischen Störung - eine Behandlungsbedürftigkeit vermuten lassen. In Form von G-IV-Leistungen befanden sich wiederum nur etwa 56 % der von Löcherbach et. al. ([2] S. 59 f) für behandlungsbedürftig und -willig erachteten erwachsenen Bevölkerung in der BRD in Behandlung. Neben einem ungedeckten Bedarf zeigt die Untersuchung, dass die unterschiedliche Honorierung psychotherapeutischer Leistungen durch die Kostenträger einen deutlichen Einfluss auf den Zugang zur und die Art der Psychotherapie ausübt.

Abstract

This paper presents the results of a study of the state of adult outpatient psychotherapy in Germany after the PTG came into force. 1042 psychotherapists were questioned on certain issues. One result was that patients have to wait 4.6 months for psychotherapy and that every second patient asking for a diagnostic interview and possible treatment was refused. Of those who were given a diagnostic interview 35 % were not taken into treatment, although disturbances were diagnosed - such as tinnitus, pain, organic disturbances with psychic complications, suicidal tendencies, anorexia nervosa, addiction, psychosomatic illnesses, personality disorders, psychotic disorders - would normally demand psychotherapeutic treatment. Furthermore only 56 % of those patients who Löcherbach et al. ([2] S. 59 f) considered needing and wanting psychotherapeutic treatment were actually in a G IV psychotherapy. Apart from this the possibility of getting psychotherapy as well as the kind of psychotherapy proved to be dependent on the kind of medical insurance. Different payments by the insurance companies caused longer waiting times for patients and determined the choice of psychotherapy by the psychotherapists.

Literatur

  • 1 Bedarfsplanungs-Richtlinien-Ärzte. Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Bedarfsplanung sowie die Maßstäbe zur Feststellung von Überversorgung und Unterversorgung in der vertragsärztlichen Versorgung (Bedarfsplanungs-Richtlinien-Ärzte) in der Fassung vom 9.3.93, zuletzt geändert am 7. u. 21. 9. 99. Bundesanzeiger Nr. 202, S.17.999 (26. 10. 99),. 2000
  • 2 Löcherbach P, Henrich T, Kemmer H, Kinstler H J, Knopp-Vater M, Rieckmann N, Schneider A, Weber I. Indikatoren zur Ermittlung des ambulanten psychotherapeutischen Versorgungsbedarfs. Schriftenreihe des Bundesministeriums für Gesundheit, Bd. 125. Baden-Baden; Nomos Verlagsgesellschaft 2000
  • 3 Löcherbach P, Weber I. Versorgungspolitische Auswirkungen: Psychotherapeutische Bedarfsplanung nach dem Gesetz: Ohne Korrektur der Planungszahlen wird Fehlversorgung festgeschrieben.  J Psychol. 2000;  8 (4) 27-40
  • 4 Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen .Gutachten zur „Bedarfsgerechtigkeit und Wirtschaftlichkeit”, Bd III, Über-, Unter- und Fehlversorgung. 2000/2001 Internet: www.svr-gesundheit.de
  • 5 Meyer A E, Richter B, Grawe K, Schulenburg J M, Graf V D, Schulte B. Forschungsgutachten zu Fragen eines Psychotherapeutengesetzes. Im Auftrag des Bundesministeriums für Jugend, Frauen, Familie und Gesundheit. Eppendorf; Universitätskrankenhaus 1991
  • 6 Schmid R. Psychotherapiebedarf: Analyse und Bewertung epidemiologischer Anhaltsziffern und bedarfsbezogener Aussagen unter Bezugnahme auf das „Forschungsgutachten zu Fragen eines Psychotherapeutengesetzes”. Köln; Expertise im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit Eigendruck, 1992
  • 7 Wittchen H-U. „Bedarfsgerechte Versorgung psychischer Störungen” - Abschätzung aufgrund epidemiologischer, bevölkerungsbezogener Daten. Stellungnahme im Zusammenhang mit der Befragung von Fachgesellschaften durch den Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen. 2001 Internet: www.svr-gesundheit.de
  • 8 Zepf S, Marx A, Mengele U. Die ambulante psychotherapeutische Versorgungslage der Erwachsenen im Saarland.  Psychotherapeut. 2001;  46 75-81
  • 9 Bowe N. Anhaltende Honorarmisere und ihre Folgen.  Psychotherapeut. 1999;  44 251-256
  • 10 Verband der privaten Krankenversicherungen .Die private Krankenversicherung. Zahlenbericht 1999/2000. Bundesministerium für Gesundheit 2000 BMG 228, GKV Statistik KM 6
  • 11 Lamprecht F. Die ökonomischen Folgen von Fehlbehandlungen psychosomatischer und somatopsychischer Erkrankungen.  Psychother Psychosom med Psychol. 1996;  46 283-290
  • 12 Schild H. Existenz psychotherapeutischer Praxen nach wie vor bedroht.  Psychotherapeut. 2000;  45 118-123
  • 13 KVB .Dienstauflage der Kassenärztlichen Bundesvereinigung: Die vertragsärztliche Versorgung im Überblick. Köln; Dt. Ärzte-Verlag 1999

1 Als weitere Elemente der Bedarfsbestimmung werden noch der „kulturelle Kontext” und der „gesellschaftliche Wandel” angeführt ([4] S. 43).

2 Bei der Auswertung werden die Ergebnisse dieser Untersuchung einbezogen.

3 Für die Beratung in statistischen Fragen danken wir Herrn Prof. Dr. Feldmann (Direktor des Instituts für medizinische Biometrie, Epidemiologie und Informatik der Universitätskliniken des Saarlandes).

4 Wo nicht anders vermerkt, sind im Folgenden die Konfidenzintervalle (95%) angegeben.

5 Diese Rangfolge der unbehandelt gebliebenen Störungsbilder findet sich mit leichten Differenzen auch in den einzelnen Bundesländern wieder.

6 G-IV-Leistungen beziehen sich in diesem Zusammenhang auf Einzel- und Gruppenbehandlungen in Form einer Kurz-, Langzeit- oder psychoanalytischen Therapie.

7 Um eine ausreichende Repräsentativität der Planungsbereiche und Therapeuten zu erreichen, waren Nordrhein und die Bundesländer Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern, Saarland und Sachsen als Gebiete für die Befragung ausgewählt worden.

8 Wie in jeder Befragung lässt sich auch in dieser Untersuchung über die Gründe einer Nichtteilnahme nur spekulieren Die Frage, ob sich die 4019 Psychotherapeuten, welche den Fragebogen nicht beantworteten, von den teilnehmenden Psychotherapeuten hinsichtlich ihrer Praxistätigkeit unterscheiden, kann nicht beantworten werden.

9 „Eine Versorgung bei individuellem, professionell und wissenschaftlich anerkanntem Bedarf, die verweigert wird, oder nicht (zumutbar) erreichbar zur Verfügung gestellt wird, obwohl an sich Leistungen mit hinreichend gesichertem gesundheitlichen Nutzen und einer akzeptablen Kosten-Nutzen-Relation vorhanden sind, ist eine Unterversorgung.”

Prof. Dr. med. S. Zepf

Institut für Psychoanalyse · Psychotherapie und Psychosomatische Medizin · Universitätskliniken des Saarlandes · Geb. 2

66421 Homburg/Saar

Email: pppszep@med-rz.uni-sb.de

    >