Krankenhauspsychiatrie 2003; 14(1): 1
DOI: 10.1055/s-2003-37931
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Auf dem Weg in die Mittäterschaft?

On the Way to Collaboration Again?R. Kortus1
  • 1Gerontopsychiatrische Abteilung, Zentrum für Psychiatrie, Winnenden
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
13. März 2003 (online)

Wo befindet sich eigentlich die Krankenhauspsychiatrie heute? Stimmt es nicht mehr, dass gerade die Psychiatrie Beziehungsarbeit zwischen Patient und Therapeut ist? Und erfahre ich als Gerontopsychiater nicht täglich, dass die zugewiesenen Patienten älter sind als noch vor 10 Jahren, vom niedergelassenen Arzt eingewiesen werden ohne vorherige Konsultation mit der Behauptung der Selbst(!)- oder Fremdgefährdung (vielleicht gar durch den Kollegen?).

Und die Antwort von Frau Ulla Schmidt, der verantwortlichen Ministerin? Weiter anhaltende Budgetierung, Drangsalierungsmaßnahmen, arrogante Abfuhr der Ärztevertreter als „professionelle Jammerer”. - Vertreter der Deutschen Krankenhausgesellschaft schreiben im Deutschen Ärzteblatt die indianische Weisheit: „Wenn du entdeckst, dass du ein totes Pferd reitest - steig ab!”

Rainer Kortus

Haben Sie etwa noch nicht bemerkt, dass schon ein übergroßer Anteil der eigentlich für die Klinik vorbereiteten Kollegen auf das tote Pferd schon gar nicht mehr aufsteigt? Der Ärztemangel wird dramatisch. Will denn niemand sehen, dass Seelenärzte, die nur noch Notaufnahmen und Entlassungen durchführen, die keine Zeit mehr für regelmäßige Therapiegespräche und Therapiegruppen sowie begleitende Supervisionen haben, kurz: die für die bisher unbestritten notwendigen psychiatrischen Arbeitsinhalte keine Zeit mehr haben, die stattdessen täglich eine Unzahl von Zetteln mit Nummern beschreiben, Anfragen von Krankenkassen und MdK’s beantworten müssen, Laien von Versicherungen und Krankenhausverwaltungen erklären müssen, wie eine psychiatrische Erkrankung verläuft und behandelt wird, - dass diese Seelenärzte inzwischen oft selber behandlungsbedürftig sind, ausgebrannt, erschöpft, unempathisch und immer öfter glauben, den falschen Beruf ergriffen zu haben?

Kann niemand unseren weisen Politikern klarmachen, dass eine Psychiatrie-Personalverordnung von 1990, die laut DGPPN Ende der 90er Jahre zu durchschnittlich 90 % erfüllt war und heute vielerorts schon 80 % erreicht hat, dass diese PPV ohne Aktualisierung und tatsächliche Umsetzung ein völlig untaugliches Instrument geworden ist, weil es den Missstand erheblicher Leistungsverdichtung ohne entsprechenden Personalzuwachs seit 1990 noch festschreibt und damit den Patienten schadet?

Wollen wir offenen Auges Ausführende einer Gesundheitspolitik bleiben, die ganz offensichtlich als einziges Koordinationssystem Wirtschaftlichkeit und Wettbewerb hat und Begriffe wie Menschlichkeit, Leid und Hilfe nicht mehr kennt?

Oder müssen wir Vorreiter eines zivilen Ungehorsams werden, der täglich die Finger in die Wunde der missachteten Würde des psychisch kranken Menschen legt? Schon einmal haben die Psychiater zu lange dem System gedient. - Noch haben wir die Entscheidung in der Hand, ob wir Mittäter werden oder Seelenärzte bleiben.

Rainer Kortus

Gerontopsychiatrischen Abteilung, Zentrum für Psychiatrie

Schlossstraße 50

71364 Winnenden

eMail: r.kortus@zpn.de

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