Zentralbl Chir 2003; 128(2): 165
DOI: 10.1055/s-2003-37771-2
Kommentar

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Kommentar auf Anforderung der Schriftleitung

W. Lang, C. Stremmel
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Publication Date:
11 May 2004 (online)

In der vorliegenden Untersuchung werden von Tautenhahn et al. experimentelle Ergebnisse zur Biokompatibilität von beschichteten Gefäßprothesen dargestellt. Hierbei wird versucht, eine Interaktion von Gefäßprothesen mit unterschiedlicher Beschichtung und dem Immunsystem nachzuweisen. Als Objekt des Interesses wurde die Zellpopulation der Granulozyten ausgewählt. Auf diesen Zellen wurde die Expression von Proteinen auf der Zelloberfläche, die an der Chemotaxis und der Adhäsion von Immunzellen beteiligt sind, untersucht. Analysiert wurde ein breites Patientengut unterschiedlicher Grunderkrankungen.

Die Autoren widmen sich einem sehr interessanten wissenschaftlichen Gebiet, bei dem sehr wenig fundierte Daten vorliegen und immer wieder Gruppen Immunzellen und Moleküle untersuchen, ohne funktionelle Zusammenhänge aufzuzeigen.

Diese Feststellung gilt auch für die Arbeit von Tautenhahn et al. Die Beobachtung, dass Moleküle, von denen die Funktion bekannt ist, herunter- oder heraufreguliert sind, erklärt noch keine biologische Funktion oder einen kausalen Zusammenhang zwischen zwei Ereignissen. Experimentelle Untersuchungen müssen auch Funktionstests beinhalten, so dass Ursache und Wirkung erkannt werden können. Für die gezeigte Arbeit bedeutet dies, dass nachgewiesen werden müsste, dass die veränderten Granulozyten z. B. vermehrt Zytokine, Superoxidradikale, proteolytische Enzyme produzieren oder verstärkt Phagozytose betreiben. Denn erst durch die Funktionsänderung der Granulozyten werden Interaktionen mit anderen Zellen und der Umgebung ersichtlich und physiologische Prozesse lassen sich erklären.

Des Weiteren ist bei diesen Analysen immer zu berücksichtigen, dass es keine Bedeutung hat, nur nach dem Liganden zu forschen und den Rezeptor zu vernachlässigen; dieser muss immer mit analysiert werden. Denn im biologischen System existieren Feedback-Mechanismen, die einer feinen Regulation unterliegen. Fundierte Aussagen können nur getroffen werden, wenn beide Seiten des biologischen Systems betrachtet werden. Dieser Grundsatz wurde bei diesen Untersuchungen nicht beherzigt. Es wurden zwar die Rezeptoren, z. B. CD62L oder CXCR2, untersucht, jedoch die Liganden CD34 oder Interleukin-8 nicht berücksichtigt. Welche biologische Wirkung ist zu erwarten, wenn der Rezeptor heraufreguliert wird, der Ligand jedoch überhaupt nicht vorhanden ist?

In der Diskussion postulieren die Autoren eine klinische Relevanz ihrer Beobachtungen mit der Intimahyperplasie bei Interponaten oder Prothesen, ohne dass hierfür ausreichend Daten oder mögliche Zusammenhänge aufgezeigt werden. Die Intimahyperplasie ist ebenfalls eine wichtige pathogenethische Veränderung bei der Arteriosklerose [1], jedoch spielen bei der Entstehung dieser Erkrankung Granulozyten keine wichtige Rolle, sondern vor allem Monozyten und Lymphozyten sind in der Induktion der Arteriosklerose beteiligt [1]. Da die Autoren keine funktionellen Zusammenhänge zwischen den Granulozyten und Veränderungen an den Prothesen aufzeigen konnten, ist nur sehr schwer nachzuvollziehen, weshalb gerade diese Zellpopulation untersucht wurde.

Zusammenfassend ist anzumerken, dass experimentelle Untersuchungen zur Biokompatibilität von Gefäßprothesen sehr wichtig sind. Jedoch sollte das untersuchte Patientengut sehr homogen und gut charakterisiert sein. Darüber hinaus muss zu Beginn der Arbeit klar definiert sein, nach welcher Zellpopulation geforscht wird und warum gerade diese Population für die Pathogenese der Erkrankung wichtig ist. Speziell für diese Thematik sind zum Beispiel die Erfahrungen aus der Arterioskleroseforschung sehr wichtig und können helfen, grundlegende Zusammenhänge (wie z. B. Intimahyperplasie) zu erklären [1]. Isolierte Betrachtungen von einzelnen Molekülen sind für die Wissenschaft nicht von Nutzen, wenn nicht immer der Rezeptor und Ligand zusammen berücksichtigt werden. Expressionsuntersuchungen von Proteinen sollten nicht nur mit mindestens 2 unabhängigen Methoden (z. B. Immunhistochemie und rt-PCR) durchgeführt werden, sondern es sollten auch immer Funktionstest mit den beteiligten Zellen erfolgen.

Literatur

Dr. med. C. Stremmel

Chirurgische Klinik mit Poliklinik der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg · Gefäßchirurgie

Krankenhausstraße 12

91054 Erlangen

Email: christian.stremmel@chir.imed.uni-erlangen.de