Pneumologie 2002; 56(12): 768-769
DOI: 10.1055/s-2002-36126
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

N-Acetylcystein zur Behandlung der akuten Exazerbation der chronischen Bronchitis?

Treating Acute Exacerbations of Chronic Bronchitis with N-Acetylcysteine?J.  Behr1
  • 1Medizinische Klinik und Poliklinik I, Klinikum der Universität München Großhadern
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Publication Date:
12 December 2002 (online)

N-Acetylcystein wurde vor über 30 Jahren als Mukolytikum in den Markt der Atemwegstherapeutika eingeführt. Während die Vorstellung einer mukolytischen Wirkung von N-Acetylcystein bei oraler Applikation wegen zu geringer lokaler Konzentrationen des Medikaments im Bronchialsekret kontrovers beurteilt wird [1] [2], werden zwischenzeitlich einige andere Wirkungsmechanismen diskutiert. Hierzu zählen u. a. eine verbesserte Infektabwehr und Bakterizidie der Makrophagen durch N-Acetylcystein sowie vielschichtige intra- und extrazelluläre antioxidative Wirkungen von N-Acetylcystein via des zellulären Glutathionsstoffwechsels [3] [4] [5] [6]. Einige randomisierte und placebokontrollierte Studien zur Frage des Einsatzes von N-Acetylcystein bei chronischer Bronchitis und COPD haben zum Teil positive Ergebnisse, im Sinne einer Senkung der Exazerbationsrate und Symptombesserung, geliefert. In Meta-Analysen konnte gezeigt werden, dass diese Effekte quantitativ sogar mit denen von inhalierbaren Glukokortikosteroiden vergleichbar sind [7] [8]. Allerdings wurden diese Metaanalysen dafür kritisiert, dass die zugrunde liegenden Studien zum Teil bis in die 70er-Jahre zurückreichen, so dass es fraglich erscheint, ob die in den älteren Studien benutzten klinischen Behandlungsstandards ausreichend homogen sind, um als belastbare Datenbasis zu dienen. Zur Klärung der Frage nach der Wirksamkeit und Kosteneffektivität von N-Acetylcystein wird derzeit eine Langzeitstudie zur Dauertherapie der COPD mit oralem N-Acetylcystein durchgeführt, deren Ergebnisse 2003 erwartet werden (BRONCUS-TRIAL) [9].

Die Senkung der Exazerbationsrate als Therapieziel muss allerdings streng unterschieden werden vom Einsatz eines Medikaments als therapeutische Intervention im Rahmen einer akuten Exazerbation der chronischen Bronchitis. Dennoch wird N-Acetylcystein in Deutschland bei Infekten der unteren Atemwege häufig in Kombination mit Antibiotika eingesetzt. Dieses Vorgehen ist rein empirisch, da Studien hierzu fehlen. N-Acetylcystein findet daher auch keine Berücksichtigung in einschlägigen Empfehlungen der Fachgesellschaften zur Therapie von Infektionen der unteren Atemwege [10].

In der vorliegenden Ausgabe der Zeitschrift „Pneumologie” fassen die Autoren Reichenberger und Tamm die Studien zu diesem Thema zusammen und berichten außerdem über eine eigene Pilotstudie an 24 Patienten mit chronischer Bronchitis und akuter Infektexazerbation mit positivem Nachweis von pathogenen Bakterien im Sputum [11]. Den Endpunkt einer negativen Sputumbakteriologie nach 7 und 21 Tagen erreichten signifikant mehr Patienten in der Gruppe, die zusätzlich zu Amoxicillin/Clavulansäure eine Behandlung mit 2 × 600 mg N-Acetylcystein für 3 Wochen erhalten hatten. Dieses positive Ergebnis spricht dafür, dass die klinische Praxis, bei Infektexazerbation einer chronischen Bronchitis zusätzlich zu einem Antibiotikum und gegebenenfalls intensivierter antiobstruktiver Medikation, auch N-Acetylcystein zu verordnen, sinnvoll sein könnte. Allerdings muss neben der begrenzten Fallzahl der Pilotstudie insbesondere das Fehlen von Lungenfunktionsbefunden kritisiert werden, da hierdurch die Beurteilung des Schweregrades einer eventuellen Bronchialobstruktion bei den untersuchten Patienten nicht möglich ist. Auch Unterschiede in den beiden Behandlungsgruppen in dieser Hinsicht lassen sich dementsprechend nicht feststellen. Darüber hinaus wird die von den Autoren verwendete „Standardtherapie” mit Bronchodilatatoren und Steroiden nicht weiter hinsichtlich Dosis, Intensität und Dauer dieser Behandlungsmaßnahmen differenziert. Auch wenn die Vorstellung, dass für die Senkung der Exazerbationsrate der chronischen Bronchitis und eine möglicherweise verbesserte Eradikation bakterieller Krankheitserreger bei akuten Exazerbationen der gleiche Wirkungsmechanismus von N-Acetylcystein verantwortlich sein könnte, suggestiv ist, geben die vorliegenden Studien hierüber keinen Aufschluss

Die Autoren haben ein klinisch sicher relevantes Thema aufgegriffen und es ist zu hoffen, dass das positive Ergebnis der Pilotstudie als Anstoß für größere Folgestudien dienen möge. An der Erkenntnis, dass die aktuelle Datenlage für eine evidenzbasierte Empfehlung von N-Acetylcystein als unterstützende Therapiemaßnahme bei Infektexacerbationen der chronischen Bronchitis unzureichend ist, führt derzeit aber kein Weg vorbei.

Literatur

  • 1 De Caro L, Ghizzi A, Costa R. et al . Pharmacokinetics and bioavailability of oral acetylcysteine in healthy volunteers.  Arzneimittelforschung. 1989;  39 382-386
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  • 4 Linden M, Wieslander E, Eklund A. et al . Effects of oral N-acetylcysteine on cell content and macrophage function in bronchoalveolar lavage from healthy smokers.  Eur Respir J. 1988;  1 645-650
  • 5 Cantin A M, Begin R. Glutathione and inflammatory disorders of the lung.  Lung. 1991;  169 123-138
  • 6 Kharazmi A. The anti-inflammatory properties of N-acetylcysteine.  Eur Respir J. 1992;  2 32-34
  • 7 Grandjean E M, Berthet P, Ruffmann R. et al . Efficacy of oral long-term N-acetylcysteine in chronic bronchopulmonary disease: a meta-analysis of published double-blind, placebo-controlled clinical trials.  Clin Ther. 2000;  22 209-221
  • 8 Stey C, Steurer J, Bachmann S. et al . The effect of oral N-acetylcysteine in chronic bronchitis: a quantitative systematic review.  Eur Respir J. 2000;  16 253-262
  • 9 Decramer M, Dekhuijzen P N, Troosters D. et al . The bronchitis randomized on NAC cost-utility study (BRONCUS): hypothesis and design.  Eur Respir J. 2001;  17 329-336
  • 10 ERS Task Force Report . Guidelines for management of adult community-acquired lower respiratory tract infections.  Eur Respir J. 1998;  11 986-991
  • 11 Reichenberger F, Tamm M. N-Acetylcystein in der Therapie der chronischen Bronchitis.  Pneumologie. 2002;  56 793-797

PD Dr. med. J. Behr

Leiter des Schwerpunkts Pneumologie · Medizinische Klinik und Poliklinik I · Klinikum der Universität München Großhadern

Marchioninistr. 15

81377 München

Email: jbehr@med1.med.uni-muenchen.de

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