Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2002; 37(11): 649-650
DOI: 10.1055/s-2002-35120
Gasteditorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Einseitige Spinalanästhesie - ein schönes, aber praxisfernes Konzept?

One-Sided Spinal Anaesthesia - Does it Really Work?V.  Hempel1
  • 1Klinikum Konstanz
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Publication Date:
29 October 2002 (online)

Spinalanästhesien sind in den letzten Jahren populärer denn je: Ihre Erfogssicherheit, ihr geringer Zeitbedarf und die niedrigen Material- und Medikamentenkosten sprechen für die Methode. Die Probleme - Liquordrainage-Folgen - sind durch modernes Instrumentarium weitgehend vermeidbar. Das Anlegen der Anästhesie erfolgt entweder im Sitzen - unrsprünglich auf die Praxis Tuffiers zurückgehend - oder in Seitenlage - entsprechend den Beschreibungen von Bier. Dass die Wahl der Lagerung in Verbindung mit der Barizität des Lokalanästhetikums großen Einfluss auf die Ausbreitung der Spinalanästhesie haben kann, wurde von Pitkin [4] erstmals systematisch untersucht. Ein großer Teil der Spinalanästhesien wird für einseitige Prozeduren angelegt. Da bietet natürlich eine auf die Operationsseite beschränkte Anästhesie theoretisch große Vorteile: Kreislaufreaktionen sind geringer, Miktionsbeschwerden seltener, und der Patient ist schneller wieder mobil. Für den Einsatz bei ambulanten Eingriffen ist der Vorteil der Einseitigkeit besonders augenfällig. Die einseitige Spinalanästhesie ist seit langem bekannt. Sowohl die hyperbare (auf der untenliegenden Seite) als auch die hypobare Methode wurden empfohlen. Die hyperbare Technik geht auf Barker zurück, der sie 1907 beschrieb [1], die hypobare auf Babcock [2]. Allerdings stützen sich die hypobaren Techniken - mit der Ausnahme einer Studie aus der Schweiz - auf Medikamente wie Dibucain oder Tetracain, die als Trockensubstanz aufgelöst werden und mittlerweile in Deutschland völlig unüblich sind. Nur die Studie von Van Gessel et al. [5] untersucht hypobare Spinalanästhesien mit Bupivacain (0,5 %iges isobares Bupivacain, verdünnt mit Aqua dest. auf 0,25 %). Man kann also feststellen, dass hypobare Spinalanästhesien trotz theoretisch interessanter Eigenschaften - Vorteil der Einseitigkeit wie oben, dazu im Idealfall auf der untenliegenden Seite vorhandener Gefäßtonus und die Möglichkeit, ohne die Gefahr des Aufsteigens der Anästhesie Kopftieflage herzustellen sowie die Praktikabilität sehr langer Seitenlagerungen bei Eingriffen, die sowieso in Seitenlagerung durchgeführt werden - wie manche Hüftoperationen -, im klinischen Alltag in Vergessenheit geraten ist. Hyperbare Lokalanästhetika finden dagegen breite Anwendung zur Spinalanästhesie, weil sie erlauben, die Ausbreitung der Anästhesie mit Hilfe der Schwerkraft in kraniokaudaler Richtung durch Lagerung zu beeinflussen, und so bietet es sich natürlich an, in der klinischen Praxis gewissermaßen als Nebenprodukt auch einseitige Anästhesien anzustreben. Die in diesem Heft publizierte Arbeit von Frank, Schuster und Biscoping [3] kommt allerdings beim Einsatz von 4 %iger hyperbarer Mepivacainlösung mit 8 % Glukose zu enttäuschenden Ergebnissen: Weder durch Seitenlagerung für fünf noch für 15 Minuten lässt sich zuverlässig eine einseitige Anästhesie erreichen. Weder motorisch noch sensorisch findet sich eine deutliche Seitenbetonung.

Die Autoren diskutieren ihr negatives Ergebnis im Lichte anderer Studien, die hyperbares Bupivacain einsetzten und durchaus einseitige Anästhesien herstellen konnten. Sie schließen daraus, dass das wesentlich stärker lipophile Bupivacain bessere Voraussetzungen für einseitige Spinalanästhesien mitbringt als das Mepivacain. Bupivacain ist mit Abstand das am häufigsten eingesetzte Lokalanästhetikum zur Spinalanästhesie, es zeigt eine lokal bessere Verträglichkeit als das Mepivacain. Dass es länger wirkt, hat zwei Seiten: Einerseits ist eine längere Wirkungsdauer für viele Eingriffe erforderlich, andererseits gibt es deutliche Hinweise, dass die Frequenz von Miktionsstörungen mit der Wirkungsdauer einer Spinalanästhesie korreliert. Bedarf für ein kürzer wirksames Lokalanästhetikum zur Spinalanästhesie ist also durchaus vorhanden. Die vorliegende Studie verzichtet auf Besonderheiten wie sehr lange Seitenlagerung und extrem langsame Injektionstechnik. Die Spinalanästhesien wurden primär im Sitzen angelegt, bevor die Seitenlage hergestellt wurde. Die Dosierung von jeweils 80 mg Mepivacain entsprechend 2 ml der 4 %igen Lösung erscheint für eine einseitig geplante Spinalanästhesie sehr üppig. Eine gerichtete Injektion durch Einsatz einer „vektoriellen” Kanüle (Kanüle mit seitlicher Öffnung, z. B. Whitacre- oder Sprotte-Nadel) wurde nicht angestrebt. Somit bleibt den Anhängern der seitenbetonten Anästhesie durchaus die Chance, zu besseren Ergebnissen bezüglich einer seitenbetonten Anästhesie zu kommen, indem sie primär in Seitenlage punktieren, Bupivacain einsetzen, über „vektorielle Kanülen” mit der Öffnung zur Operationsseite injizieren und mäßig dosieren (z. B. < 10 mg Bupivacain). Hier sind Untersuchungen gefordert, die sich in der Sorgfalt der Planung und Durchführung an der hier vorliegenden Studie orientieren. Sie sollten aber im Gegensatz zu dieser Studie die Voraussetzungen für einen seitenbetonten Effekt optimieren, soweit das klinisch vertretbar ist. Das Konzept der „Hemi-Spinalanästhesie” ist zu schön, um es einfach so zu begraben.

Literatur

  • 1 Barker A E. Clinical experiences with spinal anaesthesia in 100 cases.  Brit Med J. 1907;  I 665-668
  • 2 Babcock W W. Spinal anesthesia; with report of surgical clinics.  Surg Gyneciol Obstet . 1912;  15 606-610
  • 3 Frank A, Schuster M, Biscoping J. Der Einfluss der Lagerungsdauer auf die Qualität der Hemi-Spinalanästhesie. AINS 2002
  • 4 Pitkin G. Controllable spinal anesthesia.  Am J Surg. 1928;  5 537-542
  • 5 van Gessel E F, Forster A, Schweizer A, Gamulin Z. Comparison of hypobaric, hyperbaric and isobaric solutions of bupivacaine during continuous spinal anesthesia.  Anesth Analg. 1991;  32 779-784

Prof. Dr. Volker Hempel

Klinikum Konstanz

Luisenstr. 7

78464 Konstanz

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