Viszeralchirurgie 2002; 37(5): 333-339
DOI: 10.1055/s-2002-34282
Aktuelle Chirurgie
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Bedeutung von Scoringsystemen für die Chirurgie

Importance of Scoring Systems in SurgeryC.  Ohmann1 , R.  Lefering2
  • 1Koordinierungszentrum für Klinische Studien, Medizinische Fakultät, Heinrich-Heine-Universität, Düsseldorf
  • 2Biochemische und Experimentelle Abteilung am II. Chirurg. Lehrstuhl der Universität zu Köln
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Publication Date:
23 September 2002 (online)

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Einleitung

Score bedeutet im Englischen „Punktzahl”, „Rechnung” oder „Torstand” (im Sport). In der Medizin sind Scoresysteme die Beschreibung eines komplexen Sachverhalts durch einen numerischen Punktewert. Scoringsysteme basieren auf einer Gewichtung und Kombination klinischer Parameter. Das Vorhandensein klinischer Symptome oder Zeichen oder die Abweichung eines physiologischen oder biochemischen Parameters von seinem Normwert wird mit einer Zahl gewichtet und diese bei einem Patienten beobachteten Gewichte werden zu einem Gesamt- Scorewert summiert. Die so erhaltene Zahl, der Scorewert, beschreibt also ein multidimensionales Geschehen durch einen eindimensionalen Zahlenwert.

Warum diese Reduktion? Es ist der Versuch, komplexe Situationen wie die Kombination verschiedener Symptome bei der Diagnosefindung oder die Beschreibung des Krankheitsschweregrades eines Patienten durch seinen physiologischen Zustand durchschaubarer, nachvollziehbarer und objektiver zu gestalten. Scores versuchen, das „Wesentliche”, das „Wichtige” einer Situation herauszugreifen und zu kombinieren [1] [2] [3]. Durch seine formale Natur erreicht der Score dabei ein hohes Maß an Reproduzierbarkeit und Objektivität.

Neben diesen Vorteilen darf aber nicht außer Acht gelassen werden, dass es sich bei einem Scorewert um eine starke Reduktion der Gesamtsituation handelt. Hinter einem Scorewert können sich sehr viele unterschiedliche Situationen in der Realität verbergen. Daher ist eine Überinterpretation zu vermeiden. Ein Score sollte als der Versuch einer Zusammenfassung der gegeben Situation verstanden werden, die den klinischen Befund nicht ersetzt, sondern ergänzt.

Die Anwendungsbereiche von Scoresystemen umfassen die Unterstützung von Diagnose, Prognose, Therapie und Überwachung [1] [2] [3]. Ein besonderer Stellenwert kommt dabei der Prognosestellung zu. Die Prognosestellung ist ein wichtiger und integraler Bestandteil ärztlicher Tätigkeit. Sie stellt die Grundlage für eine geeignete Therapiewahl dar, so wird z. B. die Operationsindikation von ihr mit beeinflusst. Die Prognosestellung des Arztes ist individuell und basiert auf kausal-funktionalen, empirisch-statistischen und intuitiven Elementen. Erfahrene Ärzte sind meist gut in der Prognosestellung, dies gilt auch für die Einschätzung des operativen Risikos [4]. Dennoch gibt es Probleme. So ist die ärztliche Prognosestellung stark untersucher- und erfahrungsabhängig, die Objektivier- und Formalisierbarkeit ist eingeschränkt und eine zuverlässige Quantifizierung des Risikos ist nicht möglich. Es ist daher nicht verwunderlich, dass Scores, die vom Ansatz her das komplexe Problem der Prognose vereinfachen, reproduzierbar objektivieren und erlernbar machen, großes Interesse und Verbreitung erfahren haben.

Einzelne Scores gibt es zwar schon länger, jedoch erst in den späten 70er und 80er Jahren entwickelte sich nicht zuletzt durch die Möglichkeit, große Datenbanken mit Computern zu analysieren, ein neues und viel beachtetes Forschungsgebiet. Der Fokus der Arbeiten bestand zunächst in der Entwicklung von Instrumenten und in der Bewertung unterschiedlicher methodischer Ansätze. Die Vor- und Nachteile formalisierter expertenbasierter versus statistisch-mathematischer Ansätze und krankheitsspezifischer versus krankheitsübergreifender Scores wurden breit und kontrovers diskutiert. Unzählige Scores, häufig sogar mehrere für die gleiche Krankheit und Fragestellung, wurden entwickelt. Diese Phase ist heute weitgehend abgeschlossen und nur in Einzelfällen, bei bisher nicht adäquat bearbeiteten oder ungelösten Fragestellungen, finden noch Neuentwicklungen statt, so z. B. Scores für die Wiederherstellung nach ambulanter Chirurgie [5]. Inwieweit die Ergebnisse der molekularen Medizin und anderer Disziplinen Prognosemodelle und Scores zukünftig beeinflussen werden, wird sich zeigen. Die weitere Entwicklung in den 90er Jahren war gekennzeichnet durch zahlreiche Evaluierungsstudien und durch Weiterentwicklungen vorhandener Instrumente. Beispiele sind die verschiedenen Versionen des APACHE, des SAPS oder des TISS Scores. Konkurrierende Instrumente unterschiedlicher Forschergruppen haben sich mit definierten Anwendungsbereichen etablieren können. Die Anwendung von Scores ist in die Routine übergangen. Betrachtet man etwa den Lebenszyklus des APACHE Scores, so lässt sich nach den Phasen Innovation, limitierte Diffusion und Verallgemeinerung nun ein konstanter Einsatz beobachten.

Man kann einen Score auch als eine Art „gemeinsame Sprache” verstehen. In dem Maße, wie der Bekanntheitsgrad eines Scores zunimmt, erhöht die Angabe solcher Scorewerte auch den Informationsgewinn beispielsweise für die Leser einer Veröffentlichung einer klinischen Untersuchung. Dieses verstärkt nochmals den Trend hin zu wenigen aber weithin bekannten Scoresystemen.

Literatur

Dr. rer. nat. C. Ohmann

Koordinierungszentrum für Klinische Studien, Medizinische Fakultät, Heinrich-
Heine-Universität

Moorenstraße 5

40225 Düsseldorf

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Fax: 0211/81/19702

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