intensiv 2002; 10(4): 191-192
DOI: 10.1055/s-2002-32641
Recht
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Pflegeeinrichtungen müssen durch geeignetes Qualitätsmanagement sicherstellen, dass Pflegefehler vermieden werden

Werner Schell
  • 1Neuss
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Publication Date:
27 June 2002 (online)

Zu diesem Qualitätsmanagement gehört auch sicherzustellen - vor allem durch ordnungsgemäße Pflegeanamnesen, Pflegevisite und Behandlungspflege sowie Dokumentation dieses Geschehens -, dass Pflegefehler, z. B. Entstehen von Dekubiti, vermieden werden.

Die Problematik des Entstehens von Durchliegegeschwüren wird in jüngster Zeit immer heftiger diskutiert. Anlass gaben dazu u. a. Medienberichte und Gerichtsentscheidungen, die im Zusammenhang mit Schadensersatzforderungen geschädigter Patienten bzw. Heimbewohner ergangen sind.

Nachdem der Bundesgerichtshof (BGH) bereits in seinen Urteilen vom 18.3.1986 - VI ZR 215/84 - und 2.6.1987 - VI ZR 174/86 - eindeutig Position bezogen hatte (Beweislastumkehr bei unzureichender Dekubitusprophylaxe und mangelhafter Dokumentation), ergingen in 1999 zwei viel beachtete Entscheidungen von Obergerichten.[*]

Das Oberlandesgericht (OLG) Köln entschied am 4.8.1999 - 5 U 19/99 - in einer Dekubitusstreitsache und bewilligte einem geschädigten Patienten ein Schmerzensgeld. Der Leitgedanke der Entscheidung des OLG Köln: Das Auftreten von Durchliegegeschwüren (Dekubiti) ist immer vermeidbar - auch bei moribunder Bewertung haben Patienten Anspruch auf die Anwendung der bei einem sonstigen kranken Patienten gebotenen ärztlichen und pflegerischen Sorgfalt.

Das OLG Oldenburg befasste sich danach mit einer ähnlichen Streitsache, in der ein Heimträger ebenfalls zur Zahlung eines Schmerzensgeldes verurteilt wurde. Dabei wurde erneut deutlich, in welch hohem Maße Sorgfaltsanforderungen zur Vermeidung von Dekubiti zu beachten sind.

Der Fall: Eine an Morbus Alzheimer leidende Frau wurde am 24.10.1997 in einem Pflegeheim aufgenommen und dort versorgt. Die Frau war aufgrund der bestehenden senilen Demenz mit einem depressiven Erscheinungsbild weder verbal noch schriftlich zu verständlichen Äußerungen in der Lage. In dem der Pflege zugrunde liegenden Pflegeheimvertrag war ausdrücklich eine pflegerische Versorgung durch erfahrene Pflegekräfte zugesichert worden. Nach einem Aufenthalt von 24 Tagen im Landeskrankenhaus W. kehrte die Heimbewohnerin am 19.11.1997 in das Pflegeheim zurück. Am 21.1.1998 sah sich der die Frau behandelnde Arzt veranlasst, diese zur stationären Behandlung in ein Krankenhaus einzuweisen. Auf dem Einweisungsschein vermerkte der Arzt: „Akute Bewusstseinstrübung, Alzheimer, z. u. ablation mamae, Dekubitus PEG (?)” Bei der daraufhin erfolgten Krankenhausaufnahme wurde am Steiß ein Dekubitus 4. Grades mit Nekrosen in Größen von 10 cm mal 5 cm festgestellt. Nach einer internistischen Behandlung wurde die Patientin am 27.1.1998 zur Operation des Dekubitus in die chirurgische Krankenhausabteilung verlegt. Aus dem Operationsbericht vom 29.1.1998 ergibt sich, dass die bei der Patientin vorhandenen Nekrosen aus der Tiefe mit einem scharfen Löffel sowie einer Schere entfernt worden sind, wobei ein Teil des Steißbeins, welches sich auch bereits in Destruktion befand, mit entfernt werden musste. Außerdem wurde bei der Patientin ein Anus praeter angelegt, um zu verhindern, dass die Analausscheidungen die Wunde des Dekubitus verschmutzten und die Wunde sich entzündete. Die Patientin blieb bis zum 6.3.1998 in stationärer Behandlung im Krankenhaus. Die Wunde war aber nicht endgültig abgeheilt, vielmehr befindet sich im Steißbeinbereich der Patientin eine deutliche Eindellung. Die Patientin verlangte daraufhin die Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes. Dieser Anspruch wurde mit der Behauptung gerichtlich anhängig, im Pflegeheim sei die vereinbarte Pflege nicht ordnungsgemäß erbracht worden. Das angerufene LG (Oldenburg)[*] gab der Klage statt und setzte ein Schmerzensgeld von 25. 000 DM fest. Klägerin und Heimträger legten Berufung ein; der Kläger mit der Behauptung, das Schmerzensgeld sei zu niedrig angesetzt worden. Das OLG (Oldenburg) wies darauf die Berufung des Heimträgers ab; der Klage der Heimbewohnerin wurde stattgegeben und nunmehr ein Schmerzensgeld in Höhe von 35.000 DM festgesetzt (Urteil des OLG Oldenburg vom 14.10.1999 - 1 U 121/98 - [*]).

Entscheidungsgründe: Die Heimbewohnerin habe einen Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 35.000 DM gemäß §§ 823 Abs. 1, 847 BGB i. V.m. 831 BGB. Seit dem Zeitpunkt ihrer Rückverlegung vom Landeskrankenhaus W. in das Pflegeheim am 19.11.1997 habe ein Dekubitus 2. Grades bestanden. Dieser Dekubitus habe sich aufgrund grober Pflegefehler im Heim zu einem Dekubitalgeschwür 4. Grades mit Nekrosen entwickelt. Bei der Rückverlegung ins Heim hätte die Heimbewohnerin bei fachgerechter Pflege, da sie inkontinent gewesen sei, sofort von Kopf bis Fuß betrachtet werden müssen, was im vorliegenden Falle aber nicht dokumentiert worden sei. Es sei für diesen Tag, den 19.11.1997, lediglich im Berichteblatt vermerkt „Riss zwischen den Gesäßbacken”. Wegen dieses Risses habe die Bewohnerin aber unverzüglich, spätestens am nächsten Tag, einem Arzt (Allgemeinmediziner oder Internisten) vorgestellt werden müssen. Selbst wenn man dann die Behauptung des Heimträgers, die Bewohnerin sei wegen dieses Risses am 21.11.1997 einem Urologen vorgestellt worden, als richtig unterstelle (wobei die Dokumentation des Heimes dies nicht bestätige, sondern nur einen Hausbesuch dieses Arztes), hätte im weiteren Verlauf die Entwicklung des Dekubitus dokumentiert und eine entsprechende Dekubitusprophylaxe vorgenommen wie auch dokumentiert werden müssen, was hier ebenfalls nicht geschehen sei. Denn eine Dekubitusprophylaxe sei Standard und erfordere eine 2-, zumindest aber 3-stündliche Umlagerung, während die Bewohnerin nachts 6,5 Stunden „schlafen gelassen” worden sei. Dabei müsse allerdings angemerkt werden, dass eine derartige Umlagerung bei unruhigen Alzheimer-Patienten wie der Bewohnerin besonders schwierig sei. Soweit das Heim die Bewohnerin dann mit Betaisadonne behandelt habe, sei dies zwar grundsätzlich als jodhaltige Salbe wegen ihrer antibakteriellen Wirkung bei einem Dekubitus geeignet, aber dieses Medikament sei verschreibungspflichtig. Eine derartige Medikation sei für die Bewohnerin jedoch von keinem Arzt verordnet worden. Im Übrigen fehle es auch für die dokumentierte Behandlung des Risses mit Panthenol an einer entsprechenden Diagnose und Verordnung eines Arztes, wie sich aus dem ärztlichen Verordnungsblatt ergebe. Weiter sei es grob fehlerhaft, dass die Pflegekräfte des Heimes, als keine Besserung eingetreten sei, nicht in zeitlicher Nähe eine erneute Vorstellung der Bewohnerin beim Arzt veranlasst hätten. Soweit die von einem Arzt am 13./14.1.1998 durchgeführte Blutsenkung unauffällig gewesen sei, sei dies kein Anhaltspunkt dafür, dass zu dieser Zeit kein Dekubitus vorhanden gewesen sei. Im Übrigen ergebe sich weder aus dem Berichteblatt noch aus der Dokumentation des Arztes, dass die Bewohnerin dem Arzt am 13.1.1998 wegen des Dekubitus vorgestellt worden sei. Eine fachgerechte Behandlung hätte den schweren Verlauf des Krankheitsprozesses vermeiden können. Unter Berücksichtigung aller Umstände sei die Pflege der Bewohnerin im Heim als grob fehlerhaft einzustufen. Es handele sich um Verstöße gegen bewährte Pflegebehandlungsregeln, die in der Pflege schlechterdings nicht unterlaufen dürften. Das Pflegepersonal habe zu spät den Dekubitus erkannt, die Bewohnerin nicht einem Arzt vorgestellt und keine geeigneten Maßnahmen (Dekubitusprophylaxe) durchgeführt. Deshalb seien hier für die Frage der Kausalität zwischen den Pflegefehlern und der Entwicklung des Dekubitus 2. Grades zu einem 4. Grades die Regeln über Beweiserleichterungen anwendbar. Solche Beweiserleichterungen seien generell im Falle von grob behandlungsfehlerhaften Verhaltens anzuwenden. Dies führe hier zu einer Beweislastumkehr, da die lückenhafte Dokumentation des Heimträgers zudem die Aufklärung erschwere. Denn in der Zeit ab Bestehen des Dekubitus am 19.11.1997 spätestens sei der Zustand/die Entwicklung des Risses nicht dokumentiert worden. Die Regeln der Beweislastverteilung bei ärztlichen Behandlungsfehlern seien auch beim Krankenpflegepersonal anzuwenden. Für die Pflegefehler habe daher der Heimträger gemäß § 831 BGB einzustehen. Der Heimträger habe die für den nach § 831 BGB möglichen Entlastungsbeweis erforderlichen Umstände, dass alle organisatorischen Vorkehrungen gegen das Übersehen eines Dekubitus getroffen worden seien, weder dargelegt noch unter Beweis gestellt. Unter Berücksichtigung aller Umstände sei die Zahlung eines Schmerzensgeldes von insgesamt 35.000 DM angemessen. Schmerzensgeldmindernd sei aber zu berücksichtigen gewesen, dass die Lebensqualität der am Morbus Alzheimer leidenden Frau bereits zuvor durch die Krankheit stark eingeschränkt gewesen sei. Die zugefügten Schmerzen und Bewegungsbehinderungen seien im Übrigen infolge des M. Alzheimer „sofort vergessen”.

1 Urteilsvorstellung in „Pflegerecht im Spiegel der Rechtsprechung” (http://www.pflegerechtportal.de).

2 Urteil des LG Oldenburg vom 30.6.1998 - 8 O 1054/98 -

3 Quelle: anonymisierte Urteilsschrift beim Autor; PflegeRecht 2000; 8: 262 ff.; Bruns/Debong/Andreas. Unzureichende Pflege - Schmerzensgeld wegen Pflegefehlern. Die Schwester/Der Pfleger 2000;4: 330 ff.; Rechtsdienst der Lebenshilfe 2000; 3: 142 f.

Werner Schell, Dozent/Diplom-Verwaltungswirt

Harffer Straße 59

41469 Neuss

URL: http://www.wernerschell.de

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