Z Orthop Ihre Grenzgeb 2002; 140(2): 143-144
DOI: 10.1055/s-2002-31531
Editorial

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Knorpelersatz - Arthroseforschung tut not!

Cartilage substitutes - a topic arthrosis researchF.  U.  Niethard1
  • 1Orthopädische Klinik, RWTH Aachen
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Publication Date:
23 May 2002 (online)

Die demographischen Veränderungen fordern es geradezu heraus: Wenn die Gesellschaft mobil bleiben will, muss sie sich um die Erforschung der Arthrose kümmern. Es gehört zu den erklärten Zielen der Bone and Joint Decade, die Forschung universitärer und anderer Forschungseinrichtungen auf diesem Gebiet zu fördern [10]. Gründe dafür gibt es genug:

Gelenkerkrankungen sind die häufigste chronische Erkrankung im Alter Über 40 % der über 70jährigen leiden an Gonarthrose 25 % der Betroffenen sind in den Aktivitäten des täglichen Lebens dadurch stark behindert.

Das alles kostet die Gesellschaften viel Geld. In der BRD lagen die direkten Kosten für Erkrankungen und Verletzungen der Haltungs- und Bewegungsorgane 1994 mit 20,8 % und die indirekten Kosten mit 40 % weit vor denjenigen für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Dennoch spielt die Arthroseforschung ein kümmerliches Dasein. In den USA werden große Summen für die Krebs-, Aids- und Herz-Kreislauf-Forschung ausgegeben, ein Bruchteil nur davon entfällt auf die Arthroseforschung (Abb. [1]).

Abb. 1 Finanzielle Unterstützung des NIH (National Institute of Health) für ausgewählte Krankheiten (in Millionen $) [9].

Dies führt dazu, dass sich die Arthroseforschung neue Wege sucht. Wenn kaum öffentliche Mittel zur Verfügung stehen, nehmen sich privatwirtschaftliche Institutionen dieses „Marktes” an. Dieses gilt ganz besonders für die derzeit unüberschaubaren Möglichkeiten des Knorpelersatzes und des Tissue engineering. Nebeneinander werden die Glättung und Sanierung der Knorpeloberfläche, die Anbohrung [12], Mikrofrakturierung [14] und Spongialisation der Gelenkfläche [6], die Gewebestimulierung durch Karbonfaser- [2] und Polylactidstifte, die autologe Chondrozytentransplantation (ACT [3]), die Periost- und Perichondriumtransplantation [4] sowie die Transplantation von intaktem Gelenkknorpel aus weniger belasteten Gelenkanteilen (Mosaikplastik [13]) angepriesen. Die Gentherapie steht in den Startlöchern (siehe dazu Beitrag von Pelinkovic et al. in diesem Heft). Kritische Anmerkungen zu der ungezielten Anwendung neuer Methoden sind in dieser Zeitschrift wiederholt veröffentlicht worden [5].

In diesem Heft der Zeitschrift für Orthopädie wird über die Bemühungen der wissenschaftlichen Gesellschaften von Orthopädie (DGOOC) und Unfallchirugie (DGU) berichtet, die sich zum ersten Mal gemeinsam einer drängenden wissenschaftlichen Fragestellung angenommen haben, um die ungeregelten Entwicklungen zu bahnen und Empfehlungen für ein standardisiertes Vorgehen in der Praxis abzugeben [1]. Eine derartige Stellungnahme der wissenschaftlichen Gesellschaften stand aus, da sich bereits der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen wegen zahlreicher Gutachten der Medizinischen Dienste und anhängender sozialgerichtlicher Verfahren mit der autologen Chondrozytentransplantation beschäftigen musste. Zu Recht haben die beurteilenden Ärzte angemerkt, dass zu dieser Thematik derzeit keine herstellerunabhängigen Forschungsergebnisse vorliegen, was die Initiative der Bone and Joint Decade nach besserer öffentlicher Unterstützung der Arthroseforschung noch einmal deutlich unterstreicht [7]. Darüber hinaus weisen die Autoren darauf hin, dass die Methode als Behandlungskonzept mehrere Therapiebestandteile enthält, denen potenziell eine eigene Wirksamkeit zukommt (Debridement, Periostlappen, Entlastung, Rehabilitation) und „die Anzüchtung der zu implantierenden Knorpelzellen wie auch die Implantation selbst nicht durchgehend standardisiert sind”.

Welche Bedeutung die Verfahren zur Kultivierung haben und wie unterschiedlich sie gehandhabt werden, wird in diesem Heft von Huch et al. 2002 [8] aufgezeigt. Die Arbeitsgemeinschaft ACT hat auch hier Standards entwickelt, die sich nun in der Praxis durchsetzen müssen. Es wird an der Zusammenarbeit orthopädischer und unfallchirurgischer Kliniken liegen, wie schnell sich die hervorragende Vorarbeit vor Ort umsetzen lässt. Die Kliniken sind gefordert; denn der Bundesausschuss Ärzte und Krankenkassen hat keinen Zweifel daran gelassen: Diese Technologie ist derzeit nicht für die Anwendung in der ambulanten Versorgung geeignet.

Literatur

  • 1 Behrens P, Bruns J, Erggelet C H, Esenwein S, Gekle C, Gaissmaier C, Krackhardt T, Marlovits S, Mollenhauer J, Niethard F U, Perka C, Ruhnau K, Schneider U, Steinwachs M, Weise K. Arbeitsgemeinschaft ACT und Tissue Engineering unter Schirmherrschaft der DGOOC und DGU.  Z Orthop. 2002;  140: 132-137
  • 2 Brittberg M, Lindahl A, Nilsson A, Ohlsson C, Isaksson O, Peterson L. Treatment of deep cartilage defects in the knee with autologous chondrocyte transplantation (see comments).  N Engl J Med. 1994;  331: 889-895
  • 3 Brittberg M, Faxen E, Perterson L. Carbon fiber scaffolds in the treatment of early knee osteoarthritis. A prospective 4-year follow-up of 37 patients.  Clin Orthop. 1994;  307: 155-164
  • 4 Bruns J, Behrens P, Silbermann M. Das Prinzip der Transplantation autogenen Rippenperichondriums zur Behandlung von tiefen Gelenkknorpeldefekten.  Z Orthop. 1997;  135: 138-144
  • 5 Mortier J, Engelhardt M. Fremdkörperreaktion bei Karbonfaserstiftimplantation im Kniegelenk - Kasuistik und Literaturübersicht.  Z Orthop. 2000;  138: 390-394
  • 6 Ficat R P, Ficat C, Gedeon P, Toussaint J B. Spongialization: a new treatment for diseased patellae.  Clin Orthop. 1979;  74-83
  • 7 Gibis B, Gawlik C, Sander G, Rheinberger P. Autologe Chondrozytenimplantation - ein Verfahren für die vertragsärztliche Versorgung?.  Z ärztl Fortbild Qual Sich. 2001;  95: 219-233
  • 8 Huch K, Stöve J, Puhl W, Günther K P. Vergleichender Überblick über Verfahren zur Kultivierung artikulärer Chondrozyten.  Z Orthop. 2002;  140: 111-118
  • 9 Kirchstein R. Disease-Specific Estimates of Direct and Indirect Costs of Illness and NIH Support. NIH 2000
  • 10 Niethard F U, Puhl W. Die Bone and Joint Decade 2000 - 2010.  Z Orthop. 1999;  137: 1
  • 11 Pelinkovic D, Horas U, Engelhardt M, Lee J Y, Huard J, Fu F H. Gentherapie von Knorpelgewebe.  Z Orthop. 2002;  140: 119-125
  • 12 Pridie K H. A method of resurfacing osteoarthritic knee joints.  J Bone Jt Surg. 1959;  41B: 618-619
  • 13 Siebert C H, Miltner O, Schneider U, Wahner T, Koch S, Niedhart C. Einheilungsverhalten von osteochondralen Transplantaten - tierexperimentelle Untersuchungen an einem Schafmodell.  Z Orthop. 2001;  139: 382-386
  • 14 Steadman J R. Microfracture and debridement for treatment of fullthickness chondral defects. ESSKA Congress Nizza ; 1998

F. U. Niethard

Orthopädische Klinik, RWTH Aachen

Pauwelstr. 30

52074 Aachen

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