Klinische Neurophysiologie 2002; 33(1): 51-53
DOI: 10.1055/s-2002-23090
Nachruf
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Nachruf auf Herrn Priv.-Doz. Dr. med. Bernd-Ulrich Meyer und seine Frau Dr. med. Simone Röricht

Obituary for Priv.-Doz. Dr. med. Bernd-Ulrich Meyer and his Wife Dr. med. Simone RörichtR.  Benecke1
  • 1Universität Rostock, Medizinische Fakultät, Zentrum für Nervenheilkunde
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Publication Date:
25 March 2002 (online)

Die Deutsche Gesellschaft für klinische Neurophysiologie und funktionelle Bildgebung trauert gemeinsam mit den Familien und Freunden um die Neurowissenschaftler Herrn Priv.-Doz. Dr. med. Bernd-Ulrich Meyer und Frau Dr. med. Simone Röricht, die auf dem Höhepunkt ihrer wissenschaftlichen Schaffenskraft gemeinsam mit ihren Kindern Sintram und Merlin am 24. November 2001 bei einem Flugzeugabsturz nahe Zürich tragisch ums Leben kamen.

Priv.-Doz. Dr. med. Bernd-Ulrich Meyer mit Frau Dr. med. Simone Röricht und den Kindern Sintram und Merlin.

Herr Priv.-Doz. Dr. Bernd-Ulrich Meyer wurde am 7. 6. 1960 in Göttingen geboren und studierte in dieser Stadt von 1978 - 1986 Medizin. Er promovierte an der Georg-August-Universität 1986 am Institut für Physiologie nach Vorlage einer Dissertationsarbeit, die sich mit der Blutgasmassenspektrometrie zur Bestimmung der Organdurchblutung beschäftigte. Stimuliert durch seine experimentellen Arbeiten als Promovend strebte er zunächst eine Facharztausbildung im Gebiet der klinischen Anästhesie an, war dann jedoch im Rahmen seiner Bewerbungsgespräche von den Möglichkeiten der klinischen Elektrophysiologie so begeistert, dass er im Jahre 1987 eine Assistentenstelle bei Herrn Prof. Dr. Bastian Conrad, damals Leiter der Abteilung für klinische Neurophysiologie an der Georg-August-Universität, antrat. Der Unterzeichnende war als Oberarzt in dieser Abteilung tätig und gerade als DFG-Stipendiat aus London zurückgekehrt, wo er die Geburtsstunde der schmerzlosen transkraniellen Magnetstimulation des motorischen Kortex am Queen Square Hospital miterlebt und die Technik nach Deutschland mitgebracht hatte. Herr Priv.-Doz. Dr. Meyer war von dieser neuen Methode so fasziniert, dass er sofort gemeinsam mit Prof. Conrad und mir breit angelegte Studien zur Physiologie und Pathophysiologie der transkraniellen Magnetstimulation begann. Der Einsatz dieser Technik blieb bis zu seinem tragischen Tod von zentraler Bedeutung im Rahmen seiner hervorragenden wissenschaftlichen Leistungen. Innerhalb von nur zwölf Monaten entstanden aus dieser äußerst produktiven Zusammenarbeit zehn in internationalen Journalen publizierte Studien, die sich mit den Grundlagen der transkraniellen Magnetstimulation insbesondere auch mit der Organisation kortikonukleärer Systeme beschäftigen. Parallel zu seinen wissenschaftlichen Arbeiten erwarb sich Herr Priv.-Doz. Dr. Bernd-Ulrich Meyer Kenntnisse in den gängigen Untersuchungsmethoden der klinischen Neurophysiologie, wie Elektroenzephalographie, Elektromyographie, Elektroneurographie und Ableitung der evozierten Potenziale und wurde entsprechend Mitglied unserer Gesellschaft. Es ist wohl seiner basalen Abenteuerlust und dem akademischen Wahlspruch, dass der Wechsel zur persönlichen und wissenschaftlichen Reifung beiträgt, zuzuordnen, dass Herr Priv.-Doz. Dr. Meyer dem Angebot des Unterzeichnenden folgte, gemeinsam im Jahre 1988 an die Neurologische Klinik der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf zu wechseln. Dort entstanden in Kooperation mit Prof. Dr. Hans-Joachim Freund, Prof. Dr. Helmuth Steinmetz und Dr. Thomas Britton über einen Zeitraum von knapp zwei Jahren weitere 20 Veröffentlichungen, die sich mit der Kartierung des motorischen Kortex, mit dem Einsatz der transkraniellen Magnetstimulation zur Diagnostik von peripheren Fazialisparesen, mit intrakortikalen exzitatorischen und inhibitorischen Mechanismen der Hirnrinde, mit Reorganisationsmechanismen nach Hemisphärektomie und Veränderungen kortikaler Aktivität bei Basalganglienerkrankungen beschäftigten. Parallel setzte er seine klinisch-neurologische Ausbildung fort und war mit hohem Engagement als Assistenzarzt in der Klinik tätig, wobei immer wieder ins Auge fiel, dass für ihn jeder Patient, auch wenn er an einer häufigen, scheinbar wenig komplexen neurologischen Erkrankung litt, auch ein interessantes neurowissenschaftliches Experiment darstellte, ohne die Güte, Sorge und persönliche Zuwendung den Patienten gegenüber vermissen zu lassen. Während seiner Düsseldorfer Zeit lernte Herr Priv.-Doz. Dr. Meyer seine spätere Ehefrau, Frau Dr. Simone Röricht, kennen, die in der Orthopädischen Klinik der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf an einer Dissertationsarbeit arbeitete, die sich mit dem Einsatz der transkraniellen Stimulation von Nervenwurzeln zur Diagnostik von Nervenwurzelkompressionssyndromen bei degenerativen Lendenwirbelsäulenveränderungen beschäftigte. Sie holte sich im Magnetstimulationslabor der Neurologischen Klinik zunächst häufig technischen Rat, war dann auf wundersame Weise immer häufiger Gast im Labor, auch als freiwillige Versuchsperson, und entschloss sich letztendlich, ihre Dissertationsarbeit mit einem neuen Thema in der Klinik für Neurologie in enger Kooperation mit dem Unterzeichnenden und Herrn Priv.-Doz. Dr. Meyer fortzusetzen. Relativ spät wurde mir und wohl auch Herrn Priv.-Doz. Dr. Bernd-Ulrich Meyer klar, dass diese Umdisposition von Frau Dr. Röricht nicht nur inhaltlich motiviert war, sondern Ausdruck einer zunächst tiefen Sympathie war, die in eine tiefe, für das gesamte gemeinsame Leben andauernde Liebe einmündete. Frau Dr. Simone Röricht wurde 1965 in Weinheim geboren und hatte einen Großteil ihrer Kindheit in Buenos Aires verbracht. Das Thema ihrer Dissertationsarbeit war das „Entladungsverhalten einzelner motorischer Einheiten bei Gesunden und bei Patienten mit multipler Sklerose nach transkranieller magnetischer Kortexstimulation”. Bei der nicht zu verkennenden Zuneigung, die zwischen Herrn Priv.-Doz. Meyer und Frau Dr. Röricht entstanden war, konnten Prof. Dr. Hans-Joachim Freund und ich die wissenschaftliche Mentorenschaft etwas mittelbarer vollziehen, da bei Beobachtung der experimentellen erfolgreichen Zusammenarbeit der beiden Liebenden an einem erfolgreichen Abschluss der Dissertationsarbeit kaum zu zweifeln war.

Nach meiner Erinnerung war es Ende 1989, als es Herrn Priv.-Doz. Dr. Bernd-Ulrich Meyer nach neuen wissenschaftlichen Horizonten drängte. Er nahm bei Herrn Prof. Dr. Bastian Conrad, der inzwischen Direktor der Neurologischen Universitätsklinik der Technischen Universität München geworden war, eine Assistentenstelle an und bekam dort das Angebot, als Leiter eines eigenen Laborbereichs seine Studien über die Magnetstimulation fortzusetzen. Dieser Wunsch und Anspruch war auf dem Boden seiner äußerst erfolgreichen wissenschaftlichen Tätigkeit sicher gerechtfertigt. Wie nicht anders zu erwarten und auch zu hoffen war, folgte Frau Dr. Simone Röricht ihm alsbald nach München. Beide setzten dort auch ihre Facharztausbildung fort, Frau Dr. Röricht war dabei auch in der Neuroradiologie bei Frau Prof. Gräfin von Einsiedel tätig. Im Jahre 1992 war Herr Priv.-Doz. Meyer als Gastwissenschaftler in der Human Movement and Balance Unit am National Hospital Queen Square in London tätig und führte insbesondere mit Prof. John Rothwell und Dr. Konrad Werhahn experimentelle Untersuchungen zur Organisation der Innervation einzelner motorischer Einheiten durch den Tractus corticospinalis und zu Effekten der transkraniellen zerebellären Reizung durch. Während seiner Münchener Zeit entstanden in enger wissenschaftlicher Zusammenarbeit mit seiner Ehefrau wissenschaftliche Arbeiten zur Rolle der Magnetstimulation bei der Diagnostik peripherer Nervenläsionen, grundlegende Arbeiten zur Erregbarkeit verschiedener kortikaler Areale, Arbeiten zur veränderten Hirndurchblutung nach Applikation transkranieller magnetischer Reize und erste Untersuchungen zur Funktionsanalyse des Corpus callosum. 1992 erschien das von ihm herausgegebene erste deutschsprachige Lehrbuch zur Magnetstimulation des Nervensystems, das bis heute hohe Aktualität besitzt und als Standardwerk fungiert. Dabei war Herr Priv.-Doz. Dr. Meyer auch Autor der Majorität der Unterkapitel. In didaktisch hervorragender Form und großer Genauigkeit wurden die anatomisch-funktionellen, technisch-physikalischen, physiologischen und diagnostischer Grundlagen der Magnetstimulation beschrieben. Weiterhin wurde der Einsatz der Magnetstimulation bei der Diagnostik der wichtigsten neurologischen Erkrankungen, das intraoperative Monitoring und erste Ansätze neuropharmakologischer Studien dargelegt.

1994 wechselten Herr Priv.-Doz. Dr. Bernd-Ulrich Meyer und 1995 Frau Dr. Simone Röricht an die Neurologische Universitätsklinik der Humboldt-Universität Berlin (Charité) unter der Leitung von Herrn Prof. Dr. Karl M. Einhäupl. Hier erhielt er die Anerkennung als Facharzt für Neurologie und habilitierte 1996 unter Vorlage einer Arbeit mit dem Thema „Magnetische Stimulation über den motorischen Kortex des Menschen: Charakterisierung exzitatorischer und inhibitorischer Reizeffekte im Hinblick auf die aktivierten neuronalen Mechanismen und Strukturen”. Ebenfalls in diesem Jahr erhielt er den angesehenen Richard-Jung-Preis der Deutschen Gesellschaft für klinische Neurophysiologie für seine umfangreichen Arbeiten auf dem Gebiet der Magnetstimulation des Gehirns und der peripheren Nerven. Seit 1996 leitete Herr Priv.-Doz. Dr. Meyer als Oberarzt unter anderem die Abteilung für kortikale Magnetstimulation, die neurologische Poliklinik und die Gutachtenstelle. Aufgrund seiner inzwischen reichhaltigen klinischen Erfahrung war er ein gefragter Konsiliarius in vielen Bereichen des Klinikums. Erneut in enger Zusammenarbeit mit seiner Ehefrau entstanden in der Berliner Zeit mehr als 30 in internationalen Journalen publizierte Arbeiten zur Organisation des Corpus callosum bzw. zur Diagnostik von Läsionen des Corpus callosum bei angeborenen und erworbenen Affektionen und in der letzten Zeit bahnbrechende Arbeiten zur Reorganisation des menschlichen motorischen Kortex nach Handreplantationen. Weitere Studien beschäftigten sich mit der Organisation des visuellen Systems, mit der Analyse epileptischer Foki und mit plastischen Veränderungen des motorischen Kortex bei Patienten mit fokalen Dystonien. Insgesamt hat Herr Priv.-Doz. Dr. Meyer mehr als 100 Originalarbeiten in angesehenen internationalen Journalen veröffentlicht, er stand kurz vor der Ernennung zum außerplanmäßigen Professor an der Charité und sah der Einrichtung einer klinischen Forschergruppe zum Thema „Dystonie” unter seiner Leitung entgegen. Auch Frau Dr. Röricht hatte trotz der Belastung durch die Erziehung ihrer beiden Söhne Sintram und Merlin eine äußerst positive akademische Entwicklung in Berlin genommen. Wenige Wochen vor ihrem tragischen Tod hatte sie nach einem strengen Auswahlverfahren die Zusage erhalten, als eine der ersten an der Charité als Juniorprofessorin an der Humboldt-Universität berufen zu werden.

Die Deutsche Gesellschaft für klinische Neurophysiologie und funktionelle Bildgebung und die gesamte neurologische Familie haben zwei äußerst produktive Wissenschaftler und ausgesprochen sympathische Kollegen verloren. Herr Priv.-Doz. Dr. Bernd-Ulrich Meyer, mit dem ich insgesamt vier Jahre sehr eng zusammengearbeitet habe und auch anschließend noch freundschaftlich verbunden war, beeindruckte während seiner gesamten Schaffenszeit durch großen Fleiß und unstillbaren Wissensdurst. Hervorzuheben war sein hervorragender Charakter mit unerschütterbaren akademischen und lebensphilosophischen Idealen. Niemals war er bereit, unbefriedigende Kompromisse, Ungerechtigkeiten bei der Verteilung wissenschaftlicher Ehren oder unzureichende Motivation ihm unterstellter Kollegen bei der Versorgung der Patienten hinzunehmen. Die wissenschaftliche Kommunikation mit ihm war immer intensiv, manchmal wohltuend anstrengend und stets von Erfolg gekrönt. Immer war er bereit, auch uneigennützig beratend für andere seine Kenntnisse einzubringen. Er zeigte sich äußerst hilfreich als akademischer Lehrer und widmete sich auch mit großem Engagement der Weiterentwicklung der klinischen Neurophysiologie in Deutschland. Gerade hatte er die Aufgabe eines Koordinators im Bereich Magnetstimulation innerhalb der Fortbildungsakademie der Deutschen Gesellschaft für klinische Neurophysiologie und funktionelle Bildgebung übernommen. Weiterhin war er Liaison Board Member in der Zeitschrift „Clinical Neurophysiology”.

Die Tatsache, dass Herr Priv.-Doz. Dr. Bernd-Ulrich Meyer und Frau Dr. Simone Röricht beide wohl auf dem Höhepunkt ihrer wissenschaftlichen Schaffenskraft mit ihren beiden Söhnen tragisch ums Leben gekommen sind, erfüllt uns mit Genugtuung beim Zurückblick, jedoch auch mit Schmerz beim Blick in die Zukunft. Die Erinnerung an die beiden verlorenen, hervorragenden Menschen wird in unseren Herzen und Hirnen bleiben, wir werden sie sehr vermissen und ihr Andenken bewahren.

Prof. Dr. Reiner Benecke

Prof. Dr. R. Benecke

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