Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2002; 37(3): 174-175
DOI: 10.1055/s-2002-21801
Leserbrief
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Bisher keine Wirkung von Urodilatin beim
akuten Nierenversagen bei Intensivpatienten nachgewiesen

Michels P, Tarnow J. Natriuretische Peptide: Physiologische, pathophysiologische und klinische Aspekte. Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2001; 36: 406 - 416.M.  K.  Herbert
  • Klinik für Anästhesiologie der Universität Würzburg
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Publication Date:
28 April 2004 (online)

Die umfassende und sehr informative Übersicht „Natriuretische Peptide: Physiologische, pathophysiologische und klinische Aspekte” [1] haben wir mit großem Interesse gelesen. Neben vielen interessanten Details zum Wirkmechanismus wurde u. a. angesprochen, dass große Hoffnungen auf ANP-Derivate, speziell auf Urodilatin, als neue und wirkungsvolle Option in der Therapie des akuten Nierenversagens gesetzt wurden. Das Interesse an der pharmakologischen Therapie des akuten Nierenversagens war lange Zeit durch die Erfolge der extrakorporalen Eliminationsverfahren und durch den Mangel an wirksamen neuen Substanzen in den Hintergrund getreten [2]. Obwohl heute fast niemand mehr am akuten Nierenversagen selbst verstirbt, wurde in vielen Untersuchungen gezeigt, dass das akute Nierenversagen ein Ereignis darstellt, das für den Krankheitsverlauf ganz entscheidend ist und einen der stärksten prädiktiven Faktoren für Pathogenese und Outcome der Patienten darstellt [3] [4] [5]. Hieraus resultiert das besondere Interesse an Urodilatin zur Therapie des akuten Nierenversagens beim Kritischkranken in der Intensivmedizin. Die Intention dieses Leserbriefes ist, dezidiert zu betonen und durch eine doppelblind, Plazebokontrollierte Studie [6] zu belegen, dass Urodilatin bisher nicht den erwünschten Erfolg zeigte. In der zitierten Übersicht [1] wird dargestellt, dass die bei der Applikation von ANP99-126 und Urodilatin im Tierversuch beobachteten positiven Effekte beim akuten Nierenversagen auch beim Patienten gesehen wurden, es sich dabei aber um Untersuchungen mit kleiner Fallzahl oder nichtkontrollierte Studien handelte. Letzteres ist zweifellos richtig: Die Studien, in denen Erfolge von Urodilatin berichtet wurden, waren fast ausnahmslos nicht randomisiert, nicht doppelblind plazebokontrolliert bzw. hatten historische Kontrollen als Vergleiche herangezogen. Der Bias derartiger Beobachtungsstudien, in denen „der Wunsch nach Erfolg der Vater der Ergebnisse war”, trat zu Tage, als in den ersten doppelblind, plazebokontrollierten Studien an chirurgischen, beatmeten Intensivpatienten [6] und Patienten nach Herzoperationen oder Leber- bzw. Herztransplantationen [7] [8] kein therapeutischer Effekt von Urodilatin auf das Auftreten und/oder den Verlauf des akuten Nierenversagen nachzuweisen war. In die Untersuchung an beatmeten Intensivpatienten mit akuter Niereninsuffizienz nach großen abdominalchirurgischen Eingriffen konnten, bedingt durch das Votum der Ethikkomission, zunächst nur 12 Patienten eingeschlossen werden [6]. Zwar hat auch diese Studie das Handikap geringer „Power”, indem nur 12 Patienten eingeschlossen wurden, dann kein Erfolg von Urodilatin nachweisbar war, der aber u. U. bei einer größeren Fallzahl statisch hätte nachweisbar sein können. Bei der Konzipierung dieser Untersuchung wurde klar, wie schnell man bei klinischen Studien dieser Art an die Grenzen dessen stößt, was medikolegal möglich ist, ethisch vertretbar erscheint und dann auch von der Ethikkommission positiv beschieden wird. Kam es bei primär nierengesunden Patienten im Laufe des Aufenthalts auf der Intensivstation trotz ausreichender Hydrierung, suffizienter Herzkreislauffunktion und der zu diesem Zeitpunkt als Standard durchgeführten Therapie mit Furosemid und niedrig dosiertem Dopamin (2,5 µg/kg KG/min) zum Anstieg des Serumkreatinins über 2,5 mg/dl bzw. Absinken der Kreatininclearance unter 15 ml/min, so wurden die Patienten über mindestens 4, längstens 6 Tage zusätzlich mit 20 ng/kg KG/min Urodilatin i. v. bzw. Plazeboinfusion behandelt [6]. Da es sich bei Urodilatin um eine vasoaktive Substanz handelt, wurden während der Therapie engmaschig und umfassend hämodynamische Parameter kontrolliert, ohne dass dabei ungünstige hämodynamische und andere Nebenwirkungen beobachtet wurden. Als Grund für ein Versagen der Therapie mit Urodilatin bei den Patienten nach abdominalchirurgischen Eingriffen wäre eine nicht ausreichende Dosierung in Betracht zu ziehen. Diese Dosierung von 20 ng/kg KG/min hatte sich in den bisherigen offenen Beobachtungsstudien als wirksam gezeigt. In diesem Zusammenhang muss aber darauf hingewiesen werden, dass Urodilatin in höherer Dosierung (> 20 ng/kg KG/min) bei gesunden Probanden [9] [10] und Patienten mit Asthma [11] unerwünschte Nebenwirkungen, wie Bardykardie, transiente Hypotension, Schwindel, Schwitzen und Übelkeit hervorgerufen hatte und bei Patienten nach Herztransplantation in einer Dosierung von 40 ng/kg KG/min auch keinen Therapieerfolg zeigte [8]. Eine Dosisfindungsstudie belegt außerdem das enge therapeutische Fenster für Urodilatin und dass bei Dosen über 20 ng/kg KG/min das Risiko für unerwünschte Nebenwirkungen steigt [9]. Demzufolge erscheint eine höhere Dosierung gerade bei kritischkranken Patienten nach abdominalchirurgischen Eingriffen nicht indiziert.

Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass Urodilatin nach den bisher vorliegenden doppelblind, plazebokontrollierten Studien beim kritischkranken Intensivpatienten keinen Benefit bringt. Somit kommt der rechtzeitigen Stabilisierung und Verbesserung der Nierenfunktion, wie Optimierung der renalen Durchblutung und Sauerstoffversorgung sowie gleichzeitigen Verminderung des Sauerstoffbedarfs eine entscheidendere Bedeutung zu als allen fehlgeschlagenen, pharmakologischen Versuchen der Restitution einer eingeschränkten Nierenfunktion (Übersicht siehe [2]). Es muss an dieser Stelle jedoch ausdrücklich betont werden, dass bei der Heterogenität der Ätiologie des akuten Nierenversagens beim (chirurgischen) Intensivpatienten, vielleicht die eine oder andere Subgruppe von Patienten von Urodilatin dennoch profitieren könnte. Doch wie sollen diese Patienten bei fehlenden sensitiven und spezifischen Prädiktoren erkannt und zuverlässige bzw. aussagefähige Studien bei den bestehenden ethischen und medikolegalen Limitationen durchgeführt werden, zudem das teure und u. U. mit Nebenwirkungen behaftete Peptid nicht „mit der Gieskanne” bei allen potentiell als gefährdet einzustufenden Patienten angewandt werden kann. Somit konnte leider entgegen der anfänglichen Euphorie [12] auch mit Urodilatin kein „magic bullet” identifiziert werden, mit dem die Therapie des akuten Nierenversagens zu revolutionieren ist [4].

Literatur

  • 1 Michels P, Tarnow J. Natriuretische Peptide: Physiologische, pathophysiologische und klinische Aspekte.  Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther. 2001;  36 406-416
  • 2 Herbert M K, Druml W. Pharmacological management of acute renal failure: A clinical point of view.  Curr Opin Cardiovasc Pulmon Renal Invest Drugs. 2000;  2 345-353
  • 3 Druml W. Non-dialytic management of the patient with acute renal failure.  Nephrol Dial Transplant. 1996;  11 1517-1520
  • 4 Druml W. Nichts Neues in der Behandlung des Akuten Nierenversagens?.  Wien Klin Wochenschr. 1999;  111 126-128
  • 5 Levy E M, Viscoli C M, Horwitz R I. The effect of acute renal failure on mortality. A cohort analysis.  J Am Med Ass. 1996;  275 1489-1494
  • 6 Herbert M K, Hinzel S, Mühlschlegel S, Weis K H. Concomitant treatment with urodilatin (ularitide) does not improve renal function in patients with acute renal failure after major abdominal surgery. A randomised controlled trial.  Wien Klin Wochenschr. 1999;  111 141-147
  • 7 Langrehr J M, Kahl A, Meyer M, Neumann U, Knoop M, Jonas S, Steinmüller T, Bechstein W O, Frei U, Forssmann W G, Neuhaus P. Prophylactic use of low-dose urodilatin for prevention of renal impairment following liver transplantation: a randomised placebo-controlled study.  Clin Transplantation. 1997;  11 593-598
  • 8 Brenner P, Meyer M, Reichenspurner H, Meiser B, Müller R, Mentz P, Schulz-Knappe P, Überbacher H J, Kreuzer E, Überführ P, Guder W G, Wenzlaff H, Teschemacher H, Reichart B, Forssmann W G. Significance of prophylactic urodilation (INN: ularitide) infusion for prevention of acute renal failure in patients after heart transplantation.  Eur J Med Res. 1995;  1 137-143
  • 9 Dorner G T, Selenko N, Kral T, Schmetterer L, Eichler H G, Wolzt M. Hemodynamic effects of continuous urodilatin infusion: a dose-finding study.  Clin Pharmacol Ther. 1998;  64 322-330
  • 10 Carstens L, Jensen K T, Pedersen E B. Metabolism and action of urodilatin infusion in healthy volunteers.  Clin Pharmacol Ther. 1998;  64 73-86
  • 11 Flüge T, Fabel H, Wagner T OF, Schneider B, Forssmann W G. Urodilatin (ularitide, INN): a potent bronchodilator in asthmatic subjects.  Eur J Clin Invest. 1995;  25 728-736
  • 12 Meyer M, Schulz-Knappe P, Kuse E R, Hummel M, Hetzer R, Pichlmayr R, Forssmann W G. Urodilatin. Anwendung eines neuen Peptids in der Intensivtherapie.  Anaesthesist. 1995;  44 81-91

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Priv.-Doz. Dr. med. Michael K. Herbert

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