Fortschr Neurol Psychiatr 2002; 70(3): 145-154
DOI: 10.1055/s-2002-20502
Originalarbeit
Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Die vaskulären Demenzen

Vascular DementiasJanine  Diehl, A.  Kurz
  • 1Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Technische Universität München (Direktor: Prof. Dr. H. Förstl)
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Publication Date:
04 March 2002 (online)

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Zusammenfassung

Zerebrovaskuläre Störungen sind nach der Alzheimer-Krankheit die zweithäufigste Ursache der Demenz in der zweiten Lebenshälfte. Nach neuesten gemeindebezogenen Autopsiedaten haben bedeutsame zerebrovaskuläre Veränderungen bei Personen über 70 Jahren eine erheblich höhere Prävalenz als bisher angenommen. Außerdem sind Kombinationen mit Alzheimer-typischen Befunden eher die Regel als die Ausnahme. Nach wie vor herrscht weitgehend Unklarheit darüber, welche vaskulären Veränderungen kognitive Einschränkungen bis zum Grad einer Demenz hervorrufen können und welche pathogenetischen Mechanismen dabei eine Rolle spielen. Fest steht jedoch, dass die vaskulären Demenzen eine ätiologisch, histopathologisch und klinisch sehr heterogene Gruppe von Krankheiten darstellen. Als morphologische Haupttypen unterscheidet man aufgrund der betroffenen Gefäßkaliber und Versorgungsgebiete die häufigere, überwiegend subkortikale Mikroangiopathie und die seltenere, vorwiegend kortikale Makroangiopathie. Die wichtigsten klinischen Krankheitsbilder sind die Demenz bei subkortikalen Lakunen und Marklagerveränderungen, zu der auch die Binswanger-Krankheit gehört, die Multi-Infarkt-Demenz und die Demenz bei strategischen Einzelinfarkten. Die Mehrzahl der Demenzzustände auf zerebrovaskulärer Grundlage entspricht nicht dem kortikalen Typus der intellektuellen Veränderungen, wie er bei der Alzheimer-Krankheit auftritt, sondern frontalen und subkortikalen Symptommustern. Bei ihnen stehen nicht Gedächtnisstörungen im Vordergrund, sondern Beeinträchtigungen der Exekutivfunktionen und der Aufmerksamkeit sowie Veränderungen der Persönlichkeit. Aus diesem Grund sind die gegenwärtigen Diagnosekriterien für die Demenz bei zerebrovaskulären Ursachen meist nicht geeignet. Das Fehlen von klaren Kausalitätsregeln für die Beurteilung des Zusammenhangs zwischen zerebrovaskulären Befunden und psychopathologischen Veränderungen macht die entscheidende Schwäche aller gegenwärtigen diagnostischen Kriteriensätze für die vaskulären Demenzen aus. Es wird sich zeigen, ob die Berücksichtigung der Heterogenität zerebrovaskulärer Krankheiten zu Verbesserungen führen wird. Durch eine konsequente Behandlung der bekannten Risikofaktoren für den Schlaganfall ist ein erheblicher Anteil der vaskulären Demenzen zwar grundsätzlich vermeidbar, wenn es aber einmal zu tief greifenden kognitiven Leistungseinschränkungen gekommen ist, gibt es bisher keine etablierten medikamentösen Behandlungsmöglichkeiten. Erste Studienauswertungen zeigen, dass die Strategie der cholinergen Substitution auch bei vaskulären Demenzen und bei kombinierter vaskulär-degenerativer Pathologie wirksam sind.

Abstract

Cerebrovascular disorders are the second most frequent cause of dementia in late life next to Alzheimer's disease. A recent community-based autopsy study has demonstrated that relevant cerebrovascular changes are much more prevalent in individuals aged 70+ years than previously assumed. Furthermore, the combination between cerebrovascular lesions and Alzheimer-type pathology is the most common neuropathological finding in elderly patients with dementia. There is still some uncertainty about which types of cerebrovascular changes are most likely to cause cognitive impairment including dementia and which pathogenetic mechanisms are involved. Without doubt, however, the vascular dementias are a heterogeneous group of diseases in terms of etiology, histopathology, and clinical appearance. According to the vessel calibres and perfusion territories that are preferentially affected a distinction is commonly made between the frequent subcortical small-vessel disease and the rare cortical large-vessel disease. With these morphological subtypes three major clinical variants are associated: dementia due to subcortical lacunes and white matter changes including Binswanger's disease, multi-infarct-dementia, and dementia due to singular strategic infarcts. In most cases of dementia of cerebrovascular origin the pattern of intellectual impairment is frontal or subcortical, in contrast to the typical cortical presentation of Alzheimer's disease. Deterioration of executive function and attention as well as changes in personality, rather than memory loss, are the predominant symptoms. Therefore the current diagnostic criteria for dementia are poorly suited for the detection of vascular dementias. None of the criteria that have been specifically proposed for the diagnosis of vascular dementias provide clear guidelines for evaluating the causal relationship between cerebrovascular lesions and psychopathological findings. Further research will reveal whether clinical diagnosis can be improved by taking into account the heterogeneity of cerebrovascular diseases. A large proportion of dementias of cerebrovascular origin may be preventable by treating the risk-factors for stroke. Once significant cognitive impairment has occurred, however, there is no established pharmacological treatment for the vascular dementias to date. Only recently results of placebo-controlled clinical trials have become available showing that cholinergic treatment strategies are effective in vascular dementia and in dementia due to combined vascular and neurodegenerative pathologies.

Literatur

Dr. Janine Diehl

Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie · Technische Universität München

Möhlstraße 26

81675 München

Email: janine.diehl@lrz.tu-muenchen.de