Dtsch Med Wochenschr 2002; 127(6): 284-285
DOI: 10.1055/s-2002-19972
Medizingeschichte
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Herbert Plügge - vergessenes ärztliches Vorbild

Eine Erinnerung in seinem 30. TodesjahrK. Engelhardt
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Publikationsverlauf

Manuskript-Eingang: 15. Oktober 2001

Annahme nach Revision: 26. November 2001

Publikationsdatum:
07. Februar 2002 (online)

»Zukunft braucht Herkunft« ist ein Leitartikel der Deutschen Medizinischen Wochenschrift [6] überschrieben. Die Medizin wird dann eine menschliche Zukunft haben, wenn das Erbe vorbildlicher Ärzte bewahrt wird, die in einer Person die Fähigkeit zur naturwissenschaftlichen Analyse der Krankheit und zur Empathie vereinen. Zu ihnen gehört der am 14. September 1906 in Leipzig geborene Herbert Plügge, der zunächst in seiner Heimatstadt bei dem Sinnesphysiologen Gildemeister begann und vorübergehend an der neurologischen Klinik Viktor von Weizsäckers in Heidelberg arbeitete [3]. 1939 habilitierte sich Plügge bei Helmuth Reinwein in Gießen für Innere Medizin, dem er 1942 an die medizinische Klinik in Kiel folgte. Nach einem Intermezzo in Darmstadt wurde er 1952 Direktor der medizinischen Poliklinik in Heidelberg, wo einst Ludolf von Krehl (1861 - 1927) gelehrt hatte, dessen Schüler sowohl von Weizsäcker als auch Reinwein waren. Seine Vorlesungen in dem stets bis auf den letzten Platz besetzten Hörsaal der Hospitalstraße faszinierten die Studenten. Diese Vorlesungen waren ausgewogen, indem sie einerseits die Differentialdiagnose und Therapie innerer Krankheiten boten, andererseits ein lebendiges Beispiel gaben, wie der Patient im Mittelpunkt stehen sollte. Dem reduktionistischen und erfolgreichen Modell der Biomedizin mit ihrer Fachterminologie steht die Geschichte des Kranken mit seinen Erfahrungen gegenüber. Patienten sind unzufrieden, wenn sie in ihrem Kranksein nicht verstanden werden. Sie wünschen nicht nur gute technische Leistungen sondern auch Information, Orientierung und Beratung. Das erfordert eine gute Kommunikation zwischen Arzt und Patient, die Plügge am Krankenbett vorlebte. Seine Forschungsergebnisse hat er in drei Büchern publiziert [7-9]. Ihre Themen, z. B. »Über Herzschmerzen«, »Der Allgemeinzustand des Schwerkranken«, »Das Befinden von Kranken nach Herzinfarkt« oder »Über die Hoffnung«, weisen bereits daraufhin, dass Plügge ein früher Pionier der qualitativen Forschung war [17]. Zum 70. Geburtstag seines klinischen Lehrers Helmuth Reinwein (1895 - 1966) sprach er über die Anamnese [12] . In diesem Vortrag formulierte er die Frage vieler chronisch Kranker: »Wie sehr bin ich dem Verhängnishaften dieser Erkrankung ausgeliefert? Wie sehr kann ich trotz dieses Krankseins mich weiterhin nach außen wenden, das heißt engagieren?« Mit der Anamnese, dem zuhörenden Arzt, beginne schon, so ein Fazit des Vortrags, die Therapie. Plügge wusste aus eigener langer Erfahrung einer Herzkrankheit, wovon er sprach. Er hat viel von dem, was er beschrieb, selbst erlebt. Seine letzten Jahre waren ein Leidensweg, von dem ihn der Tod am 16. August 1972 erlöste.

Abb. 1 Herbert Plügge (1906¿1972). Photo Hauck, Mannheim, ca. 1967

Literatur

  • 1 Amery J. Die Welt des leidenden Menschen. Stuttgart, Klett In: Der integrale Humanismus, hg. von H. Heißenbüttel 1985: 159 ff
  • 2 Bendor R. On being a patient: Arthritis and I.  Ann Intern Med. 1999;  131 150-152
  • 3 Christian P. In memoriam. Nachruf auf Herbert Plügge.  Nervenarzt. 1973;  44 502-503
  • 4 Goethe J W von. Maximen und Reflexionen. Leipzig, Dieterich 1954: S. 133
  • 5 Malterud K. The art and science of clinical knowledge: evidence beyond measures and numbers.  Lancet. 2001;  358 397-400
  • 6 Middeke M. Zukunft braucht Herkunft - Die DMW im Jahr 2000.  Dtsch med Wochenschr. 2000;  125 1099-1102
  • 7 Plügge H. Wohlbefinden und Mißbefinden. Beiträge zu einer medizinischen Anthropologie. Tübingen, Niemeyer 1962
  • 8 Plügge H. Der Mensch und sein Leib. Tübingen, Niemeyer 1967
  • 9 Plügge H. Vom Spielraum des Leibes. Salzburg, Müller 1970
  • 10 Plügge H. Der Allgemeinzustand des Schwerkranken. In: Wohlbefinden und Mißbefinden,. a. a.O 69
  • 11 Plügge H. Hypochondrische Patienten in der Inneren Medizin. a. a.O In: Wohlbefinden und Mißbefinden 109
  • 12 Plügge H. Über die Anamnese. a. a.O In: Der Mensch und sein Leib 114 ff und 123
  • 13 Plügge H. Über die Arten menschlicher Befangenheit.  Jahrbuch für Psychologie, Psychotherapie und medizinische Anthropologie. 1967;  15 1-12
  • 14 Plügge H. Über den menschlichen Raum. a. a.O In: Der Mensch und sein Leib 13
  • 15 Simpson M, Buckman R, Stewart M. et al . Doctor-patient communication: The Toronto consensus statement.  BMJ. 1991;  303 1385-1387
  • 16 Updike J. Selbst-Bewusstsein. Reinbek, Rowohlt 1990: 126
  • 17 Zinn W. The empathic physician.  Arch Intern Med. 1993;  153 306-312

Prof. Dr. med. Karlheinz Engelhardt

Jaegerallee 7

24159 Kiel

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