intensiv 2002; 10(1): 26-30
DOI: 10.1055/s-2002-19562
Pflegewissenschaft
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Pflege von Menschen im Wachkoma im intensivpflegerischen Kontext[]

Manfred Hülsken-Giesler
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Publication Date:
15 January 2002 (online)

Zusammenfassung

Die Pflege von Menschen im Wachkoma in der Akutphase ihrer Erkrankung oder Verletzung findet häufig in einem besonderen institutionellen Kontext statt. Da die dem Wachkoma zugrunde liegenden Erkrankungen oder Verletzungen zumeist mit der Einschränkung lebenswichtiger Organfunktionen einhergehen, verbringen viele Betroffene Wochen oder gar Monate auf einer Intensivstation. Diese ist zumeist der Ort, an dem ein ursprünglich akutes Krankheits- oder Traumatisierungsgeschehen von der Diagnose Wachkoma[*] abgelöst wird.

In diesem Beitrag wird die Phase der Intensivbehandlung von Menschen im Wachkoma unter den besonderen institutionellen Bedingungen der Intensivstation betrachtet.

1 Überarbeitete Fassung eines Vortrages auf der Fachtagung „Wachkoma - und danach. Eine interdisziplinäre Annäherung zum Verständnis & Rehabilitation” am 6. Juli 2001 in Bremen.

2 Tolle [1] zeigt auf, dass mit den im medizinischen Diskurs verwendeten Begriffen „apallisches Syndrom” und „Persistent Vegetative State” (PVS) „latente Annahmen wie die Endogenität, die Irreversibilität, die Wahrnehmungslosigkeit und Interaktionsunfähigkeit, die in der Konsequenz gedacht die Zuschreibung der Lernunfähigkeit nach sich zieht sowie die Chronizität transportiert” werden. Um dieser Problematik zu entgehen, favorisiert Tolle den Begriff „apallisches Durchgangssyndrom”. In diesem Beitrag wird der Begriff „Menschen im Wachkoma” verwendet.

Literatur

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1 Überarbeitete Fassung eines Vortrages auf der Fachtagung „Wachkoma - und danach. Eine interdisziplinäre Annäherung zum Verständnis & Rehabilitation” am 6. Juli 2001 in Bremen.

2 Tolle [1] zeigt auf, dass mit den im medizinischen Diskurs verwendeten Begriffen „apallisches Syndrom” und „Persistent Vegetative State” (PVS) „latente Annahmen wie die Endogenität, die Irreversibilität, die Wahrnehmungslosigkeit und Interaktionsunfähigkeit, die in der Konsequenz gedacht die Zuschreibung der Lernunfähigkeit nach sich zieht sowie die Chronizität transportiert” werden. Um dieser Problematik zu entgehen, favorisiert Tolle den Begriff „apallisches Durchgangssyndrom”. In diesem Beitrag wird der Begriff „Menschen im Wachkoma” verwendet.

3 Die Differenzierung in Intensivpflegea, Intensivpflegeb und Intensivpflegec nimmt Friesacher im Rahmen einer Lehrveranstaltung der Universität Bremen im Sommersemester 2000 vor.

4 In der intensivpflegerischen Praxis wirkt sich der hohe technische Aufwand z.B. in einer Orientierung der pflegerischen Tätigkeiten an der zeitlichen Logik von Maschinen aus [13, 14]. Dies hat zur Folge, dass sich zeitorientiertes Handeln vor patientenorientiertes- oder aufgabenorientiertes Handeln schiebt.

5 Remmers [6] weist darauf hin, dass insbesondere in Notfallsituationen auch Ärzte und Pflegende Prozessen der Depersonalisierung und „Selbstobjektivierung” unterliegen. Zu beobachten sind in diesen Situationen „eigentümliche Phänomene einer extremen Selbstinstrumentalisierung aller am Geschehen praktisch Beteiligten” [6]. Diese Prozesse haben zum einen die „existenzielle Bedeutung von Selbstschutzmechanismen” [6], die den Akteuren die Aufrechterhaltung von Handlungsfähigkeit in extremen Lagen erst ermöglichen, führen auf der anderen Seite jedoch dazu, dass „die hinter einer schematisierten Handlungsoberfläche sich aufstauenden Gefühlsballungen nicht selten in Form akuter emotionaler Zusammenbrüche oder langfristig in Form einer, überdies von Schuldgefühlen und Scham begleiteter Desintegration der Persönlichkeit Ausdruck [...] verschaffen” [6].

Manfred Hülsken-Giesler

Fachkrankenpfleger für Innere Medizin und Intensivmedizin
Diplom-Berufspädagoge-Pflegewissenschaft

Richthofenstraße 3

25436 Uetersen

Email: HuelskenGiesler@aol.com

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