PiD - Psychotherapie im Dialog 2001; 2(4): 527-532
DOI: 10.1055/s-2001-19608
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zum Thema Depression

Kathy  Rieg, Parfen  Laszig
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Publication Date:
18 January 2002 (online)

Es gibt viele verschiedene Zugangswege zur Depression: Aus biochemischer Sicht wird sie als ein Symptom für einen Neurotransmittermangel in den Synapsen erklärt, aus kognitiv-behavioraler Perspektive sind dysfunktionale kognitive Schemata, ein Mangel an positiver Verstärkung und negative interaktionelle Verhaltensweisen zentrale Aspekte. Die psychoanalytische Perspektive beschreibt unbewusste Konflikte wie den depressiven Grundkonflikt, orale und Selbstwert-Konflikte, Überich- und Schuldkonflikte (vgl. Will 1998).

Und welches Bild der Depression wird im Internet vermittelt? Bei der Recherche (10/2001) unter dem Stichwort „Depression” im Netz bekommt man auf den ersten Blick ein sehr breit gefächertes, unüberschaubares Bild. Ein paar Zahlen sollen dies verdeutlichen: Die Suchmaschine Google (www.google.de) listet 110 Treffer zum Stichwort „Depression” auf, wobei das Ranking danach erfolgt, wie oft die jeweilige Seite angesurft wird. Die Suchmaschine Altavista (www.altavista.de) bietet 56 721 Treffer, voran 10 „relevante” Links mit Bezug auf Selbsthilfe und „medizinische Tipps”. Und schließlich liefert Metager (www.metager.de) - eine Suchmaschine, die mehrere Suchmaschinen einsetzt - 191 Treffer, völlig gemischt von Fachinformationen über Gedichte bis hin zu „Kräuterseiten”.

Fächert man die vielen Links einer solchen Recherche inhaltlich auf, tritt der Selbsthilfe-Aspekt sehr in den Vordergrund. Viele der Seiten wenden sich an Betroffene, und es kommt die Frage auf, ob „Betroffene” nach dem Kriterium „das Angebot bestimmt die Nachfrage” als größte Gruppe per Internet mit Informationen versorgt werden sollen oder wollen. Links mit Titeln wie „www.depressions-sprechstunde.de”[1] (s. u.) vermitteln den Eindruck von rascher Hilfe[2] - dem rasanten Medium Internet entsprechend.

Allerdings geht dieser Eindruck einer wörtlich genommenen „Sprech-Stunde” in die Idee über, dass ein Medikament das Mittel der Wahl ist.

Dabei handelt es sich auch nicht um einen Einzelfall, es finden sich nur kleine Unterschiede in den Gestaltungen der Seiten und den angesprochenen Gruppen. So hilft www.depress-online.de beim „Umgang mit Depressionen” und bietet nach Themen geordnete Informationen für Betroffene und passwortgeschützte Fachkreise. Auch diese Page wird von einer Pharmafirma ins Netz gestellt.

Es sei daran erinnert, dass in diesem Beitrag lediglich der Versuch unternommen wird, das Bild von „Depression im Internet” in seinen differenzierten Facetten zu beschreiben, nicht die Wirksamkeit verschiedener Therapieansätze und -möglichkeiten bei Depression einzuschätzen.

Im Folgenden wird auf einzelne Homepages eingegangen, die sich an allgemeinen Informationen, Diagnostik, Therapiemöglichkeiten, Krisenintervention und Suizidprophylaxe sowie Forschung orientieren.

Der Selbsthilfe-Bereich soll nur kurz gestreift werden, obwohl er bei der Gewichtung der Trefferanzahl über die verschiedenen Suchmaschinen hinweg einen sehr breiten Bereich einnimmt. Viele Betroffene suchen nicht nur Rat und Hilfe im Internet, sondern stellen ihre Erfahrungen über selbst erstellte Homepages auch anderen zur Verfügung und bieten damit eine virtuelle Diskussionsplattform, deren Bedeutung beim Umgang/Coping mit der eigenen Depression nicht vernachlässigt werden darf.

Literatur

  • 1 Eichenberg C, Ott R. Informationen über psychische Störungen im Internet: Wissenschaftliches, Berichte Betroffener und Selbsthilfe.  Psychomed,. 1999;  3 184-189
  • 2 Hautzinger M. Depression. Fortschritte der Psychotherapie - Manuale für die Praxis. Göttingen; Hogrefe-Verlag 1998
  • 3 Jannsen L. (Hrsg.) .Auf der virtuellen Couch: Selbsthilfe, Beratung und Therapie im Internet. Bonn; Psychiatrie-Verlag 1998
  • 4 Laszig P, Rieg K. Internet Guide Psychologie, Psychotherapie und Psychoanalyse. Stuttgart; Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft 2001
  • 5 Rudolf G. Psychotherapeutische Medizin. Ein einführendes Lehrbuch auf psychodynamischer Grundlage 3. Auflage. Stuttgart: Enke-Verlag (4. überarbeitete Auflage, 2000 Stuttgart; Thieme-Verlag) 1996
  • 6 Solomon A. Saturns Schatten. Die dunklen Welten der Depression. Frankfurt a.M; Fischer Verlag 2001
  • 7 Turkle S. Leben im Netz: Identität in Zeiten des Internet. Reinbek; Rowohlt-Verlag 1999
  • 8 Will H. Psychodynamik. In: Will H, Grabenstedt Y, Völkl G, Banck G Depression: Psychodynamik und Therapie. Stuttgart; Berlin; Köln; Kohlhammer-Verlag 1998: S. 90-114

1 Die Links werden im Text aufgelistet, weil die Firmen nicht genannt werden.

2 Es wird aber auch ausdrücklich auf den Homepages darauf hingewiesen, dass die Internetangebote den Arztbesuch nicht ersetzen.

3 Exkurs: Dies erinnert an das Programm DEPRESSION 2.0, wie es von Turkle (1999,189ff) beschrieben wird: „DEPRESSION 2.0 beruht auf einer Theorie, die leicht von einem Computer modelliert werden kann. Es handelt sich um eine kognitions- und verhaltenspsychologische Theorie der Depression: Menschen entwickeln Depressionen, weil sie sich einer unerbittlichen Selbstkritik unterziehen und weil sie allzu hochgespannte Erwartungen an ihr Leben haben. Man kann die Depression mildern, indem man das Selbst auf realistischere Erwartungen umprogrammiert und die Selbstkritik entschärft. Nachdem DEPRESSION 2.0 durch Befragung des Benutzers die Problembereiche ermittelt hat, die die Depression verursachen, führt es ihn durch eine Reihe von Tutorien, um ihm seine selbstschädigenden Einstellungen bewusst zu machen. Diese Tutorien enden mit Dialogepisoden, in denen sich das textgestützte Programm mit dem User unterhält und die Rolle des Therapeuten einnimmt.” An einem Fallbeispiel beschreibt Turkle (1999,189ff) den Verlauf einer derartigen Therapieintervention.

4 Zitiert nach: Wehrmann, E. (2001). Das verborgene Gesicht des Narziss. Andrew Solomon beobachtet, umgeben von Dienstpersonal, seine Depression. Zeit-Literatur, Sonderbeilage, 56(41), 92.

5 „Doch das Internet ist nicht nur ein Hilfsmittel, es birgt auch Gefahren: Eine US-amerikanische Studie konnte zeigen, dass längerer Internet-Gebrauch zu sozialem Rückzug und zu Depressionen führt. Verschiedene Fallberichte sind bekannt, bei denen der Internet-Gebrauch zu massiven sozialen Problemen führte, die in Suiziden endeten. Ob an Depressionen Erkrankte zu einem häufigeren oder sozial problematischen Internet-Gebrauch neigen, wird momentan an der Münchner Psychiatrischen Universitätsklinik untersucht.” Zitiert nach: www.kompetenznetz-depression.de unter dem Verweis „Depression”-„Internet”.

6 Den Stellenwert, den das Internet einnimmt, wenn der Patient sich im Sinne des problemzentrierten Coping Informationen über seine Diagnose beschafft, sollte man nicht unterschätzen, vor allem wenn es um die Compliance, um in der Erprobung befindliche Therapieansätze oder unkonventionelle, aber auch wissenschaftlich nicht fundierte oder unwirksame Behandlungsmaßnahmen geht.

7 Zitiert nach: NetBusiness, 2. Oktober 2000, S. 18: eHealth: Medizin gegen Kurskrätze noch nicht gefunden.

8 Auch hier stellt sich die Frage, ob der Coping-Mechanismus eines Betroffenen, sich Informationen über seine psychische Störung zu verschaffen - per Internet auf leicht zugängliche Weise - die Störung selbst und nicht zuletzt auch den Therapieprozess beeinflusst.

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