Suchttherapie 2001; 2(4): 225-227
DOI: 10.1055/s-2001-19221
Schwerpunktthema
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© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Drei Falldarstellungen von Behandlungen, deren Kassenfinanzierung durch die Hessische Substitutionskommission abgebrochen wurde

Three Case Reports of Treated Patients, where Payments were discontinued by the Maintenance Commission of Hessen Herbert Elias
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Publication Date:
02 January 2002 (online)

Fall 1

Eine weibliche 33-jährige Patientin stellte sich mir am 14.11.96 vor und bat um Behandlung. Sie litt an einem großen Abszess am linken Bein, der sich spontan entleert hatte und eiterte. Außerdem war sie am ganzen Körper mit eiternden Geschwüren bedeckt. Sie hatte starkes Untergewicht und fast alle Haare waren ihr ausgefallen. An einigen Fingern hatte sie knollige Verdickungen.

Anamnestisch war eine chronische Hepatitis C bekannt. Seit 1979 bestand Heroin-, Kokain- und Benzodiazepinabhängigkeit. Sie hatte Heroin sofort gespritzt und war schon nach einem Monat abhängig geworden. Ab 1994 hatte sie Methadon bekommen, zuletzt am Stadtgesundheitsamt. Unter der Methadonbehandlung hatte sie aufgehört, sich zu prostituieren. Ende Juni 1996 war ihre Methadonbehandlung aber wegen starken Benzodiazepinbeigebrauchs gegen den Willen des behandelnden Arztes von der Hessischen Substitutionskommission abgebrochen worden. Seither hatte sie keinen Arzt mehr aufgesucht und sich wieder prostituiert.

Die Patientin wurde von mir sofort notfallmäßig auf ein Substitut eingestellt. Laborchemisch fand sich eine Hypercholesterinämie von ca. 500 mg, so dass die knolligen Verdickungen an den Fingern am ehesten von Cholesteatomen herrührten. Die Patientin gab außerdem starke Schmerzen und Parästhesien in beiden Unterarmen an. Untersuchungen ergaben, dass dies durch den Druck von Cholesteatomen im Handwurzelkanal bedingt war. Durch Lipidsenker war zwar keine Normalisierung des Cholesterins zu erreichen, da die Patientin nicht zu einer regelmäßigen Einnahme der Tabletten zu bewegen war, aber die Schmerzen und Parästhesien hörten auf.

Außerdem fand sich laborchemisch eine HIV-Infektion, die nach Auskunft des Arztes am Stadtgesundheitsamt bei der letzten dortigen Kontrolle im Juni desselben Jahres noch nicht vorgelegen hatte. Dabei lagen die Helferzellen bei über tausend, was gut mit der Annahme einer erst kürzlich erfolgten Serokonversion übereinstimmte.

Die Behandlung gestaltete sich sehr erfolgreich. Die Patientin gab sofort ihre Prostitution wieder auf und die Symptome der allgemeinen Verwahrlosung besserten sich dramatisch, auch der Benzodiazepinkonsum verminderte sich beträchtlich. Sie nahm schließlich noch eine oder zwei Tabletten Flunitrazepam täglich, wodurch ihre Vigilanz nicht merklich beeinträchtigt wurde. Außerdem gab sie die intravenöse Applikation des Kokains auf. Nach einiger Zeit inhalativen Konsums wurde sie dann für einige Zeit kokainabstinent, ein Effekt, der allerdings leider nicht lange andauerte.

Sie machte einige halbherzige Versuche zu arbeiten, die aber fehlschlugen. Nach einer Weile begann sie offenbar damit, Kaufhausdiebstähle auszuführen, und wurde dabei mehrmals ertappt. Sie besaß einen Kampfhund, den sie sehr gut hielt und der die Auflage hatte, einen Maulkorb zu tragen, woran die Patientin sich auch hielt. Dieser Hund war das einzige Lebewesen, zu dem sie eine verantwortliche Beziehung hatte, wenn man von dem behandelnden Arzt einmal absieht. Einige Versuche, eine Partnerbeziehung aufzubauen, schlugen ebenfalls fehl. Trotz allem verwahrloste die Patientin nicht mehr, betrieb keine Prostitution und war in gutem Gesundheitszustand. Sie war wach, niemals somnolent, obwohl sie wenige Tabletten Diazepam einnahm. Ihr Kokainkonsum hielt sich in Grenzen.

In dieser Situation kamen nun Auflagen der Substitutionskommission zur stationären Entgiftung vom Beigebrauch. Die Patientin ignorierte diese Auflagen. Wie sie sagte, hatte sie schon mehr als 20-mal entgiftet, ohne dass ihr Problem dadurch geringer geworden sei. Ich machte die Kommission in meinen Widersprüchen u. a. darauf aufmerksam, dass die Prostitution der Patientin offenbar krankheitsbedingt sei und sie sich nach Abbruch der Methadonsubstitution zweifellos wieder prostituieren werde, diesmal als HIV-Infizierte, dass sie Virostatica brauche und außerdem unbedingt eine konsequente Behandlung ihrer Hypercholesterinämie, dass sie therapiewillig sei und sich einem therapeutischen Regime unterwerfe, wenn es sie nicht überfordere. Vollkommen ohne jeden Erfolg, die Kommission drohte weiter, die Methadonbehandlung abzubrechen, wenn die Patientin nicht stationär entgifte. Hinzu kam, dass ich der Patientin täglich 30 mg Diazepam verordnete. Ich musste sie zum Psychiater schicken, der die Diazepammedikation bestätigte und auf 60 mg erhöhte, so dass die Patientin jetzt diskret somnolent war. Es nutzte nichts.

Der Patientin wurde nun ihr Hund abgenommen, weil er trotz Maulkorbs jemanden gebissen hatte. In ihrer Verzweiflung beging sie kurz hintereinander drei ernst gemeinte Selbstmordversuche, aber auch das rührte die Kommission nicht. Nun ging sie tatsächlich ins Krankenhaus zur Entgiftung von Diazepam, wurde aber aus dem Krankenhaus wieder mit einer Diazepammedikation entlassen, so dass ihre Behandlung ohne jeden Zweifel nun wiederum und dazu noch in dieser verzweifelten Situation abgebrochen worden wäre. Vermutlich hätte sie das nicht überlebt, aber Gott sei Dank wurde ihr eine Bewährung widerrufen und sie musste kurzfristig eine Haftstrafe antreten. Ich bin sicher, dass ihr das Gefängnis das Leben rettete vor den Nachstellungen der Hessischen Substitutionskommission.

Nachzutragen ist, dass sie in früheren Zeiten nicht nur Benzodiazepine, sondern auch Barbiturate eingenommen hatte und in mehreren Frankfurter Ambulanzen bekannt war. In solchen Fällen sollte man eine kleine Methadondosis täglich verabreichen, zum Beispiel 30 mg, um beim Patienten Opiattoleranz aufrechtzuerhalten. Es gibt keinen Grund, die Behandlung ganz abzubrechen, solange man einen deutlichen Behandlungseffekt sieht, etwa den Umstand, dass die Prostitution nicht wieder aufgenommen wird oder dass die Medikamente gegen HIV eingenommen werden. Die Methadonbehandlung sollte nur abgebrochen werden, wenn man keinen Unterschied sieht zum Zustand vor der Behandlung oder wenn es dem Patienten unter der Behandlung offenbar schlechter geht als vorher. Zum Zeitpunkt des neuerlichen Abbruchs der Behandlung lagen solche Verhältnisse noch nicht einmal andeutungsweise vor.

Literatur

  • 1 Elias H. „Der Heroinrausch”. 35 Interviews zur Pharmakopsychologie von Diacetylmorphin. VWB Verlag Berlin; 2000

1 Johann Christian Heinroth. Lehrbuch der Seelengesundheitskunde, 1822. Mir liegt eine Übersetzung ins Englische vor, die 1975 in der John Hopkins University Press in Facsimile erschienen ist.

Herbert Elias

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