Rehabilitation (Stuttg) 2001; 40(6): 359-360
DOI: 10.1055/s-2001-18969
Bericht
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Bericht über das Symposium „Kinderrehabilitation” des Rehabilitationswissenschaftlichen
Forschungsverbundes Niedersachsen/Bremen
am 8. 6. 2001 in Bremen

Report of the Symposion on Children's Rehabilitation of the Lower Saxony/
Bremen Rehabilitation Research Network, June 8, 2001 in Bremen
F.  Petermann
  • 1Zentrum für Klinische Psychologie und Rehabilitation, Universität Bremen
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Publication Date:
13 December 2001 (online)

Am 8. Juni 2001 fand in Bremen ein von knapp 150 Teilnehmern besuchtes Symposium zum Thema Kinderrehabilitation statt[1]. Neben dem Rehabilitationswissenschaftlichen Forschungsverbund Niedersachsen/Bremen (geschäftsführender Sprecher: Prof. Dr. Franz Petermann) war die Fachklinik Sylt für Kinder und Jugendliche (leitender Arzt: Dr. Rainer Stachow) Mitveranstalter. Nach einer Einführung von Prof. Dr. Petermann wurde in acht Plenarvorträgen und fünf Workshops die Thematik repräsentativ zur Diskussion gestellt. (Einige der Beiträge sind in der Publikation von Petermann und Warschburger [1] dokumentiert.)

Ein wichtiges Outcome-Kriterium der Kinderrehabilitation bildet die Lebensqualität der betroffenen Kinder und ihrer Eltern. In einer von Prof. Dr. Monika Bullinger, Medizinische Psychologie der Universität Hamburg, geleiteten Studie des Reha-Verbundes Niedersachsen/Bremen wurden Kinder mit Asthma, Adipositas und Neurodermitis im zeitlichen Verlauf (bis 12 Monate nach der Reha) untersucht. Hierbei zeigte sich, dass die Lebensqualität der Kinder vor allem von drei psychosozialen Merkmalen abhängt: der sozialen Unterstützung, dem Stresserleben und den Reha-Erwartungen. Die neu konstruierten, krankheitsspezifischen Fragebogen-Module gestatten anhand weniger Items verlaufsspezifische Aussagen und haben sich zur Messung des Reha-Outcome bewährt.

Prof. Dr. C. P. Bauer (TU München, Kinderfachklinik Gaißach) referierte über Effekte der stationären Asthmarehabilitation. Diese vom Verband Deutscher Rentenversicherungsträger über mehr als fünf Jahre geförderte Studie konnte an 235 Asthmatikern und einer ambulanten Vergleichsgruppe (n = 92) die Leistungsfähigkeit der stationären Rehabilitation belegen. Hierzu wurden die Ergebnisse der 1-Jahres-Katamnese vorgestellt: Besonders deutliche Effekte treten im Asthmamanagement (Wissen, Erwerb neuer Verhaltensfertigkeiten), in der Lungenfunktion (MEF-50) und der Lebensqualität auf. Unter methodischen Aspekten war besonders erwähnenswert, dass vor und 12 Monate nach der Rehabilitation Feldforscher in den Familien die zentralen medizinischen und psychosozialen Parameter direkt erheben konnten.

Dr. Rainer Stachow (Westerland/Sylt) verdeutlichte ein rehabilitationsbezogenes Konzept der Langzeitbetreuung von Kindern und Jugendlichen mit Diabetes mellitus. Vor allem für Diabetiker mit schlechter Compliance und Verhaltensstörungen ist es nötig, durch gezielte Fördermaßnahmen das Krankheitsmanagement zu verbessern. Altersgruppenspezifische Schulungen und Verhaltensübungen (durch Rollenspiele und Erproben des Gelernten im Alltag) führen zu einer Problemlösung. Die Schulung der Eltern bildet dabei eine wesentliche Basis des Erfolgs.

Dr. Petra Warschburger (Bremen) berichtete über psychologische Grundlagen der Rehabilitation neurodermitiskranker Kinder und Jugendlicher. Die Bedeutung der Patientenschulung wurde am Beispiel des Haut-Fitness-Trainings für Jugendliche und des Bremer-Neurodermitis-Trainings für Eltern neurodermitiskranker Kinder (bis 6 Jahre) illustriert. Bei beiden Ansätzen handelt es sich um Interventionsbausteine, die sowohl in die stationäre Rehabilitation integriert als auch als ambulante Schulungen angeboten werden können.

Dr. Hermann Mayer (Klinik Murnau) referierte über interne Maßnahmen der Qualitätssicherung und illustrierte am Beispiel unterschiedlicher Konzepte (EFQM, DIN, ISO, KTQ) die Bedeutung für die Kinderrehabilitation. Sehr eindrucksvoll wurde die Verknüpfung zwischen der Implementation von Maßnahmen der Qualitätssicherung in der Klinik, der Notwendigkeit von Mitarbeiterschulungen und Maßnahmen der Organisationsentwicklung demonstriert. Die produktive Dynamik einer praxisnahen Qualitätssicherung konnte den Teilnehmern am Beispiel der Klinik Murnau gut verdeutlicht werden.

Prof. Dr. Dieter Kiosz (Amrum) wandte sich der Thematik der Rehabilitation von Klein- und Vorschulkindern zu und diskutierte die Rolle von Begleitpersonen. Zahlenmäßig wurden die Trends zur Kinderrehabilitation mit Begleitpersonen belegt und die unzureichende oder stark unterschiedliche Motivation der (gesunden) Begleitpersonen anhand erster empirischer Befunde diskutiert. Die unzureichende Motivation der Begleitpersonen, zum Beispiel an Raucherentwöhnungsprogrammen (bei asthma- oder neurodermitiskranken Kindern) teilzunehmen, stellt ein Dilemma dieses immer wichtiger werdenden Angebotes dar.

Prof. Dr. Joachim Westenhöfer (Hamburg) berichtete über Grundlagen und Ansätze der Adipositasbehandlung bei Kindern und Jugendlichen. Die Problematik der Adipositas lässt sich eindrucksvoll am Anstieg der Prävalenzzahlen innerhalb der letzten 15 Jahre verdeutlichen (von 10 % auf 23,2 % in Deutschland). Die gesundheitsökonomischen Folgen pro Jahr betragen zwischen 20 und 40 Mrd. DM. Aus diesem Grund ist eine früh einsetzende, multimodale Adipositasbehandlung gefragt, die Ernährungs- und Bewegungsverhalten modifiziert. Verhaltenstherapeutisch ist vor allem auf folgende Aspekte zu achten:

Entwicklung realistischer Ziele, flexible Kontrolle des Essverhaltens, Störbarkeit des Essverhaltens und Einführung von Ritualen im Kontext der Essenssituation.

Am Beispiel des Sylter stationären Essverhaltenstrainings und des Freiburger ambulanten Programms FITOC wurden Vorgehensweisen und Trainingseffekte diskutiert; zukünftig gilt es, solche stationären und ambulanten Maßnahmen stärker zu verzahnen.

Dr. Petra Hampel (Bremen) verdeutlichte am Beispiel des Anti-Stress-Trainings von Hampel und Petermann [2], wie vorteilhaft man Patientenschulungsmaßnahmen durch Stressbewältigungsprogramme optimieren kann. Am Beispiel der Neurodermitisschulung und des Adipositastrainings zeigte Dr. Hampel die Fortschritte auf, die man mit einer Kombination von krankheitsspezifischer Patientenschulung und Anti-Stress-Training erzielen kann.

Prof. Dr. Frank Riedel (Altonaer Kinderklinik, Hamburg) diskutierte abschließend die Relation von Rehabilitations- und Akutmedizin. Durch die Verkürzung der Behandlungszeiten in der Akutmedizin und die mangelnde Akzeptanz von ambulanten Maßnahmen zur Krankheitsbewältigung (z. B. Sporttherapie, Patientenschulung) wird zukünftig der Kinderrehabilitation ein zentraler, die bisherigen Aufgaben der Akutmedizin ergänzender Versorgungsauftrag zukommen, der auch wohnortferne Angebote enthalten wird. Vor allem Familien aus sozial schwierigen Verhältnissen und besonders noncompliante Patienten (vor allem Jugendliche) benötigen dringend solche Kompensationsmöglichkeiten. Am Beispiel der Asthmabehandlung fordert Prof. Dr. Riedel ein differenziertes, aufgabenteiliges und vernetztes Versorgungsangebot von Akut- und Rehabilitationsmedizin.

Die fünf 90-minütigen Workshops fanden zu den folgenden Themen statt:

Adipositas (Carmen Fromme, Bremen) Neurodermitis (Dr. Sybille Scheewe, Westerland/Sylt) Entspannung (Stefanie Busch, Bremen) Neuropsychologie (Dr. Dietmar Heubrock, Bremen) Elterntraining bei neurodermitis- und asthmakranken Kindern (Thorsten Buchholz, Bremen)

Die rege Diskussion der Plenarvorträge und aktive Beteiligung in den Workshops verdeutlichten am 8. Juni 2001, dass die Kinderrehabilitation allmählich ihr Schattendasein überwindet und zu einem innovationsfreudigen Gebiet der medizinischen Rehabilitation wird.

Literatur

  • 1 Petermann F, Warschburger P. Kinderrehabilitation (2., erweit. Aufl.). Göttingen; Hogrefe 2001
  • 2 Hampel P, Petermann F. Anti-Stress-Training für Kinder. Weinheim; Psychologie Verlags Union 1998

1 Das Symposium wurde mit finanzieller Unterstützung des Vereins zur Förderung der Rehabilitation in Niedersachsen und Bremen e. V. durchgeführt.

Prof. Dr. Franz Petermann

Zentrum für Klinische Psychologie und Rehabilitation der Universität Bremen

Grazer Straße 6

28359 Bremen

Email: fpeterm@uni-bremen.de

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