Klin Monbl Augenheilkd 2001; 218(11): 695-696
DOI: 10.1055/s-2001-18659
EDITORIAL

Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Brauchen wir die konventionelle Fotografie der Papille überhaupt noch?

Do we still need the conventional fotography of the optic disc?Jens Funk
  • Universitäts-Augenklinik Freiburg, Killianstr. 5, 79106 Freiburg
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Publication Date:
30 November 2001 (online)

In der Studie von Nguyen u. Mitarb. wurden Papillenfotos mit zwei verschiedenen Verfahren planimetrisch vermessen. Zum einen mit der seit langem etablierten manuellen Methode, zum anderen mit einem neuen digitalen Bildverarbeitungssystem (AnalySIS). Die Autoren finden eine gute Übereinstimmung zwischen den mit beiden Verfahren gefundenen Werten. Das lässt den Schluss zu, dass die neue „High Tech”-Variante der Planimetrie (=Computer + digitale Bildverarbeitung) für Klinik und Wissenschaft ebenso geeignet ist wie die alte „Low Tech”-Variante (=Foto + Diaprojektor). Letztlich basiert aber auch die neue High-Tech-Variante der Planimetrie auf schlichten Papillenfotos.

Ist sie damit nicht schon a priori überholt? Schließlich haben wir inzwischen doch eindrucksvolle dreidimensionale Analyse-Maschinen für die Papille (HRT, GDx), die schon sehr ausgereift sind, schöne Befunddarstellungen liefern und sogar Hinweise ausdrucken, ob eine Papille normal oder glaukomatös ist!

Um die Antwort gleich vorweg zu nehmen: Meiner Meinung nach ist die Papillenfotografie - als Dia oder elektronisch - ebenso wenig „veraltet” wie die klinisch-ophthalmoskopische Papillenbeurteilung.

Zur Begründung dieser Antwort will ich versuchen, die Vor- und Nachteile der Papillenfotografie (bzw. der klinischen Ophthalmoskopie) den Vor- und Nachteilen der High-Tech-Verfahren Laser-Scanning-Tomographie (=HRT) bzw. Nervenfaserpolarimetrie (=GDx) gegenüberzustellen:

Unbestreitbare Vorteile von HRT und GDx sind:- Beide Geräte beschränken sich nicht auf ein zweidimensionales Bild, sondern machen eine komplette dreidimensionale Analyse der Papille. Sie können somit nicht nur Flächen, wie z. B. die neuroretinale Randzone, sondern sogar Volumina berechnen. Ferner können sie Höhenkonturlinien erstellen, z. B. für die Exkavation oder für die Höhe bzw. die Dicke der peripapillären Nervenfaserschicht. Das können Papillenfotos (und die klinische Ophthalmoskopie) selbst dann nicht, wenn man sie stereoskopisch aufnimmt.

- Beide Geräte liefern bereits direkt nach der Messung quantitative Daten, die die untersuchte Papille charakterisieren. Diese Daten können - das ist in die Geräte schon integriert - sofort für eine statistische Analyse genutzt werden. Die statistische Analyse ihrerseits hilft dem Untersucher, zu entscheiden, ob eine Papille glaukomatös oder normal ist (im Fall einer Erstuntersuchung) bzw. ob ein stabiler Papillenbefund oder eine Befundverschlechterung vorliegt (im Falle einer Verlaufskontrolle). Dies ist bei der klinischen Ophthalmoskopie überhaupt nicht, bei der Papillenfotografie nur über den Umweg Planimetrie möglich, die ihrerseits wiederum einen sehr erfahrenen „Planimetristen” braucht.

- HRT und GDx liefern unmittelbar nach der Untersuchung Befundausdrucke, die sehr gut auf die Bedürfnisse der klinischen Routineuntersuchung, aber auch der wissenschaftlichen Auswertung zugeschnitten sind. (Außerdem kann man mit den Befundausdrucken viele Patienten sichtlich beeindrucken. Das sollte, objektiv gesehen, zwar völlig unwichtig sein, lässt sich aber angesichts der zunehmenden Kommerzialisierung ärztlicher Dienstleistungen, die auch unterschwellige Werbung enthält, nicht mehr völlig ignorieren.)

- HRT- bzw. GDx-Untersuchungen erfordern keine Mydriasis und werden deshalb von vielen Patienten als relativ komfortabel empfunden.

Eindeutige Vorteile der Papillenfotografie - und der klinischen Ophthalmoskopie - sind:- Foto (und Ophthalmoskop) zeigen nicht nur Oberflächenstrukturen, sondern auch qualitative Merkmale wie a) Farben, speziell Abblassungen, b) Blutungen, c) Gefäßanomalien; wie z. B. Abknickungen oder Kaliberschwankungen, d) parapapilläre Atrophiezonen.

- Die Haltbarkeit von Fotos ist nahezu endlos. Das soll heißen: ein heute angefertigtes Dia lässt sich sicher in 30 Jahren auch noch betrachten. Ob das für heute erstellte dreidimensionale Computeranalysen ebenfalls gilt, lässt sich schwer vorhersagen.

- Bei der Analyse eines Fotos - oder bei der Ophthalmoskopie - nutzt man Fähigkeiten des menschlichen Gehirns, die ein Computer nicht hat und auch in absehbarer Zukunft nicht haben wird. Konkretes Beispiel: vergleicht man zwei Fotos oder HRT-Aufnahmen, die relativ zueinander etwas verkippt aufgenommen wurden, so entdeckt unser Gehirn diese Verkippung bei der Auswertung sofort und ignoriert sie. Der Computer hingegen meldet mit seiner Datenanalyse eine gewaltige Veränderung.

Die oben genannten Vor- und Nachteile der verschiedenen Verfahren halten sich in etwa die Waage. Das heißt, keine Methode kann die andere vollständig ersetzen oder verdrängen, weder in der klinischen Routine noch in der Wissenschaft.

Für die klinische Routine bedeutet dies:- Im Idealfall nutzt man sowohl die herkömmliche Fotografie als auch die neuen dreidimensionalen Analysatoren für Einzeluntersuchung und Verlaufskontrolle. Speziell an der Universitäts-Augenklinik Freiburg realisieren wir dies folgendermaßen: Bei Patienten mit Glaukomverdacht oder beginnendem Glaukom werden, zusätzlich zur Tonometrie und Perimetrie, regelmäßig Kontrolluntersuchungen mittels HRT durchgeführt, durchschnittlich 1 × jährlich. Außerdem wird einmal (nach Erstdiagnose) ein herkömmliches Foto angefertigt. Solange die HRT-Ergebnisse stabil sind, wird nichts weiter veranlasst. Wenn dagegen der HRT eine Verschlechterung meldet, wird erneut ein herkömmliches Papillenfoto erstellt und, z. B. mittels Flickervergleich, mit dem Ausgangsfoto verglichen. Wenn sich dabei ebenfalls eine Verschlechterung zeigt, muss die Therapie geändert werden. Wenn nicht, interpretieren wir die im HRT gefundene Verschlechterung meistens „eher als Messschwankung”.

Für wissenschaftliche Untersuchungen bedeutet dies:- Bereits bei der Planung einer Studie ist genau festzulegen, welche Charakteristika einer Papille für die jeweilige Fragestellung besonders wichtig sind. Wenn dreidimensionale Parameter oder Konturlinien im Vordergrund stehen, dann sollte man HRT oder GDx einsetzen. Wenn zweidimensionale Parameter ausreichen und zusätzlich qualitative Merkmale (z. B. Blutungen) von Bedeutung sind, dann kann es sehr wohl gerechtfertigt sein, auf die herkömmliche Fundusfotografie, ggfs. in Kombination mit der Planimetrie, zurückzugreifen.

Nach der von Nguyen et al. vorgelegten Studie wissen wir, dass für letzteres auch das digitale Bildverarbeitungssystem AnalySIS mit der entsprechenden Software geeignet ist.

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