Pneumologie 2001; 55(11): 494-511
DOI: 10.1055/s-2001-18498
EMPFEHLUNGEN
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Richtlinien zur medikamentösen Behandlung der Tuberkulose im Erwachsenen- und Kindesalter

Guidelines for Drug Treatment of Tuberculosis in Adults and Childhood
  • T. Schaberg, Rotenburg (federführend)M. Forßbohm, Wiesbaden, B. Hauer, Berlin, D. Kirsten, Großhansdorf, R. Kropp, Fulda,R. Loddenkemper, Berlin, K. Magdorf, Berlin,H. Rieder, Kirchlindach (Schweiz), D. Sagebiel, Berlin,R. Urbanczik, Schömberg-Schwarzberg
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Publication Date:
19 November 2001 (online)

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Allgemeines

Die Tuberkulose (Erkrankungen verursacht durch Erreger des M. tuberculosis-Komplex: M. tuberculosis, M. africanum, M. bovis, M. bovis BCG, M. microti) ist heute erfolgreich behandelbar, sofern rechtzeitig entdeckt und richtig therapiert. Zu den Voraussetzungen für eine erfolgreiche Behandlung gehört die ärztliche Führung und Begleitung des Patienten während des gesamten Behandlungszeitraumes. Dies umfasst vor allem die wiederholte Beratung des Patienten, die therapiebegleitende Diagnostik und die Überwachung der Therapieadhärenz. Die Behandlung einer Tuberkulose sollte daher ausschließlich von Ärztinnen oder Ärzten durchgeführt werden, die Erfahrung mit dieser Infektionskrankheit haben [63]. Die Einleitung einer antituberkulösen Therapie muss nach dem Infektionsschutzgesetz (IfSG) dem zuständigen Gesundheitsamt umgehend innerhalb von 24 Stunden gemeldet werden (ebenso wie der Tod an Tuberkulose oder der Behandlungsabbruch durch den Patienten) [46]. Die Gesundheitsämter sorgen für die Sicherstellung der Behandlung in Problemfällen, leiten die Umgebungsuntersuchungen ein und führen die Infektionsstatistiken. Die Chemoprävention der Tuberkulose wird in diesen Richtlinien nicht abgehandelt, sie ist Gegenstand separater Empfehlungen, die zur Zeit erarbeitet werden.

Indikationen zur stationären Behandlung sind in Tab. [1] aufgeführt [33], ansonsten kann die Therapie ambulant erfolgen. Von entscheidender Bedeutung für den Erfolg der antituberkulösen Therapie ist die umfassende Aufklärung des Patienten über die Erkrankung, die Therapieprinzipien und mögliche unerwünschte Arzneimittelwirkungen.

Tab. 1 Indikationen für die stationäre Aufnahme/Behandlung bei Tuberkulose (modifiziert nach 33) 1) Schweregrad der Tuberkulose- Ausdehnung und Infektiosität (mikroskopisch positiv)- Symptome und Komplikationen 2) schwere Grund-/Begleitkrankheiten 3) Therapieprobleme- Verdacht auf Mehrfachresistenz (Vorbehandlung, Herkunftsland, Ansteckungsquelle)- schwer wiegende unerwünschte Arzneimittelwirkungen 4) mangelnde Mitarbeit (Adhärenz)- Alkoholkrankheit- schlechte soziale Verhältnisse 5) ambulant nicht klärbare Diagnose

Medikamente

Für die Therapie der Tuberkulose stehen so genannte Erstrang- oder Standard-Medikamente zur Verfügung, zu denen das Isoniazid (INH, international: H), Rifampicin (RMP, international: R), Pyrazinamid (PZA, international Z), Ethambutol (EMB, international: E) und Streptomycin (SM, international: S) gehören [49] [41] (Tab. [2], [3]). Die Tab. [4]- [6] enthalten Angaben zur Dosierung bei Erwachsenen und Kindern. Wichtige pharmakokinetische und mikrobiologische Daten der Standardsubstanzen zeigt die Tab. [7].

Tab. 2 Übersicht über die antituberkulösen Erstrangmedikamente (nach 93) Substanz/Freiname In Deutschland verfügbar seit Abkürzungen national Abkürzungen international Handelsnamen Isoniazid 1952 INH H Isozid, Isozid comp. (+ Vit. B6), tebesium (+ Vit. B6) Rifampicin 1966 RMP R Eremfat, Rifa, Rifampicin-Hefa Pyrazinamid 1952 PZA Z Pyrafat, Pyrazinamid „Lederle”, PZA-Hefa Ethambutol 1961 EMB E EMB-Fatol, EMB-Hefa, Myambutol Streptomycin Ende der 40er Jahre SM S Strepto-Fatol, Streptomycin „Grünenthal” Tab. 3 Übersicht über Kombinationspräparate (nach 93) Substanzen Handelsname Isoniazid + Rifampicin Iso-Eremfat, Rifinah Isoniazid + Rifampicin + Pyrazinamid Rifater Isoniazid + Ethambutol EMB-INH, Myambutol-INH Tab. 4 Erstrang- oder Standardmedikamente (Erwachsene): tägliche Gabe der Medikamente Substanz Dosis(mg/kg KG) Dosisbereich(mg/kg KG) Minimal- und Maximal-Dosis (mg) Isoniazid 5 4 - 6 200 - 300 Rifampicin 10 8 - 12 450 - 600 Pyrazinamid 25 20 - 30 1500 - 2500 Ethambutol 20 - 25 (15)* 15 - 25 800 - 2000 Streptomycin 15 12 - 18 600 - 1000 * In den USA wird eine Dosisreduktion von 25 mg/kg KG auf 15 mg/kg KG nach acht Wochen empfohlen. In Großbritannien und in den Empfehlungen der WHO und der IUATLD ist die Standarddosis 15 mg/kg KG Tab. 5 Erstrang- oder Standardmedikamente (Erwachsene): Intermittierende Gabe der Medikamente (nur in der Kontinuitätsphase und wenn tägliche Gabe nicht realisierbar) Substanz intermittierende Dosis/(Dosisbereiche)(3×/Woche)(mg/kg KG) intermittierende Dosis/(Dosisbereiche)(2×/Woche)(mg/kg KG) maximale Tagesdosis in mg Isoniazid 10 - 15(8 - 15) 15(13 - 17) 900 Rifampicin 10(8 - 12) 10(8 - 12) 600(-900*) Pyrazinamid 35(30 - 40) 50(40 - 60) 2500/3500 Ethambutol 30(25 - 35) 45(40 - 50) 2500 Streptomycin 15(12 - 18) 15(12 - 18) 1000 * Bei einer Tagesdosis, die 600 mg übersteigt, können bei intermittierender Anwendung häufiger ernste unerwünschte Arzneimittelwirkungen („flu-like”-Syndrom) vorkommen Tab. 6 Erstrang- oder Standardmedikamente (Kinder) Substanz Dosis(mg/m² KOF) Höchstdosis(mg) intermittierende Dosis§ (3×/Woche)(mg/kg KG) Isoniazid 200 300 15 Rifampicin 350 600 15 Pyrazinamid 30 mg/kg KG 1500 50 Ethambutol* 850 1600 30 Streptomycin 20 mg/kg KG 750 20 § nur in der Kontinuitätsphase und wenn tägliche Gabe nicht realisierbar*Kontrolle des Sehvermögens vorausgesetzt Tab. 7 Pharmakokinetische Daten der Standardmedikamente Dosis/70 kg t1/2 (h)1 Cmax (mg/l)² Metabolismus Elimination INH 300 1 - 1,5*2,5 - 4§ 2,9*4,5§ Leber renal RMP 600 3 10 Leber biliär PZA 2000 8 40 Leber renal EMB 1600 4 3 - 6 Leber: gering renal SM 1000 3 40 ? renal * Schnell-Acetylierer; § Langsam-Acetylierer 1t1/2 : Serumhalbwertszeit nach oraler Gabe² Cmax: maximale Serumkonzentration nach oraler Gabe Isoniazid INH wirkt stark bakterizid auf proliferierende, intra- und extrazellulär gelegene Tuberkulosebakterien. Das Medikament wird fast vollständig aus dem Gastrointestinaltrakt resorbiert, diffundiert schnell in Gewebe und Körperflüssigkeiten und passiert die Blut-Hirn-Schranke. Es tritt in den fetalen Kreislauf und in die Muttermilch über. Eine parenterale Gabe ist möglich. Die hepatische Metabolisierung erfolgt mittels des Enzyms Acetyltransferase (es wird in genetisch determinierte „Langsam-” und „Schnellacetylierer” unterschieden, dies ist bei täglicher Gabe ohne klinische Bedeutung), die Elimination ist überwiegend renal (Tab. 7). Bei Patienten mit erhöhtem Risiko für eine periphere Neuropathie und in der Gravidität wird die zusätzliche Gabe von Pyridoxin empfohlen. Die Verträglichkeit ist in der Regel gut; unerwünschte Arzneimittelwirkungen s. Tab. 8, Arzneimittelinteraktionen s. Tab. 9. Absolute Kontraindikationen: INH-Allergie, akute Hepatitis, Störungen der Hämostase und Hämatopoese; relative Kontraindikationen: zerebrale Anfallsleiden, Psychosen, periphere Neuropathien. Tab. 8 Wichtige unerwünschte Arzneimittelwirkungen der Standardmedikamente Substanz häufig selten sehr selten Isoniazid TransaminasenerhöhungAkne Hepatitiskutane UAWPolyneuropathie Krampfanfälle, Vertigo, Optikus-Neuritis, Bewusstseinsstörungen, hämolytische Anämie, aplastische Anämie,Agranulozytose, Lupus-Reaktion, ArthralgienGynäkomastie Rifampicin TransaminasenerhöhungCholestaseRotfärbung von Körperflüssigkeiten(Kontaktlinsen) Hepatitiskutane UAWÜbelkeitThrombopenieFieber„Flu-like”-Syndrom Anaphylaxie, hämolytische Anämie, akutes Nierenversagen, Wirkungen auf zentrales u. peripheres Nervensystem (Müdigkeit, Kopfschmerzen, Benommenheit, Vertigo, Ataxie, Verwirrtheit, Adynamie, Sehstörungen) Pyrazinamid TransaminasenerhöhungÜbelkeit, ErbrechenFlush-SyndromMyopathieArthralgieHyperurikämie Hepatitiskutane UAW Gicht, Photosensibilisierung, sideroblastische Anämie Ethambutol retrobulbäre NeuritisArthralgieHyperurikämie kutane UAWTransaminasenerhöhungPolyneuropathie Streptomycin GleichgewichtsstörungenTinnitusHörverlustkutane UAW Nierenfunktionseinschränkung, Agranulozytose, aplastische Anämie; Anaphylaxie, neuromuskuläre Blockade, Atemdepression, Parästhesien,Dermatitis exfoliativa, Kontaktallergie (Pflegepersonal) Tab. 9 Arzneimittelinteraktionen der Standardsubstanzen Substanz Spiegel erhöht durch Spiegelgesenkt durch erhöht den Serumspiegel von senkt den Serumspiegel von Isoniazid PrednisolonProtionamid PhenytoinCarbamazepinCumarinenDiazepamProtionamid EnfluranenAzolen Rifampicin Cotrimoxazol PASKetoconazol CumarinenAzolenSulphonylharnstoffenoralen KontrazeptivaGlukokortikoidenDiazepamPhenytoinTheophyllinDigoxinDigitoxinMethadonProtease-InhibitorenCiclosporin Ethambutol Antazida Rifampicin RMP wirkt intra- und extrazellulär bakterizid und sterilisierend auf Mykobakterien. Es besteht eine breite Kreuzresistenz gegen Rifabutin (bei Rifabutin-Resistenz besteht auch eine Resistenz gegen RMP; bei RMP-Resistenz kann Rifabutin noch wirksam sein). RMP wird fast vollständig aus dem Gastrointestinaltrakt resorbiert und diffundiert schnell in Gewebe und Körperflüssigkeiten mit mäßiger Penetration der Blut-Hirn-Schranke sowie Übertritt in den fetalen Kreislauf und in die Muttermilch. Eine parenterale Gabe ist möglich. RMP wird hepatisch metabolisiert und biliär eliminiert (Tab. 7). Die Toxizität ist gering, unerwünschte Arzneimittelwirkungen s. Tab. 8. Es sind vielfältige Wechselwirkungen durch Induktion mikrosomaler Enzyme der Leber, insbesondere des Zytochrom-P-450-Komplexes, zu beachten (Tab. 9). Absolute Kontraindikationen: RMP-Allergie, akute Hepatitis, Gallengangsobstruktion; relative Kontraindikationen: Leberfunktionsstörungen. Pyrazinamid PZA wirkt im sauren Milieu intra- und extrazellulär bakterizid und sterilisierend gegen M. tuberculosis. M. bovis ist immer gegen PZA resistent. PZA wird fast vollständig aus dem Gastrointestinaltrakt resorbiert, es diffundiert schnell in Gewebe und Körperflüssigkeiten mit guter Penetration der Blut-Hirn-Schranke. Ob PZA in den fetalen Kreislauf und in die Muttermilch übertritt, ist nicht bekannt. Die Metabolisierung erfolgt vorwiegend hepatisch, die Elimination renal (Tab. 7). Die Verträglichkeit ist relativ gut, unerwünschte Arzneimittelwirkungen s. Tab. 8, Arzneimittelinteraktionen s. Tab. 9. Kontraindikationen: PZA-Allergie, akute Hepatitis, schwere Leberfunktionsstörungen, Niereninsuffizienz, Arthritis urica. Ethambutol EMB wirkt gegen M. tuberculosis intra- und extrazellulär bakteriostatisch, bei höherer Dosis (intermittierende Gabe) wird ein bakterizider Effekt diskutiert. EMB wird gut (zu ca. 80 - 85 %) aus dem Gastrointestinaltrakt resorbiert, es findet eine verhältnismäßig gute Diffussion in Gewebe und Körperflüssigkeiten statt. Eine Penetration der Blut-Hirn-Schranke ist nur bei entzündeten Meningen gegeben. EMB tritt in den fetalen Kreislauf über, das Ausmaß des Übertritts in die Muttermilch ist nicht bekannt. Geringe hepatische Metabolisierung und überwiegend renale Elimination (Tab. 7). Die Verträglichkeit ist relativ gut, unerwünschte Arzneimittelwirkungen s. Tab. 8, Arzneimittelinteraktionen s. Tab. 9. Kontraindikationen: EMB-Allergie, vorbestehende schwer wiegende Augenerkrankungen (z. B. Vorschädigung des Nervus opticus, diabetische Retinopathie, Katarakt), Unvermögen, über Sehstörungen zu berichten (z. B. hohes Alter, Kleinkinder), schwere Nierenfunktionsstörungen. Streptomycin SM wirkt bakterizid, besonders gegen extrazellulär proliferierende Erreger. Es besteht eine partielle Kreuzresistenz mit anderen Aminoglykosiden. SM muss parenteral verabreicht werden, es diffundiert mäßig gut in Gewebe und Körperflüssigkeiten und penetriert die Blut-Hirn-Schranke nur bei entzündeten Meningen in ausreichendem Maße. Es findet ein Übertritt in den fetalen Kreislauf und in die Muttermilch statt. Überwiegend renale Elimination der unveränderten Substanz. Unerwünschte Arzneimittelwirkungen s. Tab. 8, Arzneimittelinteraktionen s. Tab. 9. Die früher übliche Angabe einer kumulativen Höchstdosis von (30-)60 g wird von internationalen Gremien nicht mehr vertreten. Unter der Voraussetzung, dass die kumulative Toxizität von Streptomycin berücksichtigt wird und entspechend engmaschige Kontrollen stattfinden, kann diese Grenze im Bedarfsfall durchaus überschritten werden 47. Die Gabe weiterer potenziell oto- oder nephrotoxischer Substanzen (z. B. Cephalosporine, Amphotericin B, Colistin, Ciclosporin, Cisplatin, Schleifendiuretika, Methoxyfluran) ist zu vermeiden, die Gefahr einer neuromuskulären Blockade kann durch Gabe von Halothan und curareartigen Muskelrelaxanzien (Anästhesie) verstärkt werden. Kontraindikationen: SM-Allergie, Gravidität, schwere Nierenfunktionsstörungen, Kochlearis- oder Vestibularis-Schädigungen, Myasthenia gravis.

Fixe Medikamentenkombinationen

Die Standardmedikamente INH, RMP und PZA, INH und RMP sowie INH und EMB stehen auch als fixe Medikamentenkombinationen (H+R+Z, H+R, H+E) zur Verfügung (Tab. [3]) [93] [101]. In diesen Verabreichungsformen sind in jeder einzelnen Tablette mehrere Medikamente in unterschiedlicher Dosis enthalten. Dabei ist die Bioverfügbarkeit der einzelnen Medikamente in den in Deutschland zur Verfügung stehenden Präparaten gewährleistet [2]. Der Einsatz fixer Kombinationen kann daher trotz begrenzter Datenlage und nicht einheitlich positiver Resultate hinsichtlich ihrer Effektivität erfolgen [101] [111], zumal auch Empfehlungen zu ihrem Einsatz von der WHO (World Health Organization), der IUATLD (International Union Against Tuberculosis and Lung Disease) und verschiedenen Fachgesellschaften vorliegen [5] [49] [60]. Vorteile der fixen Kombinationen können in der Verbesserung der Compliance und der Vermeidung einer Monotherapie gesehen werden [79].

Reservemedikamente

Daneben gibt es so genannte Zweitrang- oder Reservemedikamente, die bei Resistenzen oder Unverträglichkeiten zum Einsatz kommen (Tab. [10] u. [11]). Hierzu gehören unter anderem Protionamid, Amikacin, Capreomycin, Kanamycin, Terizidon, Cycloserin, Fluorchinolone (Ofloxacin, Levofloxacin, Ciprofloxacin, Sparfloxacin, Moxifloxacin, Gatifloxacin), Rifabutin, Paraaminosalizylsäure und Thioacetazon [9] [11] [29] [ 48] [55] [61] [62] [77]. Von begrenztem Wert können darüber hinaus bei komplexen Resistenzformen noch Clofazimin und Amoxicillin/Clavulansäure sein [82]. In den USA als unspezifisches Antibiotikum zugelassen ist noch die Substanz Linezolid (Zyvox), die zu den Oxazolidinonen gehört. Zur Zeit in der Erprobung sind Rifapentin und Rifalazil, zwei Rifampicinderivate. Nicht alle Präparate sind in Deutschland im Handel, sie können jedoch über internationale Apotheken beschafft werden.

Tab. 10 Zweitrang- oder Reservemedikamente (Erwachsene) Substanz Standarddosis(mg) mg/kg+ Maximaldosis(mg) Protionamid (PTH)2 (ohne INH)(mit INH) 1 × 1000 po4 1 × 500 po4 153 7,53 15 004 Amikacin * 1 × 1000 i. v. 15 - 203 1000 Kanamycin* 1 × 1000 i. v. 15 - 20§ 1000 Capreomycin # 1 × 1000 i. v./i. m. 203 1000 Terizidon (Cycloserin) 3 × 250 po 12 - 15§ 4 × 250 Ofloxacin2 2 × 400 po 10§ 800 Levofloxacin2 1 × 500 - 750 po nv 750 Ciprofloxacin2 (<50 kg)(≥50 kg) 2 × 500 po2 × 750 po 20§ 20§ 1500 Sparfloxacin 1 × 200 - 300 po nv 400 Moxifloxacin 1 × 400 nv nv Rifabutin 1 × 300 po1 5§ 450 Paraaminosalicylsäure (PAS) 1 × 12.000 i. v. 2003 16.000 i. v. Thioacetazon 1 × 150 po 2 - 2,5§ 150 Clofazimin 1 × 300 po nv 300 § Für Kinder liegen keine ausreichenden Daten zur Dosierung vor. Die Dosen müssen approximativ ermittelt werden* keine Kreuzresistenz zu Streptomycin# keine Kreuzresistenz zu Streptomycin und Amikacin + lediglich orientierende Angabe 1in Kombination mit Indinavir 150 mg/Tagnv: nicht verfügbar 2kann prinzipiell auch i. v. verabreicht werden (weiteres siehe Herstellerhinweise) 3auch im Kindesalter gleiche Dosierung 4ggf. Dosisteilung wegen Verträglichkeit Tab. 11 Wichtige unerwünschte Arzneimittelwirkungen der Reservesubstanzen Substanz unerwünschte Arzneimitttelwirkungen Amikacin wie Streptomycin Capreomycin wie Streptomycin Protionamid gastrointestinale UnverträglichkeitHepatitisLeukopeniekutane UAW Terizidon/Cycloserin PsychosenDepressionen (Suizidgefahr)Neurotoxizitätgastrointestinale Unverträglichkeit Ciprofloxacin gastrointestinale UnverträglichkeitUnruhePsychosenAchillessehnenruptur Ofloxacin gastrointestinale UnverträglichkeitUnruhePsychosenAchillessehnenruptur Levofloxacin gastrointestinale UnverträglichkeitUnruhePsychosenAchillessehnenruptur Sparfloxacin Phototoxizität UnruheAchillessehnenrupturQT-Zeit-Verlängerung Rifabutin UveitisHepatitisTransaminasenerhöhungLeukopenieThrombopenieRotfärbung von Körperflüssigkeiten (Kontaktlinsen) Thioacetazon Schwindeltoxische Epidermolyse(kontraindiziert bei HIV-Infektion) Clofazimin Rotfärbung der HautÜbelkeitSchwindel PAS ExanthemeFieberHepatitisÖdeme

Kombinationstherapie

Die Behandlung der Tuberkulose erfolgt ausschließlich mit einer Medikamentenkombination [10] [44] [89]. Die Begründung hierfür ergibt sich aus zwei Tatsachen. Zum einen kommt Mycobacterium tuberculosis (M. tuberculosis-Komplex) innerhalb der tuberkulösen Läsionen in biologisch sehr verschiedenen Populationen vor [72] [75]. So befinden sich innerhalb einer Kaverne bei hohen Sauerstoffpartialdrücken und neutralen pH-Werten rasch wachsende M. tuberculosis-Komplex Populationen, auf die besonders INH und, wenn auch in etwas geringerem Ausmaß, RMP einen bakteriziden Effekt haben.

Innerhalb der nekrotisch-pneumonischen Läsionen finden sich langsam proliferierende M. tuberculosis-Komplex-Populationen bei sauren pH-Werten und niedrigen Sauerstoffpartialdrücken, auf die besonders PZA und RMP bakterizid wirken. In den fibrotischen Herden hingegen werden Bakterienpopulationen gefunden, die einen minimalen („burst of metabolism”) Stoffwechsel aufweisen oder vollkommen ruhen. Auf Erreger ohne nachweisbaren Stoffwechsel wirkt kein antituberkulös wirksames Medikament. Diese Erreger können lediglich während ihrer kurzen metabolisch aktiven Phasen angegriffen werden. In diesen Populationen hat vor allem Rifampicin einen sterilisierenden Effekt.

Streptomycin wirkt deutlich schwächer bakterizid, und Ethambutol hat nahezu ausschließlich bakteriostatische und resistenzvermindernde Eigenschaften [9] [72]. Beide Medikamente haben keine relevante Wirkung auf langsam proliferierende Erreger oder „persister” [9].

Ein etwas differentes Konzept zur Abschätzung der antimykobakteriellen Wirkung geht auf Mitchison zurück [75] [72]. Hier wird zwischen dem „frühen bakterizidem Effekt”, dem „sterilisierenden Effekt” und der „Fähigkeit zur Verhinderung der Resistenzentstehung” unterschieden. Die Substanz mit der höchsten frühen Bakterizidie ist Isoniazid [59], während Rifampicin sowohl den besten Effekt auf Erreger mit niedrigem Metabolismus hat (sterilisierender Effekt) [34] als auch die größte Potenz, Resistenzentstehung zu vermeiden [75]. Theoretisch und experimentell bisher nicht eindeutig geklärt ist hingegen die Fähigkeit von Pyrazinamid, die Zahl der Rezidive nach einer Kurzzeittherapie zu senken [74].

Der zweite Grund für die Kombinationsbehandlung liegt in dem Bemühen, Resistenzen zu vermeiden oder bei vorhandenen Resistenzen die Entwicklung weiterer Resistenzen zu verhindern. Dies ist stets notwendig, da sich in jeder Population von M. tuberculosis-Komplex spontan mutierte resistente Erreger befinden, die bei inadäquater Therapie selektioniert würden [22] [67] [73] [80]. Dabei ist die stochastische Frequenz spontan resistenter Mutanten für die einzelnen Medikamente durchaus unterschiedlich [27]. So kann man eine spontane Resistenz gegen INH in jeweils einem von 107 - 108 Erregern, gegenüber RMP in einem von 109-1010 Erregern und gegenüber EMB und SM in einem von 107 Erregern erwarten [27] [116]. Für PZA wird die Mutationsfrequenz auf 1 : 106 geschätzt [116].

Aus den oben angeführten Gründen ergibt sich innerhalb der Erstrangmedikamente eine Gewichtung der einzelnen Substanzen. Danach sind INH und RMP die wichtigsten bakteriziden und resistenzvermeidenden Medikamente, deren besondere Bedeutung in der raschen Dezimierung der am Beginn der Erkrankung vorhandenen großen Erregermengen liegt [59] [103], wohingegen RMP und PZA die wichtigsten sterilisierenden Medikamente sind, die entscheidende Bedeutung für die endgültige Elimination der Bakterien und somit für den langfristigen Therapieerfolg haben [10]. In der Summe ist also davon auszugehen, dass die Kombination der genannten Substanzen zu einer synergistischen und nicht nur additiven Wirkungsverstärkung führt [24].

Therapieprinzipien

Zwischen 1970 und 1995 sind in einer großen Zahl von kontrollierten Studien Therapieprinzipien entwickelt worden, die bei einem maximalen Therapieerfolg am Ende der Behandlung (> 95 %) eine minimale Rezidivrate (< 5 %) innerhalb von 5 Jahren nach Ende der Behandlung garantieren [13] [14] [38] [44] [102] [105]. Als Standardtherapie bei Nichtimmunsupprimierten ist die sechsmonatige Therapie anzusehen, bei der in den ersten zwei Monaten (Initialphase) INH, RMP, PZA und EMB oder SM und in den folgenden vier Monaten (Kontinuitätsphase) INH und RMP gegeben werden (Tab. [12]). Bei vollständig sensiblen Bakterien ist die Gabe der Medikamente INH, RMP und PZA in den ersten zwei Monaten ausreichend, da der zusätzliche Einsatz einer vierten Substanz (EMB oder SM) in der Initialphase vermutlich nur bei einer Resistenz gegenüber einem der eingesetzten Medikamente eine Rolle spielt [73] [76] [99]. Die Dosierung der Medikamente erfolgt bei Erwachsenen in der Regel bezogen auf das Körpergewicht, jedoch sind Höchstdosen zu beachten (Tab. [4] u. [5]). Die Dosierung bei Kindern (< 15 Jahren) erfolgt überwiegend nach der Körperoberfläche (Tab. [6]).

Bis auf wenige Ausnahmen bei den Reservemedikamenten werden alle Medikamente zusammen einmal täglich morgens gegeben, da sie nur so synergistisch oder additiv wirken können. Hinsichtlich der Dosierungsintervalle gibt es für die Standardtherapie (INH, RMP, PZA, EMB) eine Vielzahl von geprüften effektiven Varianten (tägliche Medikamenteneinnahme über den gesamten Therapiezeitraum, tägliche Medikamenteneinnahme über die ersten zwei Monate gefolgt von einer intermittierenden Einnahme nur zwei- oder dreimal pro Woche in der Kontinuitätsphase oder intermittierende dreimal wöchentliche Medikamentengabe im gesamten Therapiezeitraum von sechs Monaten) [99] [100]. Intermittierende Therapieformen sollten nur bei voll sensiblen Bakterien eingesetzt werden. Bei intermittierender Medikamentengabe müssen die Dosierungen der Medikamente mit Ausnahme von RMP und SM erhöht werden, allerdings fehlen Therapiestudien, die belegen, dass nur höhere Einzeldosen eine gleichwertige Effizienz der intermittierenden Therapie gewährleisten. Reservemedikamente eignen sich nicht für die intermittierende Therapie. Der Vorteil der intermittierenden Therapie liegt in der einfacheren Möglichkeit, die Therapie als überwachte Therapie durchzuführen und hiermit einer unzuverlässigen Einnahme vorzubeugen. Ein weiterer Vorteil kann in den niedrigeren Medikamentenkosten gesehen werden. Ein Nachteil der fixen Medikamentenkombinationen kann allerdings darin bestehen, dass bei Einnahme von zu wenig Tabletten die dann resultierenden subinhibitorischen Konzentrationen einer Resistenzentwicklung Vorschub leisten können. Als weitere Nachteile können die insgesamt verminderte Medikamentenmenge und die möglicherweise vermehrte Toxizität durch die erhöhten Einzeldosen ebenso wie die Problematik, dass bei der intermittierenden Therapie der Ausfall einzelner Dosen („Vergessen” der Einnahme) eine größere Relevanz hat als bei der täglichen Medikamentengabe, angesehen werden. Daher empfiehlt sich bei intermittierender Therapie immer eine überwachte Medikamenteneinnahme.

Literatur

Deutsches Zentralkomitee zur Bekämpfung der TuberkuloseGeneralsekretär Prof. Dr. Robert Loddenkemper

Lungenklinik Heckeshorn

Zum Heckeshorn 33

14109 Berlin

Email: loddheck@zedat.fu-berlin.de