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DOI: 10.1055/s-2001-18161
Psychotherapie - in Zukunft maßgeschneidert?
Psychotherapy - Tailormade in the Future?Publication History
Publication Date:
31 October 2001 (online)
In den letzten Jahren ist immer wieder von einem Paradigmenwechsel in der Psychotherapie die Rede gewesen. Psychotherapeutische Schulen und theoretische Behandlungsmodelle scheinen zugunsten integrierter und störungsspezifischer Behandlungsmaßnahmen und Interventionsstrategien an Bedeutung zu verlieren.
In der Psychotherapieforschung sind Outcome-Studien, die sich hinsichtlich der Diagnosen auf gemischte Populationen beziehen, kaum noch publizierbar. Bei der Bewertung der Effekte von Psychotherapien, wie sie in den USA beispielsweise unter dem Oberbegriff der „empirisch validierten Therapieverfahren” oder hierzulande im Zusammenhang mit der Leitliniendiskussion erfolgt, steht die Störungsspezifität ebenfalls eindeutig im Vordergrund.
Die psychotherapeutische Aus- und Weiterbildung hat zwar ihre schulenspezifische Struktur noch weitgehend bewahrt, im Angebot finden sich aber immer mehr störungsspezifische „Module”. In der Landschaft der wissenschaftlichen psychotherapeutischen Gesellschaften spiegelt sich die Ausrichtung auf spezifische Störungen ebenfalls in einer zunehmenden Spezialisierung der Themen wider. So wurden in den vergangenen Jahren zum Beispiel gleich mehrere Gesellschaften gegründet, die sich mit einem psychotherapeutischen Zugang zu Posttraumatischen Belastungsstörungen beschäftigen.
Wie sieht es in der Praxis aus? Aus neueren Untersuchungen über die Praxis der Psychotherapie wissen wir, dass psychotherapeutisch Tätige ohnehin schon lange versuchen, verschiedene Behandlungsmodelle zu integrieren und störungsspezifische „Programme” zu berücksichtigen. Besonders deutlich wird dies in der stationären Psychotherapie und in der psychosomatischen Rehabilitation, wo eine Diversifikation von Behandlungsprogrammen - unabhängig von der theoretischen Grundrichtung der Klinik - zu beobachten ist. So präsentieren sich psychosomatische Fachkliniken in ihren Prospekten immer mehr mit dem Angebot störungsspezifischer Therapieangebote, die durch „psychotherapeutische Zusatzangebote” ergänzt werden können. Neben der Störungspezifität ist darüber hinaus eine Differenzierung von Behandlungsangeboten für bestimmte Zielgruppen zu erkennen (z. B. ältere Patienten, Mütter mit ihren Kindern, Migranten etc.).
Wird die Psychotherapie der Zukunft eine maßgeschneiderte Psychotherapie sein?
Diese Frage stand im Mittelpunkt der letzten Jahrestagung des Deutschen Kollegiums für Psychosomatische Medizin (DKPM), die im März 2001 in der Rheinklinik Bad Honnef stattfand. Die vier Plenarvorträge, in denen die Frage „Spezifisch vs. Allgemein” aus unterschiedlichen Perspektiven diskutiert wurden, sind in diesem Heft abgedruckt.
Zunächst nimmt Peter Fiedler - aus der Sicht eines Verhaltenstherapeuten - zu der Frage Stellung und zeigt einige (in den Therapieschulen kultivierte) Mythen auf, die eine Integration angemessener Interventionen in der Psychotherapie behindern. Harald Freyberger stellt die Entwicklungen in der Psychiatrie dar, die - bedingt durch deren besondere institutionelle Rahmenbedingungen - bezüglich unterschiedlicher klinischer Bilder in den vergangenen 20 Jahren störungs- und problemorientierte Therapieprogramme entwickelte, die nach Auffassung des Autors aber noch weiter differenziert werden müssen. Joachim Küchenhoff stellt die psychoanalytische Haltung zu störungsspezifischen Ansätzen dar, den Fokus auf das Individuelle. Er zeigt auf, dass der Spezifitätsbegriff in der Psychoanalyse „schwach”, aber berechtigt sei. Mein eigener Beitrag schließlich kommentiert das Thema aus der Sicht der Psychotherapieforschung und konzentriert sich auf das vielzitierte Verdikt des Dodo-Vogels, hinter dem sich die Diskussion über die relative Bedeutung allgemeiner vs. spezifischer Wirkfaktoren verbirgt. Es zeigt sich, dass diese Dichotomisierung nicht länger haltbar ist, weswegen für einen Abschied vom Dodo-Vogel plädiert wird.
Aus organisatorischen Gründen war es leider nicht möglich, einen fünften Beitrag zum Tagungsthema in dieses Heft aufzunehmen. Darin versuchte Klaus Grawe eine „Spezifikation des Allgemeinen” und zeigte Wege einer individualisierten Psychotherapie auf, in der - neben der Störung - unterschiedliche psychologische Ausgangsbedingungen bei der Behandlungsplanung berücksichtigt werden.
Vermutlich liegt in diesem Ansatz die Zukunft der Psychotherapie: Individuell gestaltete, durchaus maßgeschneiderte Behandlungen, deren Maß aber weit mehr sein wird als die Störung.
Prof. Dr. Bernhard Strauß
Institut für Medizinische Psychologie des Klinikums der Universität Jena
Stoystraße 3
07740 Jena