Erfahrungsheilkunde 2001; 50(10): 617-622
DOI: 10.1055/s-2001-18117
Chronik

Karl F. Haug Verlag, in: MVH Medizinverlage Heidelberg GmbH & Co. KG

Die Zeitschrift Erfahrungsheilkunde 1951-2001

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Publication History

Publication Date:
30 October 2001 (online)

Die Frage ist oft gestellt worden: Wer war eher da: die Ärztegesellschaft oder die Zeitschrift Erfahrungsheilkunde? Die Antwort lautet: Wenn man die Arbeitsgemeinschaft für Erfahrungsheilkunde als direkten Vorläufer der späteren Ärztegesellschaft begreift, dann ist die Arbeitsgemeinschaft mit ihrer ersten Tagung am 29. und 30. März 1951 in Plochingen zwar im gleichen Jahr wie die Zeitschrift Erfahrungsheilkunde erstmals an die Öffentlichkeit getreten, jedoch um etwa ein halbes Jahr früher.

Wie auch immer: Es war und bleibt eine mutige unternehmerische Tat des Verlegers Karl F. Haug, im September 1951 die erste Ausgabe seiner Zeitschrift „Erfahrungsheilkunde” herauszubringen. Es gab keine festen Bezieher und auch die „Organschaft” der „Arbeitsgemeinschaft für Erfahrungsheilkunde”, des „Internationalen Forschungskreises für Augendiagnostik”, der „Blaubeurer Gespräche” und des „Arbeitskreises für Geopathie” bedeutete nicht viel. Denn alle diese losen Zusammenschlüsse von Interessenten auf verschiedenen Gebieten kannten damals noch keine eingeschriebenen Mitglieder und daher auch keine Mitgliederbeiträge, aus denen ein Pauschalabonnement hätte finanziert werden können.

Mit der Herausgabe der Zeitschrift übernahm der Verleger nicht nur ein erhebliches wirtschaftliches Risiko und die Verpflichtung zum regelmäßigen Erscheinen, sondern er gelangte damit auch in den Besitz der originären Rechte an der Erfahrungsheilkunde.

Eine materielle Stütze durch einen nennenswerten Pauschalbezug gab es erst, als aus der Arbeitsgemeinschaft eine „Gesellschaft der Ärzte für Erfahrungsheilkunde e.V.” und etwa zweihundert Leser als Mitglieder der neu gegründeten Gesellschaft zu Dauerabonnenten wurden. Das aber war frühestens vom Jahre 1967 an der Fall.

Heute steht die Erfahrungsheilkunde auf einem soliden Fundament. Seit 1999 gehört der Karl F. Haug Verlag zur Thieme Verlagsgruppe. Der führende medizinische Fachverlag fördert mit seinen Publikationen die Anliegen einer Gesamtmedizin: das komplementärmedizinische Buch- und Zeitschriftenprogramm steht gleichberechtigt neben den umfangreichen schulmedizinischen Programmen. Der Erfahrungsheilkunde kommt dabei eine Schlüsselrolle zu. Als Organ der Ärztegesellschaft spiegelt sich auf ihren Seiten das gesamte Spektrum der biologischen Heilverfahren wider.

Die Erfahrungsheilkunde erschien vom ersten Jahre an zwölfmal jährlich. Ihr Inhalt spiegelt die medizinische Situation der ersten Nachkriegsjahre wider: Viele heute als Teil der konventionellen und unkonventionellen Medizin bekannte Gebiete der Heilkunde wurden damals den interessierten Ärzten erstmals erschlossen und zugänglich gemacht: Neben die allgemein bekannte Homöopathie traten die Akupunktur, die Chirotherapie, die Neuraltherapie, die Bindegewebsmassage, die Chirogymnastik usw. Am besten erläutert das Inhaltsverzeichnis des ersten Jahrganges die Spannbreite der Themen und Interessengebiete:

Akupunktur Astrologie u. Astromedizin Asthma und Dysbakterie Augendiagnostik: Wesen d. Irisdiagnostik Wo steht d. Augendiagn. heute Topolabilität d. Iriszeichen Betracht. u. Deutg. d. Irisz. Charakterologie d. Irisz. Vergleich Magnetismus, Homöopathie usw. Irisdiagnostik beim Tier Aus der Praxis Einteilung der Iris Nierensteinzeichen Klin. Überprüfung als Gesichtsdiagnostik Biologische Grundlagen Beckennervenmassage Bergel u. seine Kreislauftheorie Biene, Heilkraft der Bierhefe (Diabetylin) Carcinom s. Krebs Chines. Medizin Chiropraktik Crataegus oxyacantha Diabetes mellitus Diabetylin Dynamisches Heilmittel zur Steuerg. d. veg. Systems Dysbakerie, Asthma Einführung Elektrobiol. Bahnungsreize Elektro-hämo-dynam. Auffassung des Krebses Elektromagnet. Zelle Erdstrahlung, Abschirmung Faradische Hand Farbenlehre Fließ'sche Lehre Fluorescenz-Mikroskopie Frostschäden Furunkulosebehandlung Geopathie Gerson Graphologie Haardiagnostik Hahnemann, S. Heilkraft im Bienenkörper Heilmittel aus Ureinheit von Farbe, Ton u. Form Heilung, oberstes Gesetz Homöokatalysatoren Homöopathie Infrarotvollbad Irisdiagnostik s. Augendiagn. Kinderlähmung Krebs Kreislauftheorie von K. Bergel Künzle, Joh. Leberleiden, Phytotherapie Magnetismus Massagebehdlg. inn. Krankh. (s. auch Beckennerven- u. Bindegewebsmassage) Mesmerismus Mumienarznei Paracelsus Parathermie Perniolyt Pflanzenheilk., giftfreie Physikal. Behandlungsweisen Phytotherapie d. Leberleiden Poliomyelitis Praxis, markante Fälle Pulslehre in Europa, Gesch. Reflexzonentherapie Schlegel, E. Schnabel, R. Signaturenlehre Stoffwechselstörungen Substanzlehre nach Fließ Suggestion Theophrastus v. Hohenheim s. Paracelsus Tiegelapparat gegen Krebs Volksheilmittel Wärmebehandlung Weißdorn Weltanschauung u. Heilkunde Zuckerkrankheit

Inhaltsverzeichnis der ersten Ausgabe

Die Irisdiagnostik spielte nicht nur auf den frühen Tagungen der Arbeitsgemeinschaft eine bedeutende Rolle, nicht zuletzt deshalb, weil eine Reihe namhafter Heilpraktiker (Angerer, Deck, Maubach) Erfahrungswissen präsentieren und überprüfen lassen konnte. Erst nach und nach ist diese Dominanz aus dem Inhalt der Zeitschrift verschwunden. Zunächst übernahm die Akupunktur die beherrschende Position und zwar so nachhaltig, dass sich der Verleger Karl F. Haug schon 1952 entschließen musste, dem Themengebiet der Akupunktur eine eigene periodisch erscheinende Zeitschrift zu widmen.

Diese erschien in den ersten beiden Jahren - 1952 und 1953 - zunächst als Beilage zur Allgemeinen homöopathischen Zeitung (AHZ), und zwar schon unter ihrem bis heute gültigen Titel „Deutsche Zeitschrift für Akupunktur”. Ab 1954 kam dann die DZA als eigenständiges Periodikum heraus und ist bis zum heutigen Tage ein wesentliches Objekt im Haug Verlag geblieben. Dieser Seitenblick auf das Entstehen einer eigenen Akupunkturzeitschrift ist aber auch in anderer Hinsicht von Bedeutung. Karl Friedrich Haug hatte die ersten zwei Jahrgänge der Erfahrungsheilkunde in der „Verlagsabteilung” seiner Buchhandlung Haug & Cie. in Saulgau erscheinen lassen. Er wollte den Karl F. Haug Verlag als „reinen” Homöopathie-Verlag mit der ältesten deutschen medizinischen Zeitschrift, nämlich der „Allgemeinen homöopathischen Zeitung” - gegründet 1832 -, „unverfälscht” erhalten.

Mit der Gründung der Deutschen Zeitschrift für Akupunktur (DZA) und dem Umzug von Saulgau nach Ulm glaubte er jedoch, diese Zurückhaltung aufgeben zu können. Er ließ also die Erfahrungsheilkunde und die DZA von 1954 an im Karl F. Haug Verlag in Ulm erscheinen.

Über 12 Jahrgänge hinweg hat ihr erster Schriftleiter, Dr. med. Will Rink, der in Steingaden zu Hause war, die Erfahrungsheilkunde mit seinen eigenen, oft programmatischen Beiträgen und mit der Auswahl der Artikel aus der Feder bekannter Autoren geprägt. In der Mitte des Jahres 1963 übergab er aus gesundheitlichen Gründen das Amt des Schriftleiters an Dr. med. Christian Scharfbillig aus Reil an der Mosel.

Gemeinsam mit seinen Co-Redakteuren Dr. med. Rudolf Gruner, Dr. med. Erich W. Stiefvater und Dr. med. Heinz Zulla schrieb Christian Scharfbillig ein Editorial im 7. Heft des XII. Jahrganges 1963, das von großer Aussagekraft - auch heute noch - ist:

„Otium cum dignitate”

Wir übernehmen heute die Schriftleitung der „Erfahrungsheilkunde” mit einem Dank an den Verleger Herrn Karl F. H a u g für das Vertrauen, das er uns durch die Berufung an diese Stelle bewiesen hat.

Der scheidende Schriftleiter Herr W. R i n k hinterlässt uns eine Zeitschrift, die unter seiner verantwortlichen Leitung den XII. Jahrgang erreicht hat und heute in der medizinischen Fachpresse einen festen, unabhängigen, achtunggebietenden Platz einnimmt. Seine erfolgreiche Arbeit verpflichtet uns, das Werk in seinem Sinne fortzusetzen, die Intimsphäre der „Erfahrungsheilkunde” zu wahren und sie weiter zu pflegen als Zeitschrift einer großen gleichgesinnten Familie von Praktikern.

Es scheidet der Schriftleiter, es bleibt der Freund, den wir bitten, uns auch aus seiner beschaulichen Ruhe mit Rat und Tat zu unterstützen.

Wir wollen in der „Erfahrungsheilkunde” alle die weiter zu Wort kommen lassen, die uns etwas zu sagen haben über alle biologischen Heilweisen im weitesten Sinne, mit denen sie behandeln und - heilen, die Individualisten unter uns, die fruchtbare neue Gedanken in die Debatte zu werfen haben. Wir wollen auch denen folgen, die in der Harmonisierung von Leib und Seele einen Gesundungsfaktor von größter Bedeutung sehen.

Die „Erfahrungsheilkunde” steht aber auch allen denen offen, die dem Praktiker Rüstzeug für eine erfolgreiche Arbeit bieten, tolerant und aufgeschlossen räumt sie auch ihnen den gebührenden Platz in ihren Spalten ein.

Chemie, Physik und vitalistisches Denken bildeten seit jeher die Grundlagen der Heilkunde. Die Akzente mögen sich zeitlich verschieben. Wir besitzen nur diese drei Schlüssel zu den Rätseln des Lebens!

Wie wir sie gebrauchen, darin liegt die Freiheit unseres Handelns!

Dr. med. CHRISTIAN SCHARFBILLIG
Dr. med. RUDOLF GRUNER
Dr. med. ERICH STIEFVATER
Dr. med. HEINZ ZULLA

Die Mitstreiter der „Erfahrungsheilkunde” waren alte Mitstreiter aus den Gründungstagen der Arbeitsgemeinschaft und der Zeitschrift. Wer aber war Christian Scharfbillig?

Der neue Schriftleiter war Mosellaner. Es hatte ihn aber nach dem Medizinstudium und der Facharztausbildung als Gynäkologe 1930 ins (katholische) Ermland in Ostpreußen verschlagen. Bis fast zum Kriegsende hatte Christian Scharfbillig in Frauenburg als Gynäkologe praktiziert - unterbrochen nur durch seine Tätigkeit als Oberstabsarzt im 2. Weltkrieg. Die Humoralmedizin ergänzte dabei das Spektrum seiner therapeutischen Möglichkeiten. Nach der Vertreibung fand er in seiner eigentlichen Heimat, nämlich in Reil an der Mosel, wieder eine Bleibe. Er eröffnete dort allerdings keine Frauenarztpraxis mehr, sondern betrieb als Landarzt eine Allgemeinpraxis bis zu seinem Lebensende 1969.

Neben einer Fülle von eigenen Beiträgen in der Erfahrungsheilkunde hat er dem Verlag und damit der Öffentlichkeit zwei Bände über den roten und weißen Aderlass hinterlassen. Er war es auch, der 1966 die große Zäsur im Erscheinungsbild der Zeitschrift tatkräftig mitmachte, als nämlich aus dem „kleinen” DIN-A5-Journal eine großformatige, auf Kunstdruck hergestellte Monatsschrift wurde. In der ersten Ausgabe der so umgestalteten Zeitschrift hat kein geringerer als Ferdinand Huneke einen zusammenfassenden, 12 Seiten umfassenden Überblick über seine Neuraltherapie unter dem Titel „Grenzen und Möglichkeiten der Neuraltherapie” veröffentlicht. Der Umfang dieser Arbeit verbietet die Wiedergabe an dieser Stelle. Nur ein Satz soll hier zitiert werden, weil er besonders charakteristisch für den Autor und seine Methode ist:

„Wenn man erst das Wesen der Neuraltherapie als konservative Sympathicuschirurgie begriffen hat, dürfte es auch jedem vernünftigen Menschen selbstverständlich sein, dass der sogenannte doppelte Blindversuch auf die Neuraltherapie genauso wenig anwendbar ist wie auf die Chirurgie.”

Rudolf Gruner hat in „seiner Zeitschrift” einen warmherzigen Nachruf auf den plötzlich verstorbenen Christian Scharfbillig veröffentlicht, aus dem hier einige Sätze wiedergegeben werden sollen:

„Nun ist sein Platz leer und im Grunde nicht mehr zu besetzen. Uns fehlen sein wendiger Geist, der für alle Schwierigkeiten passende Lösungen parat hatte, seine unerschöpfliche Literaturkenntnis und umfassende Übersicht über die Zeitschriftenwelt als ehemaliger Mitgestalter und Mitherausgeber von „Was gibt es Neues in der Medizin”. Uns fehlt der kritische, doch stets versöhnliche Hauptschriftleiter, der unsere Zeitschrift lebendig und abwechslungsreich zu gestalten wusste. Im Zeitalter der Uniformierung werden wir seine starke Individualität, sein charaktervolles Profil als Praktiker alter Schule vermissen.

Doch viel bleibt uns auch von ihm. Nicht nur das sorgfältig kritisch Niedergeschriebene, das später eingehend zu würdigen ist, sondern vor allem sein lebendiges Vorbild, die Summe vieler Eindrücke aus vielen Begegnungen, Gesprächen und Auseinandersetzungen.

Auf Christian Scharfbillig passen so ehrwürdige Begriffe wie: ein Mann von echtem Schrot und Korn, oder ein Ritter ohne Furcht und Tadel. Absolute Standfestigkeit und Zuverlässigkeit prägte ihm seine ostpreußische Wahlheimat auf den spritzigen Geist und Herzenshumor schenkte ihm sein Geburtsland, das zugleich sein Alterssitz war: das Moseltal. Und was noch an Sonne und heiterem Glanze fehlte, das brachte seine liebe Frau aus Sizilien in die Ehe ein. So war Christian Scharfbillig nicht nur ein umfassender Geist in der Medizin, sondern auch als Mensch Europäer, das heißt zukunftsweisend.”

Nach Scharfbilligs Tode führte Prof. Dr. med. Heinrich Lampert als Herausgeber die Schriftleitung der Zeitschrift fort. Seine Berufung entsprang dem Wunsche des Vorstandes der ärztlichen Gesellschaft ebenso wie dem des Verlages. Mit seinem Eintreten in die Schriftleitung gab es auch in der Zusammensetzung des Mitschriftleiterkreises einige Änderungen. Hier wirkten fortan: Dr. Rudolf Gruner, Dr. Peter Dosch, Dr. Siegfried Rilling, Prof. Dr. Erwin Schliephake und Dr. Herbert Warning mit.

Heinrich Lampert, bis 1945 Ordinarius für physikalische Medizin an der Universität Frankfurt/Main, danach lange Jahre Chefarzt der Weserberglandklinik in Höxter, betrachtete sein neues Amt als letzte Herausforderung seines sich dem Ende zuneigenden Berufslebens. Vor allem die kritische Auseinandersetzung mit den Problemen des niedergelassenen Arztes lag ihm am Herzen. So begann denn auch die erste Ausgabe der Zeitschrift mit dem bezeichnenden Beitrag von Dr. med. Otto Hauswirth, Wien, unter dem Titel „Was ist eine Diagnose”, dessen Zusammenfassung lautet:

„Oberster Lehrmeister der Ärzte ist noch immer der pathologische Anatom. Es zeigt sich aber, dass die morphologische Änderung nicht Ursache, sondern Folge der patho-neurovegetativen Dystonie ist. Außerdem stimmt der Befund nicht immer mit dem Befinden, dem Gesundheitszustand des Patienten überein. Die Ursache der Krankheiten sind nicht so unbekannt, abgesehen von den Erregerkrankheiten, wie man immer vorgibt. Die Neuralpathologie in Verbindung mit psychosomatischen Gedankengängen ist sehr wohl in der Lage, eine völlige „Durcherkennung” (Diagnose) der Krankheiten zu erreichen, ohne viele Hypothesen und Theorien, auf Grund des schon Bekannten. Die amerikanische Medizin ist viel zu mechanisch eingestellt. Ohne wirkliche ätiologische und pathogenetische Kenntnisse ist eine ersprießliche ärztliche Tätigkeit unmöglich. Eine Diagnose muss nicht nur morphologisch, sondern auch funktionell ursächlich richtig sein. Dann wird auch die Praxis von ihr profitieren.”

Es folgten noch zahlreiche weitere Arbeiten diagnostischen und therapeutischen Inhalts, die sich dem strengen Maßstab des Herausgebers - Hauptschriftleiter wollte er nicht sein - Heinrich Lampert zu unterwerfen hatten. Ganz ohne Zweifel hat er damit das Niveau der Erfahrungsheilkunde gehoben und ihre Anerkennung in der medizinischen Öffentlichkeit gefördert. Am 13. 06. 1973 vollendete Heinrich Lampert sein 75. Lebensjahr. Er, der Zeit seines akademischen Lebens von seinen Mitarbeitern, seinen Autoren, Zuhörern und Lesern ein äußerstes Maß an Selbstkritik gegenüber den eigenen Aussagen gefordert hatte, meinte nun, seinem eigenen Postulat folgen zu müssen und trat von seiner Verpflichtung als Herausgeber der Erfahrungsheilkunde zurück.

Der Verleger der Zeitschrift Dr. Ewald Fischer dankte ihm mit folgenden Worten:

„Als am 22. Mai 1969 der langjährige Schriftleiter unserer Zeitschrift, Dr. Christian Scharfbillig, plötzlich verstarb, war die Ratlosigkeit unter allen denen, die sich der „Erfahrungsheilkunde” verbunden fühlten, groß, wer denn für die Verantwortung der Redaktion gewonnen werden könnte.

Es wurde die Stunde Heinrich Lamperts, als an ihn die Bitte und der Auftrag ergingen, die schon traditionsreiche Zeitschrift in ihrer charakteristischen Linie redaktionell weiterzuentwickeln und das in ihr publizierte Erfahrungsgut so vieler Ärzte kritisch auf seine Stichhaltigkeit zu prüfen und so das wissenschaftliche Ansehen der „Erfahrungsheilkunde” zu vermehren. Damals hat der Jubilar nach geringem Drängen um der Sache willen kurz entschlossen „ja” gesagt, wiewohl er wusste, welche Aufgabe er damit auf sich lud.

Der verantwortliche Schriftleiter steht immer im Kreuzfeuer der Öffentlichkeit und ist der Kritik ausgesetzt. Nicht jeder ist in der Lage und bereit, die Kritik, zumal sie nicht selten unsachlich und unbegründet ist, zu ertragen. Heinrich Lampert hat dem begründeten Verhalten stets Rechnung getragen, frei von persönlichem Ehrgeiz oder falscher Empfindlichkeit. Er hat auch diesen Teil der Schriftleitertätigkeit als Dienst an der Sache verstanden.

Heinrich Lampert hat die „Erfahrungsheilkunde” als Herausgeber betreut. Darin liegt gegenüber dem Schriftleiter ein feiner Unterschied: er wollte als Herausgeber den Inhalt der Zeitschrift neu gliedern, neue Rubriken einführen und neue Mitarbeiter mit bestimmten Aufgaben betreuen. Das ist ihm in vielen Punkten gelungen. Denken wir nur an die erst jüngst getroffene Einführung der „Merksätze”.

Nun, da Heinrich Lampert die Schwelle zum 75. Lebensjahr überschreitet, zeigt er genau das, was er von den Mitarbeitern an der Zeitschrift immer erwartet und gefordert hatte: Selbstkritik. So meint er heute von sich selbst, dass das Alter es gebiete, die Aufgabe der Schriftleitung in andere Hände zu legen und so den Weg frei zu machen für eine weitere Entwicklung der Zeitschrift, die zusammen mit den Kongressen das weithin sichtbare Aushängeschild der Erfahrungsheilkunde bleiben wird. An dieser Stelle gebührt Heinrich Lampert der Dank aller, die sich ihm und dem von ihm vertretenen Anliegen verbunden fühlen. Insbesondere ist es der Dank des Verlegers für die Jahre verständnisvoller und erfolgreicher Zusammenarbeit. Möge ihm noch eine lange Zeit des aktiven Dabeiseins in allen Bereichen der Erfahrungsheilkunde beschieden sein.”

Der Nachfolger, Obermedizinalrat Dr. med. Wilhelm Heesen, war Internist und Lungenfacharzt und leitete bis zu seiner Pensionierung die 600 Betten große Lungenheilstätte in Wittlich an der Mosel. Er befand sich damit nicht nur in der räumlichen Nähe eines seiner Vorgänger, nämlich der von Christian Scharfbillig. Er war ihm auch in seinem biologisch-medizinischen Umfeld nahe. Die Humoralmedizin gehörte zu seinem bevorzugten therapeutischen „Handwerkszeug”. Es lag eine tiefe Tragik in dem Wirken von Wilhelm Heesen. Denn schon wenig mehr als ein Jahr später ereilte ihn der Tod während des Schlafes im April 1974. Die Lücke, die er hinterließ, war so bald nicht zu schließen. Es dauerte einige Monate, in denen die Erfahrungsheilkunde „schrifleiterlos” leben und von dem Manuskriptfundus gespeist werden musste, den Wilhelm Heesen in weiser Voraussicht angelegt hatte.

Erst mit dem Augustheft 1974 konnte der Verlag einen neuen „Verantwortlichen” präsentieren.

Es war Dr. med. Erich Krug, den eine chronische Erkrankung an der Übernahme und Führung einer eigenen Allgemeinpraxis gehindert, der aber durch eine konsequente Vertretungsarbeit den Kontakt zur allgemeinmedizinischen Alltagspraxis nie verloren hatte. Ihm, der auch pharmakologisch eine vertiefte Ausbildung erfahren hatte, schien die Position des verantwortlichen Hauptschriftleiters geradezu „auf den Leib geschneidert” zu sein.

Er konnte seine Arbeit unter erheblich günstigeren Bedingungen aufnehmen. Denn inzwischen war ja die Medizinische Woche in Baden-Baden etabliert und „hinterließ” dem Schriftleiter jeweils eine große Fülle von Manuskripten der Vorträge, deren Qualität vorher von einem kritischen Auditorium getestet worden war. Erich Krug konnte deshalb auch dazu übergehen, die 12 Ausgaben des Jahres (und zusätzlich einen Phytotherapie- und Referateband mit den Zusammenfassungen der Baden-Badener Vorträge) schwerpunktmäßig zu ordnen, so dass den Lesern häufig in einem Heft eine Übersicht der jeweiligen therapeutischen Methoden und Arzneimittel bestimmter Fachgebiete der biologischen Medizin geboten wurde.

Erich Krug war ein zurückhaltender Arzt, der sich nicht profilierend in den Vordergrund drängen wollte. Auf der Medizinischen Woche war er stets der kritische Beobachter im Hintergrund, nicht der Vortragende oder Moderator. Gleichwohl hat die Zeitschrift Erfahrungsheilkunde gerade in seiner Zeit nicht nur Leser gewonnen, sondern ihr Ansehen und ihre Resonanz in der Gesamtmedizin erhöht.

Neben seiner Schriftleitertätigkeit hat sich Erich Krug auch dem Lektorat des Verlages zur Verfügung gestellt und so nachhaltig Einfluss auf dessen Buchprogramm ausgeübt. Zwei eigene Veröffentlichungen begleiteten diese Tätigkeit: einmal die Broschüre „Die therapeutische Verwendung der Roten Beete” und besonders das „Lexikon der Naturheilkunde”.

Seit 1980 hatte Erich Krug mit Dr. med. Heinz Grunewald einen tatkräftigen Mitschriftleiter zur Seite, eine Maßnahme, die aus dem wachsenden Umfang der einzelnen Hefte und dem größer gewordenen Angebot an eingereichten Manuskripten erforderlich wurde.

Es erwies sich, dass diese Maßnahme auch noch aus einem anderen Grunde wichtig war: Am 21. 08. 1988 verstarb Erich Krug während eines Urlaubsaufenthaltes im Ausland plötzlich. So tief die Betroffenheit über seinen unerwarteten Tod auch war, so beruhigt konnte der Verleger an die Kontinuität in der Schriftleitung anknüpfen und dem bisherigen Mitschriftleiter Dr. med. Heinz Grunewald die Verantwortung für den Inhalt der Zeitschrift übertragen. Er brauchte sich bei den Lesern der Zeitschrift nicht mehr einzuführen, denn als langjähriger 1. Vorsitzender der Ärztegesellschaft für Erfahrungsheilkunde e.V. war er nicht nur allgemein bekannt, sondern mit den Problemen und Anliegen der biologisch orientierten Ärzteschaft bestens vertraut. Trotzdem wandte er sich mit einem Vorwort der Oktober-Ausgabe 1988 an die Leser der Erfahrungsheilkunde:

„Am 21.8.1988 ist der Haupt- Schriftleiter unserer Zeitschrift „Erfahrungsheilkunde”, Dr. med. Erich Krug, verstorben.

Unser Kollege Krug hat sich um die Erfahrungsheilkunde verdient gemacht und sich in treuer Pflichterfüllung einen würdigen Platz in der Reihe seiner unvergessenen Amtsvorgänger erworben.

In meiner Amtszeit als erster Vorsitzender unserer Gesellschaft der Ärzte für Erfahrungsheilkunde war ich bemüht, die bisweilen gegensätzlichen Meinungen innerhalb unserer Gesellschaft einschließlich unserer korporativen Mitgliedsverbände zum Wohle unserer Gesellschaft zusammenzuführen.

Darüber hinaus halte ich es auch für eine Aufgabe unserer Zeitschrift, Erkenntnisse und Ergebnisse unserer Erfahrungsheilkunde den bisher nur ausschließlich auf schulmedizinischer Basis praktizierenden Kollegen nahezubringen. Da wir die Erfahrungsheilkunde als positive Erweiterung unserer schulmedizinischen Ausbildung ansehen, sollten auch geeignete wissenschaftliche Arbeiten aus anderen Teilgebieten der Medizin zur Veröffentlichung kommen. Nirgendwo steht geschrieben, dass wir unseren geistigen Horizont zu begrenzen haben. Verlag und Schriftleitung werden sich auch in Zukunft bemühen, mit der erforderlichen Gelassenheit sich den wissenschaftlichen und gesellschaftspolitischen Anforderungen zu stellen, um die berechtigten Interessen unserer Mitglieder und deren Patienten gegenüber eifrigen Dogmatikern jedwelcher Couleur zu vertreten.

Die an uns alle gestellten Anforderungen verlangen im Rahmen eines deutlichen Strukturwandels in unserem Gesundheitswesen nicht nur ein Umdenken, sondern auch eine entsprechende Schulung.”

Zur Unterstützung der Haupschriftleitung traten 1989 Dr. H.G. Eberhardt aus Saarbrücken und Dr. Wolfgang Gedeon aus Gelsenkirchen mit in die Schriftleitung der Zeitschrift ein. Während H.G. Eberhardt vor allem durch Beiträge aus dem Gebiet der Elektroakupunktur und Ozontherapie, aber auch durch zahlreiche Grundsatzbeiträge die Zeitschrift bereicherte, profilierte sich W.Gedeon von Anfang an als sehr engagierter und kritischer Vordenker für das Anliegen der Erfahrungsheilkunde. Neben seiner allgemeinmedizinischen Praxis hat er sich schon vor seinem Wirken in der Erfahrungsheilkunde mit Fragen der allgemeinmedizinischen Theorie und methodologischen Problemen intensiv befasst. Seine beiden Bücher „Erfahrungsheilkunde und Naturheilverfahren - eine Einführung in die biologische Medizin” und „Von der biologischen Medizin zur Ganzheitsmedizin - eine Gesamtschau der Heilkunde” sind und waren für viele Ärzte der Einstieg in die Theorie und Praxis natur- und erfahrungsheilkundlicher Methoden.

Heinz Grunewald hat seine Aufgabe als treuer Saalwalter der Erfahrungsheilkunde und als Platzhalter für einen jüngeren Kollegen verstanden. So konnte er sich mit Ablauf des Jahrganges 1989 von den Lesern auch guten Gewissens von seiner nur kurze Zeit dauernden Hauptschriftleitertätigkeit verabschieden:

„Mit Ablauf dieses Jahrgangs unserer Zeitschrift darf ich mich als deren Hauptschriftleiter von Ihnen verabschieden. Aus alter Verbundenheit mit unserer Erfahrungsheilkunde hatte ich mich, nach dem für uns überraschenden Ableben unseres unvergessenen Kollegen Erich Krug, auf Bitten des Verlegers, unseres Freundes Dr. E. Fischer, bereit erklärt, die Hauptschriftleitung vorübergehend bis zum Ende dieses Jahrgangs zu übernehmen.

Wenn auch ein Jahr verständlicherweise zu kurz ist, um sich in die Materie einzuarbeiten und die Zeitschrift nach eigenen Plänen zu entwickeln, hat mir die Arbeit viel Freude gemacht. Vor allem habe ich es sehr begrüßt, dass sich erste engere Kontakte zwischen Schriftleitung, Autoren und besonders Ihnen, liebe Leser, angebahnt haben.

In diesem Sinne darf ich ein Einführungswort des ersten Hauptschriftleiters unserer Zeitschrift in Heft 1, Jahrgang 1, aus dem Jahre 1951 zitieren:

„Indem wir unsere Arbeit unter dem Zeichen der Iris (der Regenbogen, Sinnbild der Eintracht und Versöhnung) beginnen, hoffen wir, einen Brückenbogen zwischen praktischem Erfahrungsgut und theoretischem Wissen schlagen zu können, über den sich mancherlei Vorurteile, Missverständnisse und unsachliche Fehden zu Grabe tragen lassen, auf dass endlich der Weg frei werde über Erfahrung und Wissen zur Erfahrungsheilkunde.”

Diese Präambel unseres Kollegen Dr. Will Rink sollte eigentlich in goldenen Lettern im Impressum unserer Zeitschrift stehen. Ich übergebe mein Amt in jüngere Hände: an Herrn Dr. György Irmey - dem ich Glückauf und Erfolg zum Gelingen unserer Erfahrungsheilkunde wünsche.”

Mit folgenden Grundsätzen, die er in seinem Editorial zu Beginn des Jahres 1990 ausgeführt hat, ist Dr. Irmey angetreten:

„Als vor fast vierzig Jahren die erste Ausgabe dieser Zeitschrift erschien, hatten die Methoden der Erfahrungs- und Naturheilkunde in Medizin und Öffentlichkeit einen ganz anderen Stellenwert als heute. Die Vertreter dieser Richtung standen voll und ganz hinter ihren Verfahren und setzten sich vor allem mit dem geistigen Hintergrund der Methoden auseinander. Erfahrungsheilkunde kann und darf sich auch heute nicht auf die Anwendung einer „sanften biologischen Technik” beschränken, sondern muss stets ein ganzheitliches Menschenbild vor Augen haben. Da wir in neuerer Zeit dank immunologischer Forschungsergebnisse eine wissenschaftliche Beweisführung für die jedem Patienten innewohnende altbekannte vis medicatrix naturae führen können, sollte uns die Anregung dieser Selbstheilungskraft im Menschen vor allem wichtig sein - viel wichtiger als das Ziel, einer bestimmten Methode vor einer anderen den Vorzug zu geben.

In diesem Sinne liegt es mir als Hauptschriftleiter der ERFAHRUNGSHEILKUNDE besonders am Herzen, die Vertreter der verschiedensten biologischen Richtungen zu Wort kommen zu lassen. Der Brückenschlag zur sogenannten Schulmedizin soll dabei auch in Zukunft nichts von seiner Dynamik verlieren. Das heißt aber nicht, dass der gängige Wissenschaftsbegriff der gegenwärtigen Hochschulmedizin kritiklos zu akzeptieren ist - vielmehr muss aufgezeigt werden, dass der Mensch als komplexes Individuum nie nur objektiven Laborbedingungen ausgesetzt werden kann und daher eine am Befinden der Patienten und den Regulationsvorgängen im Organismus orientierte Erfahrungsheilkunde genauso eine Berechtigung hat, wie die häufig nur am Befund und der Zellularpathologie orientierte kausalwissenschaftliche Medizin …”

Diesem Anspruch auch in Zukunft gerecht zu werden und die Zeitschrift Erfahrungsheilkunde mit der Unterstützung vieler ausgezeichneter Autoren weiterhin als ein zukunftsweisendes Organ der Ärztegesellschaft für Erfahrungsheilkunde zu gestalten - das ist die Aufgabe, der sich die Schriftleitung und Redaktion stellen.

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