Zusammenfassung
Es wird ein Überblick zur Konzeption, der Planung und den
wichtigsten Etappen der Bau- und Wirkungsgeschichte der psychiatrischen Anstalt
in Halle-Nietleben gegeben. Zusammen mit der einige Jahre früher (1842)
von Chr. F. W. Roller bei Achern in Mittelbaden begründeten
„Illenau” stellt diese Anstalt den Prototyp der nachhin so
bedeutenden „relativ verbundenen Heil- und Pflegeanstalt” dar.
Der Gründungsdirektor der Nietlebener Anstalt, Heinrich Damerow
(1798 - 1866), wirkte über mehr als ein Jahrzehnt
zielstrebig auf einen Anstaltsneubau - im Übrigen den
viertältesten in Deutschland - hin. Damerow konnte in dieser Zeit
nicht nur die theoretischen Grundlagen der „relativ verbundenen Heil-
und Pflegeanstalt” erarbeiten und monografisch darstellen, er war
zugleich maßgeblich an der Begründung des neuen Berufsstandes der
Anstaltspsychiater beteiligt. In den über 20 Jahren seiner
Tätigkeit in Nietleben (1844 - 1866) konnte er eine
für ganz Mitteldeutschland maßgebliche Modellanstalt aufbauen, die
nicht nur baugeschichtlich interessant war, sondern auch Maßgebliches
für Patientenbehandlung und zur Ausbildung junger Irrenärzte
über mehrere Jahrzehnte geleistet hat. Da sich allerdings Damerows
Amtsnachfolger in Nietleben - Moritz Koeppe
(1832 - 1879) sowie Eduard Hitzig
(1838 - 1907) - vornehmlich um den Ausbau anderer
Kliniken in Halle an der Saale und in Alt-Scherbitz bei Schkeuditz
bemühten, betrieben sie - wohl unbeabsischtigt - implizit auch
den zunehmenden Niedergang der Nietlebener „Mutteranstalt”. Nach
Jahrzehnten als „Versorgungsklinik” wurde die Nietlebener Anstalt
in den 1930er Jahren von den NS-Machthabern aufgelöst und zweckentfremdet
genutzt. Ungeachtet dieses tragischen Endes repräsentierte die Nietlebener
Anstalt - ähnlich der Illenau - einen exemplarischen
Versorgungstyp im psychiatrischen Krankenhausbau, dessen Auswirkungen bis heute
in den Strukturen der psychiatrischen Institutionen nachwirken.
We give an overview on the history of the mental asylum of
Halle-Nietleben, which was a “pioneer asylum” of the type of the
“relatively integrated mental homes and hospitals” which became
very influential in German-speaking countries. Founded by Heinrich Damerow
(1798 - 1866) in 1844, the asylum of Halle-Nietleben also
became an important site of psychiatric education until the 1870's;
afterwards its importance was surpassed by the subsequently founded
neighbouring psychiatric university clinic of Halle/Saale (1885) and the new
type of asylum in Alt-Scherbitz, built in pavillon style. Nevertheless, the
asylum of Halle-Nietleben represents a progressive type of psychiatric
institution which has influenced the development of psychiatric hospitals to
the present day.
Schlüsselwörter
Relativ verbundene Heil- und Pflegeanstalt - Halle-Nietleben - Illenau - Heinrich
Damerow - Moritz Koeppe - Psychiatrische Anstaltsgeschichte
Key words
Relatively integrated mental home and hospital at
Halle-Nietleben - Mental hospital Illenau - Heinrich Damerow - Moritz Koeppe -
History of mental asylum
01
Literatur siehe Teil 2.
Dr. Franz Kohl
Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie,
Psychotherapeutische Medizin/Rehabilitationswesen
Schillerstr. 18
79102 Freiburg