intensiv 2001; 9(5): 218-219
DOI: 10.1055/s-2001-17228
Anästhesiologie
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Einfluss der perioperativen Wärmetherapie auf den Verlauf polytraumatisierter Patienten

Lars Heuer
  • Institut für Anästhesiologie, Klinikum Osnabrück
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Publication Date:
17 September 2001 (online)

Hypothermie - d. h. das Absinken der Körperkerntemperatur unter 36,0 °C - ist ein seit langem bekanntes Problem in Anästhesie und Intensivmedizin [1] [2] [3] [4].

Ihre Folgen wirken sich auf diverse Organsysteme aus und führen unter anderem zu Herzrhythmusstörungen, Gerinnungsstörungen, Wundinfektionen, Nierenfunktionsstörungen usw. [5] [6] [7] [8] [9].

Abb. 1 PTT in Abhängigkeit von der Bestimmungstemperatur [8].

Die Körperkerntemperatur polytraumatisierter Patienten liegt nach erfolgter klinisch-radiologischer Diagnostik und primärer operativer Versorgung häufig unter 36,0 °C. Ursache für diese Hypothermie sind z. B. lange Berge- und Transportzeiten, Medikamente zur Anästhesie, die die Thermoregulation direkt beeinflussen, und die Gabe kalter Infusionslösungen. Je nach Zusammensetzung der untersuchten Studienkollektive entwickeln bis zu 90 % aller Traumapatienten eine Hypothermie.

Jurkovich [10] hat 1987 retrospektiv den Einfluss der Körpertemperatur auf das Outcome polytraumatisierter Patienten untersucht. Die Mortalität war in dieser Untersuchung eindeutig von der Körperkerntemperatur abhängig. Bei einer Körperkerntemperatur < 32 °C lag sie - unabhängig von der Schwere des Traumas - bei 100 %.

Basierend auf dieser Untersuchung haben wir die vorliegende Studie mit der Fragestellung, ob

die Möglichkeit besteht, die Körpertemperatur hypothermer polytraumatisierter Patienten mittels intensiver perioperativer Wärmetherapie wieder auf Werte über 36 °C anzuheben, die frühzeitige Therapie der Hypothermie einen Einfluss auf den intra- und postoperativen Verlauf der Patienten hat, da ein Absinken der Körpertemperatur mit Reduktion aller Stoffwechselvorgänge unter Umständen auch einen Schutzmechanismus darstellt,

durchgeführt.

Zwischen dem 1.1.1993 und dem 30.9.1995 wurden 50 Traumapatienten mit einem ISS ≥ 25 im Alter von 18 bis 80 Jahren, die innerhalb von 6 Stunden nach dem Trauma in die Universitätsklinik Bergmannsheil (Bochum) aufgenommen worden waren, untersucht. Patienten mit Schädelhirntrauma, Schwerbrandverletzte, Schwangere und Patienten, die primär operativ in einer auswärtigen Klinik versorgt wurden, waren von der Studie ausgeschlossen. Ebenfalls ausgeschlossen waren Patienten, die während der ersten 12 Stunden nach Aufnahme verstarben.

Die Patienten wurden zwei Gruppen zugeteilt. Die Patienten der Kontrollgruppe wurden mit chirurgischen Baumwolltüchern abgedeckt. Infusionen wurden im Warmwasserbad erwärmt. In das Beatmungssystem wurde patientennah ein HME-Filter integriert. Patienten der Studiengruppe wurden zusätzlich aktiv bis zur Normothermie mittels konvektiver Wärmedecke gewärmt. Infusionen wurden über einen In-line-Infusionswärmer verabreicht.

Zur Überwachung der Therapie wurde bei allen Patienten die Körperkerntemperatur tympanal und die periphere Hauttemperatur am Daumen in fünfzehnminütigem Abstand gemessen. Der Verlauf der Patienten wurde bis zur Entlassung bzw. bis zum Tod dokumentiert.

Bei den demografischen Daten gab es keine signifikanten Unterschiede. Der mittlere ISS (injury severity score) lag in beiden Gruppen bei 44 Punkten.

Die Ausgangstemperatur lag in der Kontrollgruppe bei 35,1 °C und sank innerhalb von 4 h auf 34,1 °C ab. Die Ausgangstemperatur in der Studiengruppe lag bei 35,0 °C und konnte innerhalb von 4 h auf 36,0 °C angehoben werden.

Abb. 2 Verlauf der zentralen und peripheren Temperatur in der Kontrollgruppe (Signifikanzniveau im Vergleich zur Studiengruppe/n. s. = nicht signifikant).

Abb. 3 Verlauf der zentralen und peripheren Temperatur in der Studiengruppe (Signifikanzniveau im Vergleich zur Kontrollgruppe/n. s. = nicht signifikant).

Der Ausgangswert des pH-Wertes lag in der Kontrollgruppe bei 7,35 und nach 4 h bei 7,32. In der Therapiegruppe konnte der pH-Wert innerhalb von 2 h von 7,24 auf 7,37 angehoben werden. Die Beatmungsdauer konnte von 18 Tagen auf 8 Tage und die Intensivbehandlungsdauer von 24 Tagen auf 11 Tage gesenkt werden. Die Mortalität lag in der Kontrollgruppe bei 24 % und in der Studiengruppe bei 4 %.

Die Untersuchung zeigt, dass die Körpertemperatur bei Traumapatienten mit manifester Hypothermie mittels aktiver Wärmetherapie bestehend aus konvektivem Wärmesystem und In-line-Infusionswärmer effektiv normalisiert werden kann. Durch das rasche Anheben sowohl der peripheren als auch der zentralen Körpertemperatur und der damit verbundenen Ausschaltung des Schutzmechanismus der Stoffwechselreduktion entstehen keine Nachteile für den Verlauf des Patienten. Im Gegenteil, das Outcome der Traumapatienten wird deutlich positiv beeinflusst.

Diesen Ergebnissen liegt folgende Theorie zugrunde: Die bei Traumapatienten häufig vorliegende Kombination aus Hypothermie und Hypovolämie führt zu einer massiven Vasokonstriktion mit reduziertem Sauerstoffangebot in der Körperperipherie. Hier wird der Stoffwechsel auf den anaeroben Zweig umgestellt und es bilden sich zusätzlich freie Sauerstoffradikale. Diese führen in der Phase der normalisierten Durchblutung zu einer Schädigung diverser Organsysteme. Das Ziel der Therapie besteht nun darin, die Phase der Hypothermie und Hypovolämie durch aktive Wärmetherapie und ausreichende Volumengabe möglichst kurz und damit die Menge an Sauerstoffradikalen möglichst gering zu halten.

Literatur

  • 1 Fritz U, Bräuer A, English M. Aktive Wärmetherapie.  AINS. 1998;  33 389-392
  • 2 Leben J, Tryba M. Hypothermie. Grundlagen und klinische Relevanz.  Mallinckrodt Medical. 1994; 
  • 3 Seekamp A, Ziegler M, Biank J, Grotz M, Regel G. Die Bedeutung der Hypothermie beim polytraumatisierten Patienten.  Der Unfallchirurg. 1996;  99 100-105
  • 4 Perioperative Hypothermie. Probleme, Prävention und Therapie. Weyland A, Braun U, Kettler D Beiträge zu einem internationalen Symposium Ebelsbach; Aktiv Druck und Verlag GmbH 1997
  • 5 Douning L, Bierig P, Fang X, Arnold J, Ramsay M, Gunning T. Temperature effect on thrombelastograph: a comparative study.  Anesth Analg. 1995;  80 S107
  • 6 Felfernig M, Kettner S, Seebach F, Weinstabl C, Zimpfer M. Influence of hypothermic therapy on whole blood coagulation in patients with severe head injury.  Anesthesiology. 1995;  83 A284 (3A)
  • 7 Frank S M, Beattie C, Christopherson R, Norris E J, Perler B A, Williams G M, Gottlieb S O. Unintentional hypothermia is associated with post-operative myocardial ischemia.  Anesthesiology. 1993;  78 468-476
  • 8 Rohrer M U, Natale A M. Effect of hypothermia on the coagulation cascade.  Critical Care Med. 1992;  20 1402-1405
  • 9 Kurz A, Sessler D I, Lenhardt R, Narzt E, Kröll W, Polak G, Lackner F. Perioperative hypothermia increases the incidence of surgical wound infections and prolongs duration of hospitalisation.  Anesthesiology. 1995;  83 A227 (3A)
  • 10 Jurkovich G J, Greiser W B, Luterman A, Curreri A. Hypothermia in trauma victims: An omnious predictor of survival.  J Trauma. 1987;  27 1014-1018

Dr. med. Lars Heuer

Klinikum Osnabrück GmbH
Institut für Anästhesiologie

Am Finkenhügel 1

49076 Osnabrück

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