Klin Padiatr 2001; 213(4): 149-152
DOI: 10.1055/s-2001-16844
EDITORIAL

Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Geschichte der pädiatrischen Onkologie in Deutschland [1]

History of Pediatric Oncology in Germany
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Publication Date:
29 August 2001 (online)

Eine organisierte deutsche Pädiatrie formiert sich im 19. Jahrhundert zunächst im Rahmen der „Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte”, bis dann 1883 unter einigen Geburtswehen gegen den Widerstand der Internisten die selbständige „Gesellschaft für Kinderheilkunde” entsteht. Mehr und mehr fördert die fachliche Zentrierung auf das Kind das Wissen um kinderspezifische Besonderheiten der Häufigkeitsstatistik, der Krankheitsprägung und der Therapiemöglichkeiten, und sie hilft auch, eine pädiatrische Onkologie präzise von der Erwachsenenmedizin abzugrenzen. Doch bis zu Erfolgen ist es ein weiter Weg.

Ein erster wichtiger Beitrag über die „Malignen Geschwülste” bei Kindern stammt 1877 von August Steffen im mehrbändigen „Handbuch der Kinderkrankheiten” von C. Gerhardt. Auf einer Jahrestagung der Gesellschaft wird erstmals 1917 ausführlich über die „akute lymphatische Leukämie im Kindesalter” durch Hans Kleinschmidt referiert. Dies wiederholt sich dann erst rund 40 Jahre später, nun mit Zentrierung auf die Knochenmarkspathologie und unter Berücksichtigung der Zytochemie. 1953 spricht in Bad Kissingen unter dem Kongressthema „Hämatologie” Opitz (Heidelberg) über „Das Leukämie-Problem”, Huth (Düsseldorf) zur Pathogenese, Althoff (Bonn) über die „Beobachtungen bei tumorbildender Leukämie”. 1958 ist in Graz die „akute Leukose” Hauptthema: Ratzenhofer (Graz) spricht zur Pathologie, Gasser (Zürich) zur Klinik und Differenzialdiagnose, Oehme (Marburg) zur Therapie, Ortolani (Ferrara) über einen möglicherweise epidemischen Verlauf, Quaiser (Leoben) über die Häufigkeit, Hertl (Heidelberg) und Plenert (Greifswald) zur Zytochemie der Leukosezellen, Dietzsch (Dresden) zu aleukämischen Retikulosen.

1961 geht es dann auf dem Heidelberger Kongress um das gesamte Spektrum der malignen Tumoren: Weicker (Bonn) gibt die Übersicht, Singer (München) dazu den kinderchirurgischen Teil, Bickel (Halle) spricht über das Sarkom, Falk (Graz) zur Frühdiagnose der malignen Hirntumoren, Oehme (Marburg) über Tumormeningitis, Graser (Mainz) über Lebertumoren, Lassrich (Hamburg) und zum Winkel (Heidelberg) über Röntgen- und Isotopendiagnostik, Weithofer (Stuttgart) zum Phäochromozytom, Dragojlovic (Zagreb) über das eosinophile Leukämoid und Spieß (Göttingen) über strahleninduzierte Knochentumoren.

Dieser große Themenfächer macht erkennbar, wie differenziert nun das Interesse an onkologischen Themen ist. Und wer um die Fachzugehörigkeit der damaligen Referenten weiß, erkennt auch, dass man zunächst aus verschiedenen Perspektiven im Alleingang an die Probleme herankam, man dachte noch nicht ernstlich an eine interdisziplinäre Zusammenarbeit.

Diese mageren äußeren Daten machen den Anschein, als sei das Interesse an onkologischen Problemen lange Zeit nicht groß gewesen. So quälend im klinischen Alltag diese Krankheiten sind, über rund 75 Jahre sind wissenschaftlich keine echten Fortschritte zu verzeichnen. Häufigkeit und Dramatik der malignen Krankheiten müssen wie ein Fatum hingenommen werden. Der große Auftrieb kommt Anfang der 50er Jahre unseres vergangenen Jahrhunderts mit den ersten Therapieerfolgen bei der Leukämie durch das Cortison und die Zytostatika Aminopterin (Faber 1948) und 6-Mercaptopurin (Burchenal 1953), bei Organtumoren neben Zytostatika durch verbesserte Strahlentherapie, Operationstechnik und Anästhesieverfahren. Der damalige wissenschaftliche Standort ist nachzulesen im Buch von J. Oehme, W. Janssen und Ch. Hagitte, „Leukämie im Kindesalter”, 1958.

Die Möglichkeit einer nun induzierbaren Remission deutet das mitreißende Prinzip Hoffnung auf Heilung an. Bisher beobachtete spontane Remissionen oder die etwa 20 Heilungen, die in der Weltliteratur bis 1969 aufzuspüren sind, gelten mehr als Kuriosum oder machen Verdacht auf eine Fehldiagnose.

Der Fortschritt baut auf hämatologische und onkologische Spezialisten, die in den Jahren nach 1950 auch in deutschen Kinderkliniken mehr und mehr Förderung und Anerkennung finden. Sie brauchen überregional kollegiale Diskussion und Zusammenarbeit unter Richtlinien, die sie sich gemeinsam erarbeiten.

Die politische Trennung Deutschlands nach 1945 in Bundesrepublik (BRD) und Deutsche Demokratische Republik (DDR) kann in den ersten Jahren auf pädiatrischem und onkologischem Gebiet durch persönliche Kontakte und Initiativen noch überspielt werden. Ab dem Bau der Mauer erschwert sich der wissenschaftliche Austausch mehr und mehr, weil Einladungen an West-Kollegen durch das Ministerium für Gesundheitswesen der DDR immer seltener zugelassen und Ausreisen von DDR-Bürgern zu Kongressen nur noch extrem selten, und dann ohne Ehefrau und Kinder, gestattet werden. So erhält leider auch die Organisation der pädiatrischen Onkologie ihre jeweils eigene Ost- und West-Prägung, - bis zum Jahre 1989.

1 Nach einem Referat auf dem Symposium: 40 Jahre Pädiatrische Onkologie in Mainz, 1.-2. September 2000

1 Nach einem Referat auf dem Symposium: 40 Jahre Pädiatrische Onkologie in Mainz, 1.-2. September 2000

Prof. Dr. Michael Hertl

Ehem. Chefarzt der Kinderklinik im Krankenhaus Neuwerk

Schwogenstr. 101

41063 Mönchengladbach

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