NOTARZT 2001; 17: 63-64
DOI: 10.1055/s-2001-16137
ERGEBNISQUALITÄT
Ergebnisqualität
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Ergebnisqualität: Datenlage in Mecklenburg-Vorpommern

N. Matthes
  • Ärztlicher Leiter Rettungsdienst, Stralsund
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Publication Date:
31 December 2001 (online)

Die (Wieder-)Einführung eines einheitlichen Einsatzprotokolls stand am Anfang der 90er Jahre im Mittelpunkt unserer Bemühungen in M.-V. Besonders die AGMN und die Rettungsdienstbereiche Greifswald und Stralsund waren hier Vorreiter und entwickelten aus dem DIVI-Protokoll die heutige Version des „kombinierten Einsatzprotokolls” M.-V. Ziel war anfangs die praktische Vereinfachung der Vorgänge bei der Dokumentation. Daraus folgten z. B. die Integration des Transportscheines, die Abschaffung zusätzlicher Abrechnungsbelege und die Einführung eines Protokolls für alle Rettungsdiensteinsätze.

Im Gegensatz zur damaligen Version des DIVI-Protokolls haben wir von Anfang an mehr Einsatzzeiten erfasst, ist doch die Anrufzeit in der Leitstelle für die Ermittlung der Hilfsfrist eine unabdingbare Größe! Auch konnten wir so die Zeiten für die Disposition in der Leitstelle, als auch für das Ausrücken der Rettungsmittel voneinander differenzieren.

Aus ersten Untersuchungen erkannten wir, dass die am häufigsten eingesetzten Medikamente aus den Gruppen „Analgetika” und „Sedativa” kamen, im Protokoll dafür aber keine Dokumentationsmöglichkeit bestand, außer in der schriftlichen Anamnese - also führten wir die Rubriken „Schmerz” und „Psyche” schon weit früher als bundesweit ein.

Für die ersten statistischen Auswertungen bedienten auch wir uns des Angebotes der Uni Lübeck mit der Erfassungssoftware „EASY”. So waren auch wir schon 1992 in der Lage, erste Auswertungen unserer Einsätze zu erhalten - merkten aber sehr schnell, dass Aussagen zu speziellen therapeutischen Fragestellungen nur sehr eingeschränkt möglich waren (z. B. Wirkstoffe, Dosierungen, zeitliche Verläufe …). Auf der Suche nach neuen Möglichkeiten fanden wir dann im Programm „NORA” und mit der Firma HBS-Software aus Halberstadt einen Partner, der im Gegensatz zu den so genannten „Großen” auch ohne finanzielle Forderungen mit uns nach neuen Wegen suchte. In Zusammenarbeit der Rettungsdienstbereiche Halberstadt, Greifswald, Malchin und Stralsund entstand so eine enge, fruchtbare und noch andauernde Zusammenarbeit mit dem Ziel, das Programm immer besser auf die Bedürfnisse von uns Anwendern zuzuschneiden. Die Forderungen nach regelmäßig abzugebenden Daten und Berichten wurde immer umfangreicher - und es war unser Ziel, die Prozesse der Notfallmedizin mit validen Daten zu untersuchen, um sie noch besser bewerten und beeinflussen zu können.

Mit der Programmversion „EPRO”, welche von der Bedieneroberfläche schon sehr viel freundlicher war und mit vielen Auswahlunterstützungen das Arbeiten wesentlich erleichterte, wurden die Zeiten für die Protokolleingabe deutlich verkürzt. Mit dem Programm „MED-PRO” (die erste Windows-Variante) mit einer noch bedienerfreundlicheren Oberfläche, gab es nun ein Programm, welches das Protokoll fast 1 : 1 abbildete und auch mit der „Maus” zu bedienen war - immer wieder eine Forderung vieler Anwender.

Viele Plausibilitätskontrollen sollten die Qualität der Daten verbessern, führten aber auch manchmal dazu, dass das Programm mitunter fast nicht mehr bedienbar war und die „Compliance” der Mitarbeiter arg strapaziert wurde. Erstmals hatten wir hier die Möglichkeit, alle Medikamente mit exakter Dosierung - diagnosebezogen - zu erfassen.

Seit 1997 nutzen wir die Programm-Version „UNIPRO”, in der die Erfahrung vieler tausender Notarzteinsätze sowie hunderter Stunden Dateneingabe stecken. Eine übersichtliche Oberfläche ermöglicht auch Anfängern relativ schnell, die korrekte Bedienung zu erlernen. Der protokollähnliche Aufbau und farbliche Markierungen für bearbeitete Rubriken setzen sich kontinuierlich fort. Eingepflegte Stammdaten sollen die Auswertbarkeit und den bereichsübergreifenden Vergleich gewährleisten. Es besteht die Möglichkeit des Importes von Daten aus den verschiedensten Einsatz-Leit-Rechner-Systemen, was besonders bei den Zeiten, Einsatznummern und Fahrzeugen von großer Hilfe ist und die Eingabezeiten für den Anwender deutlich verkürzt. Somit erfüllt das Programm alle Anforderungen an eine moderne Software. Es kann durch weitere Module wie Statistik, Materialverwaltung, Dienstplan und Abrechnung/Frakturierung erweitert werden. Seit einigen Jahren gibt es auch ein eigenes Programm für die Einsatzbearbeitung in Feuerwehr- und Rettungsdienstleitstellen.

Zur Zeit ist das Programm - in unterschiedlichem Umfang - in sieben Bundesländern, bei den verschiedensten Leistungserbringern, im Einsatz und stellt so jetzt schon (so man alle zusammenführen würde) einen Pool von über 869 000 Einsätzen dar. Weitere Bereiche befinden sich in der Vorbereitung für eine Einführung. Nach der Einführung im Rettungsdienstbereich Stralsund und einer Vielzahl von Programmänderungen und „Updates” - zu denen wir durch unsere andauernden Wünsche nach Veränderungen immer wieder selbst beitrugen - beantragten wir 1999 Unterstützung und Mittel für ein Modellprojekt „UNIPRO M-V” beim Sozialministerium Mecklenburg-Vorpommern und bekamen diese auch. Durch Anwendertreffen und der Überzeugung weiterer Rettungsdienstbereiche zur Mitarbeit, sollte eine gemeinsame Ausgangsbasis, insbesondere bei den Stammdaten, geschaffen werden.

Voraussetzung dazu war eine Erweiterung der Hardware im Bereich der angedachten „UNIPRO-Zentrale” und die Gewährleistung eines stabilen Datentransfers zwischen den Rettungswachen und der Leitstelle. Ein leistungsfähigerer Rechner musste ebenso wie ein Kommunikationsserver angeschafft werden. Zur Zusammenführung von Daten (natürlich streng anonymisiert) aus verschiedenen Rettungsdienstbereichen war ein nochmaliger Abgleich der Programme und Stammdaten erforderlich - was, vorweggenommen, leider noch lange nicht so weit ist, wie wir uns das vorgestellt haben.

An dieser Stelle sei noch einmal allen Rettungsdienstbereichen und deren Trägern für die Zusammenarbeit gedankt. Die Verarbeitung und Auswertung der Daten im so genannten „Statistikmodul” ist sehr einfach und bedient sich vorbereiteter Abfragen, wie hier am Beispiel der Ermittlung der Diagnosen „Infarkt” und „Angina pectoris” (ges.: „akutes Koronarsyndrom”) - für einen Notarzt in einem Rettungsdienstbereich im Jahr 2000, mit den dazugehörigen diagnosebezogenen Medikationen demonstriert wird.

Genauso möglich ist: die Suche nach einem bestimmten Medikament, wieder bezogen auf denselben Arzt und Zeitraum, mit der Anzahl der Anwendungsfälle bei den entsprechenden Diagnosen oder die Selektion bestimmter Einsatzanlässe - hier Reanimationen, mit den jeweiligen Maßnahmen für diese Einsätze. Dieses lässt sich für alle nur denkbaren Fragestellungen nachvollziehen, sofern die Datenbanken auch auswertbare Informationen erhalten.

In die erste Analyse innerhalb dieses Modellprojektes „UNIPRO M-V” konnten so von 74 Rettungswagen aus acht Rettungsdienstbereichen, wobei sowohl städtische als auch ländliche Bereiche vertreten sind, über 180 000 Einsätze (davon über 51 000 Notarzteinsätze) einfließen. Dabei haben nicht alle Bereiche in gleichem Umfang als Rettungsmittel erfasst - der KTW wird in den meisten Rettungswachen nicht in „UNIPRO” eingegeben.

Die Zusammenführung der Daten erfolgt, nach vorheriger Anonymisierung, über einen Export der Datenbanken. Auch hier ist schon eine Vorauswahl über das Setzen bestimmter Filter in einfacher Art und Weise möglich, in diesem Falle - wegen der umfangreichen Daten - bei der Bearbeitung in Excel auch notwendig. Analysen in dieser Größenordnung erfordern natürlich einen ausreichend dimensionierten Rechner. Dann können über Pivottabellen mit wenigen Arbeitsschritten entsprechende Daten erzeugt und für Standardabfragen abgespeichert werden. Auf Knopfdruck können die Ergebnisse in Diagrammen visualisiert werden.

In der Analyse aller 44 354 auswertbaren Notarzteinsätze konnte eine Erfüllung der Hilfsfrist in 63,6 % der Einsätze festgestellt werden (wobei die im Gesamtdatenpool auftretenden Hilfsfristen von über 60 Minuten bis hin zu über 1000 Minuten zum Nachdenken anregen … insgesamt ca. 3,5 %). In der Kumulation bei „Verzögerung Leitstelle” und „Reaktionszeit Rettungsmittel” ist festzustellen, dass, warum und wodurch bedingt auch immer, oft schon 25 % und mehr der gesetzlich fixierten Hilfsfrist auf diese Art und Weise „verbraucht” werden.

Bei Betrachtung der Erfassung in der Rubrik „Einsatzart” sind nur ca. 63 % der Eingaben korrekt - hier sind besonders oft Abweichungen in den Stammdaten die Ursache. Maßnahmen, der eigentlich zum Standard im Notarzteinsatz gehörenden Parameter: Bestimmung von Blutzucker, O2-Sättigung und Beurteilung der GCS, können nicht in überzeugender Art analysiert werden - egal welche Ursache es dafür gibt (soweit zu beurteilen: meistens eine unvollständige Eingabe der Daten). Nur in 1,9 % der Einsätze war, nach vorhandener Datenlage, eine Intubation der Patienten notwendig - sicher auch zu gering.

Die Analyse des Patientenalters spiegelt die wohl jedem Notarzt bekannte Praxis wieder und bekräftigt, welche Ausnahme und damit Herausforderung der Kindernotfall darstellt. Nur in 61,7 % der Einsätze konnte eine Ermittlung der Erstdiagnose (nach ICD oder alphabetisch) erfolgen. Hier beispielhaft ermittelt: das „akute Koronarsyndrom” mit 9,6 % der Notarzteinsätze.

Die Betrachtung im Ergebnis „NACA-Score” zeigt die allseits bekannte Problematik der Zuordnung von Patienten in die Kategorie III oder IV, in unterschiedlicher Bewertung durch die Notärzte. Aus sonst bekannten Daten im Land Mecklenburg-Vorpommern sind die Zahlen in den Kategorien VI und VII doch eher prozentual als zu niedrig einzustufen. Der Anteil „leer”, also nicht bearbeitet, zeigt, dass es noch viel zu tun gibt …

Aber es soll nicht vorab zu viel Negatives hineininterpretiert werden. Die Probleme bei der Zusammenführung von Daten waren uns natürlich bekannt. So können die ersten Ergebnisse in vielen Betrachtungen doch eher als positiv und einen Schritt in die richtige Richtung betrachtet werden. Hier gilt es anzuknüpfen und weiterzuarbeiten.

Bei einer weiteren Verbreitung des Einsatzprotokolls - im Landesrettungsdienstplan als Dokumentationsmittel vorgeschrieben - wird die Datenbasis und auch das Handling immer besser werden. Die bisherigen Ergebnisse haben dazu geführt, dass weitere Bereiche mit der Datenerfassung auf gleicher Basis beginnen. Eine Unterstützung der Träger durch die Aufsichtsbehörde (wie bisher und noch mehr?) und eine Finanzierung im Rahmen der Kosten des Rettungsdienstes durch die Kostenträger, sind unabdingbare Voraussetzung zur Stabilisierung der im Moment doch noch „wackligen” Datenlage. Für Aussagen zum „Outcome” der Patienten muss eine Verknüpfung der „Datenbahnen” mit den Kliniken erfolgen, damit unsere Bemühungen in der Überwachung und Einflussnahme auf Strukturen und Prozesse in der Prähospitalmedizin, im Rahmen der Beschäftigung mit der Statistik im Allgemeinen und Speziellen, nicht zum Selbstzweck mutieren …

Dr. med. N. MatthesÄrztlicher Leiter Rettungsdienst 

Fährwall 18

18439 Stralsund

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