NOTARZT 2001; 17: 10-13
DOI: 10.1055/s-2001-16120
ALLGEMEINES QUALITÄTSMANAGEMENT
Allgemeines Qualitätsmanagement
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Kritische Betrachtungen zum Qualitätsmanagement - Zeitgeist und moderner Trend oder Notwendigkeit?

J. Bahr
  • Zentrum Anaesthesiologie, Rettungs- und Intensivmedizin, Universität Göttingen
Further Information

Publication History

Publication Date:
31 December 2001 (online)

Die Fragestellung im Titel muss nicht per se einen Gegensatz ausdrücken, denn auch Gegebenheiten oder Vorgehensweisen, die dem Zeitgeist entsprechen und als moderner Trend bezeichnet werden, können durchaus notwendig sein. Es stellt sich die nicht seltene Herausforderung, einen bestimmten Inhalt, einen Sachverhalt oder ein Verfahren einerseits als objektives Phänomen wahrzunehmen und andererseits zu erkennen, dass dieser Größe alle möglichen Bedeutungen zugeschrieben werden. Wir haben also zum einen die objektive Größe, in diesem Fall das Qualitätsmanagement, und zum anderen eine Fülle von Konnotationen, Interpretationen und Bewertungen, die irgendwo zwischen Gut und Böse angesiedelt sein können bzw. auf der Skala zwischen Zeitgeist und Notwendigkeit - je nach persönlichen Merkmalen, Absichten oder auch Interessen der wertenden Person.

Dieses festzustellen erscheint nicht nur deshalb wichtig, weil sich damit ein relativ eleganter Einstieg in das Thema herstellen lässt. Der Hinweis auf möglicherweise unterschiedliche Interessenslagen ist vielmehr geboten, damit man ständig im Hinterkopf behält, dass die Argumente von Diskussionspartnern ideologisch beeinflusst sein können, auch und gerade bei der Frage des Qualitätsmanagements. Zumindestens sollte bei eher neuen Themen klar sein, dass höchst unterschiedliche Informationsstände gegeben sein können, die ihrerseits die jeweilige Position zwischen Zeitgeist und Notwendigkeit mitdefinieren.

Zur Verdeutlichung zwei Beispiele. Das erste:

Am Rande eines rettungsdienstlichen Kongresses hörte ich jemanden sagen, seine Organisation würde sich demnächst einem Zertifizierungsverfahren nach DIN ISO 9000 unterziehen, und mit der Zertifizierung habe man es dann ja schwarz auf weiß, dass man qualitativ hochwertige Arbeit leiste, was schließlich auch im Sinne der Positionierung am Markt nicht uninteressant sei. Auf meine schüchterne Nachfrage nach Inhalten des Verfahrens, ob denn tatsächlich die Patientenversorgung bewertet würde, und nach den Konsequenzen einer eventuellen Zertifizierung, ob man also meinte, als zertifizierte Organisation besser zu sein als die Konkurrenz, auf diese Fragen gab es eher unbefriedigende bis keine Antworten. Hier, so würde ich sagen, sprach der Zeitgeist.

Das zweite Beispiel:

1993 ist in der Zeitschrift Rettungsdienst eine Arbeit von Rosolski u. Mitarb. zur Qualitätssicherung im Rettungsdienst erschienen [1]. Die Autoren diskutieren zunächst methodische Grundlagen von Qualitätskontrolle und Qualitätssicherung, von Verfahren also, die historisch vor dem heute gängigen Qualitätsmanagement stehen, und bringen dann einige Ergebnisse von Auswertungen der eigenen Einsatzstatistik. Die Analyse der Erstmaßnahmen bei der Diagnose Herzinfarkt etwa zeigt, dass über 10 % der Patienten keinen venösen Zugang erhielten, dass bei mehr als 20 % kein EKG abgenommen wurde und dass bei nur knapp über 70 % eine Sauerstoffgabe erfolgte. Die Autoren stellen einschränkend fest, dass die Ergebnisse eventuell auch auf Dokumentationsfehlern beruhen können, aber die Validität dieser Zahlen kann hier außer Betracht bleiben. Das Beispiel soll vielmehr aufzeigen, dass die Instrumente des Qualitätsmanagements im Sinne des Wortes notwendig sein können: Wenn wir unterstellen, dass die Autoren es nicht bei der Analyse ihrer Einsatzdaten beließen, sondern geeignete Maßnahmen ergriffen, um die erkannten Defizite zu beseitigen, dann wurde hier eine Verbesserung der Versorgung von Infarktpatienten erreicht. Mit den Mitteln des Qualitätsmanagements wurde dazu beigetragen, die Not betroffener Patienten zu wenden.

Allein die Auswahl der beiden Beispiele zeigt bereits, dass die Kritik sich höchstens dagegen richten wird, das Qualitätsmanagement als modernen Trend zu begreifen, als vorübergehende Erscheinung. Grundsätzlich bin ich als bekennender Anhänger des Qualitätsmanagements von dessen Notwendigkeit überzeugt, so dass mir, will ich der Rolle des Kritikers gerecht werden, nur bleibt, vielleicht eine nüchterne Herangehensweise zu propagieren - dies könnte im Übrigen auch vor der Zeitgeistfraktion schützen. Qualitätsmanagement ja, aber dosiert, um nicht Opfer einer Erscheinung zu werden, die ein englisches Bonmot so beschreibt: „If you have got a hammer, everything looks like a nail” [2]. Ansonsten jedoch soll dazu beigetragen werden, die Notwendigkeit des Qualitätsmanagements im Gesundheitswesen allgemein und speziell im Rettungsdienst zu begründen.

Es sei, um die Begrifflichkeiten aufzuklären, kurz auf die Entwicklung der Qualitätslehre eingegangen, die sich seit etwa Mitte des 20. Jahrhunderts vollzogen hat. Dabei soll nicht vergessen werden, dass die Qualitätsproblematik im Gesundheitswesen schon weitaus früher erkannt wurde. Wenn z. B. Ignaz Semmelweis im Jahr 1845 in Wien von allen Mitarbeitern forderte, vor Kontakt mit Gebärenden die Hände nicht nur mit Seife zu waschen, sondern auch zu desinfizieren, und damit erreichte, die Sterblichkeitsrate durch Wochenbettfieber zu senken, dann war dies auch ein Stück praktiziertes Qualitätsmanagement - wenngleich mit anderen Begriffen und mit wenig Systematik [3].

Die Entwicklung des modernen Qualitätsmanagements begann also um 1950, und zwar als Qualitätskontrolle im industriellen Bereich. Hier standen Endkontrollen und statistische Prüfverfahren im Mittelpunkt; das Ziel war die Ausmusterung oder Nachbesserung von Produkten, die nicht den definierten Anforderungen genügten. Die nächste Stufe entstand um die 70er Jahre, als nicht mehr nur das eigentliche Produkt betrachtet wurde, sondern zunehmend die Prozesse in Produktion oder Dienstleistung relevant wurden; Stichwort: Prozessorientierung. Das entsprechende Verfahren mit Techniken wie Monitoring und retrospektiven Analysen wurde als Qualitätssicherung bezeichnet. In dieser Übergangsphase von Qualitätskontrolle zu Qualitätssicherung sind übrigens auch die ersten einschlägigen Aktivitäten im medizinischen Bereich zu verzeichnen.

Um 1990 herum erfolgte dann die Weiterentwicklung zum Qualitätsmanagement, bei dem Elemente wie die Kundenorientierung sowie die Einbeziehung aller Mitarbeiter und Bereiche hinzu kamen. Die entscheidende Änderung gegenüber der Qualitätssicherung besteht darin, dass nun eine prospektive Qualitätsplanung durchgeführt wird und dass die Organisation des Qualitätsmanagements in einem Qualitätsmanagementsystem festgelegt und dokumentiert wird. Am konsequentesten integriert finden sich diese Elemente im so genannten Total Quality Management oder TQM, im deutschen Sprachbereich zuweilen auch als UQM bezeichnet, umfassendes Qualitätsmanagement. Hier wird die kollektive Verantwortung aller Mitarbeiter betont und das aktive Engagement aller Beteiligten, vor allem aber die kontinuierliche Verbesserung der Resultate [4]. Das Synonym Continuous Quality Improvement (CQI) bringt diesen Ansatz noch deutlicher zum Ausdruck - es geht um einen dauerhaft angelegten Prozess der Qualitätsverbesserung, bei dem die Mitarbeiter als Prozessbeteiligte und Prozessverantwortliche im Mittelpunkt stehen.

Der zentrale Begriff Qualität leitet sich von Qualitas ab, und das heißt ganz allgemein Beschaffenheit. In der DIN EN ISO 8402 von 1995 wird Qualität definiert als die Gesamtheit von Merkmalen einer Einheit bezüglich ihrer Eignung, festgelegte und vorausgesetzte Erfordernisse zu erfüllen. Dieser normierte Qualitätsbegriff muss jedoch als zu wertneutral und positivistisch angesehen werden, bezieht er sich doch ausschließlich auf die Eignung einer Einheit, bestimmte Erfordernisse zu erfüllen, nicht aber auf die tatsächliche Ausprägung dieser Eignung [5].

Im Dienstleistungsbereich wird unter Qualität die Erfüllung von Erwartungen bzw. Forderungen der Kunden verstanden. Im Gegensatz zu anderen Sparten sind im Gesundheitssektor die gegenseitigen Erwartungen von Kunden und Leistungserbringern allerdings nicht umfassend aufeinander abgestimmt. Hinzu kommt, dass hier eine generelle Definition der Qualität schwierig ist: Zum einen sind die Erwartungen des Kunden in seiner Rolle als Patient von ganz anderer Art als die Erwartungen, die er in seiner Rolle als Gesunder hat. Daraus ergeben sich Diskrepanzen, die in anderen Branchen so nicht existieren. Zum anderen lassen sich Behandlungsziele häufig nicht derart operational festlegen, dass sie eindeutig und abschließend bewertet werden könnten, denn Krankheit und Gesundheit sind Prozesse, die ebenfalls nicht immer exakt abgegrenzt werden können, die sich fließend und zum Teil über längere Zeiträume hinweg verändern. Die Leistung Gesundheit (oder Gesundung, Heilung) ist eine sehr spezifische, die sich essenziell von den Leistungen etwa im produzierenden Gewerbe unterscheidet, und das Problemfeld ist überaus komplex, weil neben ökonomischen Faktoren auch psychologische, soziologische und nicht zuletzt ethische Aspekte von Bedeutung sind [6].

Vor diesem Hintergrund wird die von Ruprecht eingeführte Definition für Qualität im medizinischen Sektor schon deutlich präziser. Danach bedeutet Qualität im Gesundheitswesen „eine ausreichende und zweckmäßige, d. h. patienten- und bedarfsgerechte, an der Lebensqualität orientierte, fachlich qualifizierte, aber auch wirtschaftliche medizinische Versorgung mit dem Ziel, die Wahrscheinlichkeit erwünschter Behandlungsergebnisse bei Individuen und in der Gesamtbevölkerung zu erhöhen” [7]. Qualität im Gesundheitssektor umfasst damit die Sicherheit der Diagnose und Behandlung, Menschlichkeit, Versorgungsleistungen und fachliche Kompetenz ebenso wie die Vorhalteleistungen oder die Arbeitsbedingungen des Personals. Diese Aufzählung ist weder überschneidungsfrei noch vollzählig, sie spiegelt jedoch deutlich die Vielschichtigkeit des Begriffs.

Laut offizieller Definition in der DIN EN ISO 8402 umfasst Qualitätsmanagement, kurz: QM, alle Tätigkeiten des Gesamtmanagements, die im Rahmen des QM-Systems die Qualitätspolitik, die Ziele und Verantwortungen festlegen sowie diese durch bestimmte Mittel verwirklichen, etwa durch Qualitätsplanung, Qualitätslenkung, Qualitätssicherung bzw. QM-Darlegung und Qualitätsverbesserung [8]. Dies ist eine sehr allgemein gehaltene und keinesfalls auf den Gesundheitssektor bzw. gar den Rettungsdienst zugeschnittene Definition, die aber den uns interessierenden Bereich durchaus mit umfasst. Insofern gilt auch hier, dass Qualitätsmanagement zu den Tätigkeiten des Gesamtmanagements gehört und grundsätzlich als ein anspruchsvolles Führungs- bzw. Leitungskonzept zu betrachten ist, als neue Form der Unternehmensführung, bei der die Qualität der Dienstleistungen im Mittelpunkt aller Maßnahmen und planerischen Überlegungen steht.

Die Unternehmensleitung trägt die Verantwortung für die Qualität; die Verantwortung der Leitung ist also ein wichtiges Element des Qualitätsmanagements. Diese Verantwortung ist nicht delegierbar, das bedeutet, dass sich ein Mitglied der Unternehmensleitung als Beauftragter um das QM-System kümmern muss. Die Leitung legt ein QM-System fest und sorgt für regelmäßige Bewertung des Systems; Ziel ist, die Qualitätspolitik umzusetzen und einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess in Gang zu setzen. Falls dieses Grundprinzip des Qualitätsmanagements, die Verantwortung der Leitung, in einer Einrichtung nicht angemessen beachtet und ernst genommen wird, liegt der Verdacht nahe, dass dieses spezielle QM-Umfeld eher vom Zeitgeist definiert wird.

In einem am Zeitgeist orientierten System besteht außerdem die Gefahr, dass die menschlichen bzw. sozialen Aspekte des Qualitätsmanagements eventuell übersehen werden, also

die mit der Dienstleistung verbundenen sozialen Prozesse die zwischenmenschlichen Beziehungen, die einen wesentlichen Teil der Dienstleistungsqualität ausmachen die Entwicklung der Fertigkeiten und Fähigkeiten der Mitarbeiter die Motivierung der Mitarbeiter, Qualität zu verbessern und Kundenerwartungen zu erfüllen.

Es ist davon auszugehen, dass Veränderungen im Arbeitsablauf und im Bewusstsein der Mitarbeiter in der Realität weitaus schwerer zu erreichen sind, als Darstellungen von optimal laufenden QM- Projekten dies glauben machen. In Arbeitsgruppen auftretende zwischenmenschliche Probleme, die sich besonders dann manifestieren, wenn die Personaldecke dünn ist, werden häufig unterschätzt. Auch wenn es nicht gelingt, in der Gruppe gleichberechtigt und hierarchiefrei zu diskutieren, kommt es zu Problemen, oder existierende Probleme werden ausgeklammert. Eine besondere Schwachstelle scheint indes darin zu liegen, dass die Führungsqualitäten in Unternehmensleitungen häufig nur unzureichend sind, speziell was Lob und Kritik angeht.

Die Gründe dafür, dass man sich auch im Gesundheitswesen verstärkt mit der Qualitätsfrage auseinandersetzt, sind ebenso vielschichtig wie der gesamte Komplex. Als wichtigste allgemeine Argumente können gelten:

das zunehmende Bedürfnis der Öffentlichkeit nach Transparenz im Gesundheitssektor die befürchtete Minderung der Versorgungsqualität bei knapper werdenden finanziellen Ressourcen das zunehmende Bewusstsein, dass Wirksamkeit und Zuverlässigkeit zahlreicher Untersuchungs- und Behandlungsmethoden unzureichend belegt sind der Wettbewerb im Gesundheitswesen zwischen Kostenträgern und Leistungserbringern.

Zu diesen allgemeinen Begründungen treten auf einer konkreteren Ebene drei Gruppen von Erklärungen hinzu, die das Phänomen auch etwas fassbarer machen. Da wären zunächst strategische Gründe:

Durch zunehmenden Wettbewerb wird die Einführung von QM-Systemen essenziell, weil Qualität zum Marketingargument wird, auch und gerade im Vergleich mit anderen Anbietern. Die Qualitätsansprüche der Kunden, also der Patienten, steigen in dem Maße, wie die leichte Verfügbarkeit von Informationen, etwa im Internet, die Aufklärung verbessert.

An ökonomischen Gründen lassen sich anführen:

Optimierung der Qualitätskosten: Fehlerkosten und Fehlerverhütungskosten können gesenkt werden. Erhöhung der Effizienz: Organisatorische Abläufe können gestrafft, Ressourcen und Potenziale systematischer genutzt werden, woraus eine Steigerung der Gesamtrentabilität resultiert. Vermeidung von Mehrfacharbeit: Bessere Abstimmung von Tätigkeiten führt zu Ressourcen sparenden Lösungen.

Und schließlich gibt es handfeste juristische Gründe:

Dem Vorwurf eines Organisationsverschuldens kann durch ein klares Anweisungssystem begegnet werden. Keine Beweislastumkehr im Schadensfall durch adäquate Dokumentation von Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortungen auf allen Hierarchiestufen. (§ 282 BGB: „Ist streitig, ob die Unmöglichkeit der Leistung die Folge eines von dem Schuldner zu vertretenden Umstandes ist, so trifft die Beweislast den Schuldner.”)

Qualitätsmanagement ist als Tatsache aus dem Gesundheitswesen und somit auch aus dem Bereich Rettungsdienst nicht mehr wegzudenken. Mögen hier und da auch eher vordergründige Argumente ins Feld geführt werden, etwa dass sich damit das eigene Bild und Image in der Öffentlichkeit verbessern lassen, so geht es den meisten Einrichtungen primär doch um die Optimierung von auf Patienten bezogenen Prozessen. Nach innen allerdings, bei den Beschäftigten, finden sich verbreitet Unsicherheiten und Ängste gegenüber diesem neuen Instrument, andererseits aber auch Interesse und die Akzeptanz dessen, dass QM mit zu den Voraussetzungen für Umstrukturierungen im Gesundheitswesen gehört.

Maßgeblicher Bezugspunkt ist der Patient mit seinen Bedürfnissen, Wünschen und Erwartungen; sämtliche Prozesse müssen daher auf den Patienten ausgerichtet sein. Nur unter dieser Prämisse wird QM mit seinen unterschiedlichen Elementen dann auch nicht zum Zeitgeist bestimmten Selbstzweck, sondern kann dazu beitragen, dass Patientenbedürfnisse befriedigt werden und die Patientenzufriedenheit steigt. Allerdings dürfen neben den Patienten die anderen Kunden nicht vergessen werden - Kostenträger, niedergelassene Ärzte und nicht zuletzt die Beschäftigten, die ebenfalls Zielgruppen für QM darstellen.

Neben die genannten Begründungen für QM tritt als weiteres Argument eine gewisse gesellschaftliche Verpflichtung. Sozusagen als Kompensation für die starken Belastungen der Versicherten entsteht die Erwartung, dass die Leistungserbringer qualitativ hochwertige, gesicherte Leistungen erbringen, und zwar transparent und nachvollziehbar. Das Primat der Patientenorientierung ist aktuell wie kaum jemals zuvor, und wenn es als übergeordnetes Grundprinzip angemessen beachtet wird, dann tritt auch der Streit um die verschiedenen möglichen Modelle und Erscheinungsformen des QM in den Hintergrund [9].

Nachdem bis hierher überwiegend ein Loblied auf das Qualitätsmanagement gesungen wurde, wird es Zeit für einige kritische Worte. So ist darauf hinzuweisen, dass dem QM insoweit eine gewisse Gefahr anhaftet, als es unter Umständen das Tellerranddenken fördert - für viele, die damit befasst sind, endet QM an den Pforten der eigenen Einrichtung. Es gibt bislang allerdings auch kaum systematische Programme zur vertikalen Vernetzung von Leistungserbringern innerhalb des gleichen Sektors oder gar über dessen Grenzen hinweg. Gefragt sind Konzeptionen, die sich auf die gesamte Versorgungslandschaft beziehen und auch bewirken, dass verschiedene Versorgungsangebote aufeinander abgestimmt werden, dass Strukturen und Prozessabläufe über Institutionsgrenzen hinaus verbessert werden [10]. Die Vorteile für alle Beteiligten liegen auf der Hand.

Weitere zu überwindende Defizite haben sich dort gezeigt, wo die Einführung von QM auf die Realität täglichen Handelns trifft. Gerade im Gesundheitssektor ist der reale Alltag mit internen, strukturell bedingten Problemen beladen, die sich über Jahrzehnte verfestigt haben - denken wir nur an die Abschottung zwischen Berufsgruppen, an Verständnisbarrieren, an fehlende Teamorientierung, mangelnde Kundenorientierung, ungenügende Verzahnung der Dienstleistungen, an hierarchisch vertikales Säulendenken etc.; hinzu kommt noch die generelle Abwehrhaltung gegenüber neuen Konzepten [11].

Diese Phänomene machen die Einführung eines QM-Systems schwierig, demgegenüber ist nichts so gut geeignet, die Defizite zu überwinden, wie gerade ein QM-System. Gleichwohl muss man sich im Klaren sein, dass QM kein Allheilmittel ist und dass die Möglichkeiten und Grenzen der am QM-Prozess Beteiligten richtig eingeschätzt werden müssen; eine Überforderung von Projektgruppen etwa programmiert den Misserfolg [12]. Andererseits ist es sehr hilfreich, wenn es gelingt, die Beteiligten davon zu überzeugen, dass QM eben nicht Fremdkontrolle bedeutet mit den damit verbundenen belastenden und demotivierenden Anteilen, sondern Selbstkontrolle im Team, bei der neben inhaltlichen Problemen auch soziale Bedürfnisse eine Rolle spielen [13].

Ein weiteres methodisches Defizit bleibt anzusprechen. Es liegt auf der Hand, dass Behandlungsergebnisse den eigentlichen Maßstab für die Bewertung von Leistungen im Gesundheitssektor darstellen. In diesem Kriterium zeigt sich aber auch die Problematik der Qualitätsbeurteilung, denn das Ziel der Verbesserung des Zustandes von Patienten lässt sich ebenso wenig exakt messen wie die dazugehörigen Merkmale, also physische Aktivität, psychische Ausgeglichenheit oder soziale Identität [14]. Dieses Manko gilt in besonderem Maße für den Rettungsdienst, dessen Behandlungserfolge isoliert kaum darstellbar sind, sondern sich überwiegend erst zusammen mit der folgenden klinischen Phase realisieren. Hier liegt ein Grund dafür, dass die Behandlungsprozesse und die Strukturen bei den Qualitätsüberlegungen eine derart große Rolle spielen.

Qualitätsmanagement setzt spätestens dort an, wo alle anderen sagen, es ginge nicht mehr, höchstens mit mehr Geld bzw. der Ausweitung von Ressourcen [15]. Dabei darf nicht verkannt werden, dass die Einführung von QM zunächst tatsächlich Kosten verursacht; mittelfristig jedoch besteht ein Ziel des QM darin, die Leistungen für Vorbeugung, Planung und Fehlervermeidung derart zu intensivieren, dass Kosten für Kontrolle und Korrekturen sinken und damit auch die Gesamtkosten für Qualität [16]. Im „Leitfaden Qualitätsmanagement im deutschen Krankenhaus” der Bundesärztekammer ist dieser Sachverhalt treffend und kurz formuliert worden:

„Wer vor allem die Kosten beachtet, senkt die Qualität - wer vor allem die Qualität beachtet, senkt die Kosten!” [17]

Die eingangs erwähnte Zertifizierung ist bei alledem quasi nur ein Abfallprodukt, dem entscheidende Schritte zu einer effizienten, systematischen Organisation vorausgegangen sein müssen. Die Zertifizierung ist keine Garantie für gute Qualität, andererseits bescheinigt eine Zertifizierung, dass ordentliche Strukturen und Abläufe gegeben sind, die wiederum Voraussetzungen für das Erreichen guter Qualität sind.

Moecke schrieb mit Blick auf das Qualitätsmanagement in der Notfallmedizin bereits 1995: „Auch die für den Rettungsdienst verantwortlichen Länderministerien haben sich dieser Thematik bisher nicht in ausreichendem Maße verpflichtet gefühlt”, und weiter: „Hier einen Umdenkungsprozess einzuleiten, ist eine der zentralen politischen Aufgaben der Notfallmedizin in den kommenden Jahren.” [18] Diese Aussage ist immer noch sehr aktuell. Insofern bleibt zu hoffen, dass von diesem Forum, dessen Veranstalter sowohl die angesprochenen Länderministerien als auch die Notfallmedizin repräsentieren, ein neuerlicher Impuls in Richtung Qualitätsmanagement ausgeht.

Literatur

  • 1 Rosolski T, Theurer T, Matthes N, Rahmlow K. Qualitätssicherung im RD.  Rettungsdienst. 1993;  16 910-916
  • 2 „Wenn Du einen Hammer hast, sieht jedes Ding wie ein Nagel aus.” 
  • 3  Vgl. Bundesärztekammer. (Hrsg) .Leitfaden Qualitätsmanagement im deutschen Krankenhaus. Germering, München; Zuckschwerdt 1997: 30 f
  • 4 Bundesärztekammer, a. a. O. S. 40
  • 5 Vgl. GMDS-Arbeitsgruppe Qualitätssicherung in der Medizin. Begriffe und Konzepte des Qualitätsmanagements. Informatik, Biometrie und Epidemiologie in Medizin und Biologie 1996 27: 200-230
  • 6 Vgl. Trill R. Krankenhaus-Management. Aktionsfelder und Erfolgspotenziale. Neuwied, Kriftel, Berlin; Luchterhand 1996: 233 f
  • 7 Ruprecht T. Von der Qualitätssicherung zum Qualitätsmanagement. Entwicklung in der vertragsärztlichen Versorgung.  Zeitschrift für Allgemeinmedizin. 1993;  69 963-967
  • 8 DIN EN ISO 8402. 1995
  • 9 Vgl. Pinter E, Swart E, Vitt K D. Praxis umfassendes Qualitätsmanagement. Grundlagen und Erfahrungsberichte für die Einführung im Krankenhaus. Frankfurt am Main; pmi-Verlagsgruppe 1998: 3 ff
  • 10 Vgl. Pinter E. et al .a. a. O. S. 6 f
  • 11 Vgl. ebenda. S. 7
  • 12 Bundesärztekammer, a. a. O. S. 35
  • 13 Vgl. Trill R. a. a. O. S. 237
  • 14 Bundesärztekammer, a. a. O. S. 36
  • 15 Veit C. Mündliche Überlieferung. 
  • 16 Bundesärztekammer, a. a. O. S. 34
  • 17 Bundesärztekammer, a. a. O. S. 33
  • 18 Moecke H. Qualitätsmanagement in der Notfallmedizin - Warum?. In: Moecke H, Ahnefeld FW (Hrsg) Qualitätsmanagement in der Notfallmedizin. Berlin, Blackwell; 1995: S. 2

Dr. J. Bahr

Zentrum Anaesthesiologie, Rettungs- und Intensivmedizin
Universitätsklinikum Göttingen

Robert-Koch-Straße 40

37075 Göttingen

    >