Rehabilitation (Stuttg) 2001; 40(3): 191-192
DOI: 10.1055/s-2001-14724
BERICHT
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Symposium „Kinder mit
Behinderungen im Schatten der Kinderrechtskonvention”
vom 27.-29. 10. 2000 in Bonn

Symposium on “Children with Disabilities in the Shadow of the UN Children's Rights Convention”, Oct. 2000 in BonnM. Al Munaizel, N. Markl
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
31. Dezember 2001 (online)

Kinder mit Behinderungen, die in Ländern der sog. Dritten Welt leben, standen im Mittelpunkt des Symposiums „Kinder mit Behinderungen im Schatten der Kinderrechtskonvention”, das vom 27. bis 29. Oktober 2000 im Gustav-Stresemann-Institut in Bonn stattfand. Es war das 14. Symposium der Bundesarbeitsgemeinschaft Behinderung und Dritte Welt und wurde von einem Trägerkreis vorbereitet und durchgeführt, dem die folgenden Organisationen angehören: Gustav-Stresemann-Institut e. V., Behinderung und Entwicklungszusammenarbeit e. V., Christoffel-Blindenmission e. V., Kindernothilfe e. V., Arbeitskreis „Frauen und Kinder mit Behinderung in Ländern der sog. Dritten Welt” an der Universität Würzburg, Bundesvereinigung Lebenshilfe e. V. und Fachbereich Sozialwesen der Universität Gesamthochschule Kassel. Am Symposium nahmen 140 TeilnehmerInnen aus Deutschland, Afrika, Asien und Lateinamerika und europäischen Nachbarstaaten teil. Die Teilnehmerschaft setzte sich vielfältig aus WissenschaftlerInnen, Studierenden, MitarbeiterInnen von Entwicklungsorganisationen, Behindertenfachverbänden, Selbsthilfegruppen, Menschen mit Behinderungen und Fachkräften unterschiedlicher Disziplinen zusammen.

Trotz der am 20. November 1989 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen verabschiedeten Konvention über die Rechte des Kindes klafft zwischen der weltweiten Anerkennung der Kinderrechte und ihrer Umsetzung eine tiefe Lücke. Das Recht aller Kinder auf gleiche Behandlung, ein Grundrecht auf Überleben und persönliche Entwicklung sowie Schutz vor Ausbeutung und Gewalt ist besonders für Kinder mit Behinderungen, deren weitaus größte Zahl in Entwicklungsländern lebt, nicht gesichert. Obwohl die Kinderrechtskonvention für alle Kinder gilt, wird die Bedeutung aller Rechte für Kinder mit Behinderungen nicht gesehen. Die UN-Konvention erwähnt Kinder mit Behinderungen nur in Artikel 23, und zwar im Hinblick auf ihre Rehabilitation und die ihnen zuteil werdende besondere Fürsorge. Um die Lebenssituation von Kindern mit Behinderungen zu verbessern, ist es von zentraler Bedeutung, anzuerkennen, dass jeder Artikel der Kinderrechtskonvention allen Kindern, d. h. auch Kindern mit Behinderungen gilt.

Eine UNESCO-Untersuchung hat festgestellt, dass in 34 von 65 Ländern Kinder mit Behinderungen kein Recht auf Erziehung haben und in vielen Ländern weniger als 1 Prozent aller Kinder mit Behinderungen mit einer Förderung erreicht werden. In weiteren Bereichen werden die grundlegenden Rechte behinderter Kinder verletzt:

Die Stigmatisierung der Familien durch ein Kind mit einer Behinderung schließt diese weitgehend von Schutzmaßnahmen in Gefahren und kriegerischen Auseinandersetzungen aus Kinder mit Behinderungen unterliegen häufiger sexuellem Missbrauch als Kinder ohne Behinderung In den Statistiken werden Kinder mit Behinderungen ignoriert Bei Untersuchungen zur Einschulungsrate zählen in vielen Ländern Kinder mit Behinderungen wie auch Migrantenkinder nicht mit Kinder mit Behinderungen haben häufig kein Recht auf Überleben. In einigen Ländern werden sie getötet. Eine Strafverfolgung besteht nicht. Gerichte überlassen die Verantwortung den Eltern Kinder mit Behinderungen haben in einigen Ländern kein Recht auf ihre Familien, sie werden in Institutionen bis zu ihrem Ableben „verwahrt” Kinder mit Behinderungen werden nicht wie andere Kinder gesehen. Auch in der Medizin werden sie ab ihrer Geburt im Hinblick auf ihre Beeinträchtigung behandelt und nicht auf ihre Bedürfnisse hin und auf ihr Recht, Kind sein zu dürfen

Aus dieser elementaren Missachtung grundlegender Rechte behinderter Kinder ergab sich die Forderung nach der ausdrücklichen Anerkennung aller Rechte der Kinderrechtskonvention auch für behinderte Kinder. In der Umsetzung dieser Rechte wurde gefordert, dass Kinder mit Behinderungen in allen Programmen und Projekten der Entwicklungszusammenarbeit mit ihren Bedürfnissen genauso berücksichtigt werden müssen wie alle anderen Kinder. Dazu gehört, dass Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit in ihren Programmen der Armutsbekämpfung daran denken, Maßnahmen auch Menschen mit Behinderungen zugute kommen zu lassen, bzw. geeignete Maßnahmen ergreifen, um durch Armutsfaktoren, wie z. B. Mangelernährung, verursachte Behinderungen zu vermeiden. Zur Förderung der frühkindlichen Entwicklung werden gemeindenahe Programme, die idealerweise in Gemeindeentwicklungsprogramme integriert sind, als beste Möglichkeit betrachtet, Kindern mit Behinderungen die notwendige Unterstützung zukommen zu lassen. Wesentliches Element ist hierbei, soziokulturelle Besonderheiten zu beachten und dort, wo traditionelle Behandlungsformen vorhanden sind, diese in das Projekt zu integrieren. Als Beispiel wurden die „formal handling routines” aus Jamaika vorgestellt.

„Bildung für Alle” muss auch behinderte Kinder mit einschließen. Die vorschulische und schulische Bildung war deshalb ein weiterer Schwerpunkt des Symposiums. 1994 wurde in der Bildung behinderter Kinder mit der Erklärung von Salamanca ein Paradigmenwechsel von der „Integration” zur „Inklusion” vollzogen, d. h. dass die Umweltbedingungen entsprechend gestaltet werden müssen, um allen Kindern eine Bildung bieten zu können, die ihren individuellen Bedürfnissen entspricht. An Beispielen aus der Dritten Welt wurde demonstriert, wie eine solche inklusive Bildung möglich ist, die auch dazu führt, dass die jeweiligen Gemeinschaften zu Gemeinschaften werden, die ihren behinderten Mitgliedern eine gleichberechtigte Teilnahme ermöglichen.

Für Mädchen mit Behinderungen, die häufig doppelt benachteiligt und in vielen Projekten zu wenig berücksichtigt werden, stellt der Ansatz der „inclusive education”, der inklusiven Bildung, eine Chance dar, gleichberechtigt wie Jungen behandelt zu werden. Menschen mit einer geistigen Behinderung, die in gemeindenahen Projekten ebenfalls oft zu wenig Berücksichtigung finden, können erfolgreich mit einbezogen werden, wenn gewisse Punkte beachtet werden, wie z. B. die Tatsache, dass sich Resultate erst nach längerer Zeit einstellen, dass in solchen Projekten eine Nachhaltigkeit nur begrenzt erreicht werden kann, oder die besondere Bedeutung der Ausbildung und Begleitung der lokalen MitarbeiterInnen.

Bei allen Bemühungen, Menschen mit Behinderungen zu fördern und zu unterstützen, sollte ihre Beteiligung elementarer Bestandteil jedes Projektes sein, um die Betroffenen aktiv in den Prozess einzubeziehen und ihre speziellen Kenntnisse für die Projektgestaltung zu nutzen.

Begleitet wurde das Symposium durch eine Ausstellung der Kreativen Werkstatt Eisingen „Bilder EINER Welt für die Welt” mit ausdruckvollen Bildern von Künstlern mit Behinderung.

Ein Reader mit den Beiträgen des Symposiums ist zum Preis von 20 DM erhältlich bei: Behinderung und Entwicklungszusammenarbeit e. V., Wintgenstraße 63, 45239 Essen, Tel. 02 01/40 87-7 45, Fax -7 48, E-mail: bezev@t-online.de.

Musa Al Munaizel,
Natalie Markl

Arbeitskreis „Frauen und Kinder mit Behinderung
in Ländern der sog. Dritten Welt”
Universität Würzburg - SoPäd I

Wittelsbacher Platz 1

97074 Würzburg

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