Fortschr Neurol Psychiatr 2001; 69(5): 242-243
DOI: 10.1055/s-2001-13931
TAGUNGSBERICHT
Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

VII. Gerontopsychiatrisches Fachgespräch

Düsseldorf 1. - 2. 12. 2000VII. Gerontopsychiatric Specialist DiscussionM. Haupt
  • Psychiatrische Klinik der Heinrich-Heine-Universität, Rheinische Kliniken Düsseldorf
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Publication Date:
31 December 2001 (online)

Auch im Jahre 2000 (1. - 2. 12.) wurden die gerontopsychiatrischen Fachgespräche unter Leitung von M. Haupt, Düsseldorf, fortgesetzt. Zu dem VII. Werkstattgespräch hatte sich erneut ein interdisziplinär zusammengesetzter Personenkreis eingefunden, der sich in Deutschland wissenschaftlich mit gerontopsychiatrischen Fragestellungen beschäftigt.

Gegenstand der diesjährigen Tagung war das Thema: ,,Depressive Störungen im Alter".

Frau Meller/München berichtete über die Ergebnisse der Münchner Hochbetagtenstudie, bezogen auf Häufigkeit, psychosoziale Risikofaktoren und Determinanten der Versorgung depressiv Erkrankter im höheren Lebensalter. Bei der Münchner Hochbetagtenstudie handelte es sich um eine epidemiologische Verlaufsuntersuchung von Münchner Bürgern im Alter von über 85 Jahren. Aus einer Grundgesamtheit von 20 415 Bürgern wurde letztlich eine repräsentative Stichprobe von 402 Personen gezogen. Davon konnten 358 (89%) erstuntersucht werden, 263 (73,6%) Personen nach einem Jahr nachuntersucht werden. 72% der Untersuchten lebten noch in häuslicher Umgebung. Rund 24% der Stichprobe litten an einer Depression; rund 9% waren an einer organisch bedingten Depression erkrankt. Bezogen auf den Hamilton Depression Punktwert wiesen 33% der Untersuchten 7-15 Punkte auf und 10% hatten einen Punktwert von über 16 Punkten. Bei den soziodemographischen Faktoren wurde ein signifikant erhöhtes Risiko für Depressionen bei Institutionsbewohnern im Vergleich zu Personen gefunden, die im Privathaushalt lebten. Ferner ergaben Verwitwung innerhalb der letzten 12 Monate, Auszug des Lebenspartners aus dem gemeinsamen Haushalt oder eigener Umzug ein signifikant erhöhtes Depressionsrisiko. Pflegebedürftigkeit war ein Risikofaktor bei der Depression. Der Anteil von Depressionen unter Pflegebedürftigen war etwa doppelt so hoch wie bei Personen, die auf keine pflegerische Unterstützung angewiesen waren. Insgesamt wurden von den behandelnden Ärzten 60% der depressiv Kranken als pflegebedürftig eingestuft. Zu den Personen, die während stationärer Behandlung eine im Vergleich extrem lange Verweildauer aufwiesen, zählten in einem Viertel der Fälle depressiv Kranke. Nur 10% der depressiv Kranken war jemals beim Facharzt behandelt worden; auch wurden nur 10% der depressiv Kranken mit Antidepressiva behandelt, 50% aber mit Benzodiazepinen. Nach den Ergebnissen dieser Hochbetagtenstudie ist die Früherkennung und sachgerechte Behandlung depressiver Erkrankungen bei hochaltrigen Menschen zur Verbesserung ihrer Lebensqualität und zur Vermeidung zusätzlicher Belastungen dringend angezeigt.

Frau Barth/Heidelberg berichtete über die Ergebnisse der Interdisziplinären Langzeitstudie des Erwachsenenalters (ILSE) bezogen auf Depression und psychiatrische Komorbidität. In dieser repräsentativen Untersuchung wurden Prävalenzraten für die Major Depression bei Erwachsenen zweier Alterskohorten (Jahrgänge 1930-32 und 1950-52) in den Jahren 1993 bis 1996 untersucht, bezogen auf die Lebenszeitprävalenz depressiver Störungen, eine bestehende Komorbidität mit Angststörungen und einen Zusammenhang mit aktuell vorliegender Lebenszufriedenheit. Als Instrumente wurden das strukturierte klinische Interview nach dem DSM-III-R (SKID), die Self Rating Depression Scale (SDS), die Nürnberger Selbsteinschätzungsliste als Maß für subjektive Lebenszufriedenheit und weitere Persönlichkeitsdimensionen erfasst. In der jüngeren Jahrgangskohorte zeigte sich, bezogen auf die Lebenszeitprävalenz, ein häufigeres Vorliegen von Major Depression mit 23,3% gegenüber 11,3 bei der älteren Jahrgangskohorte. Bei über 1/3 der Probanden, die früher oder aktuell unter einer Major Depression litten, ließ sich zusätzlich eine weitere psychiatrische Störung diagnostizieren; hierbei handelte es sich vorwiegend um Angststörungen. Eine geringere Lebenszufriedenheit wiesen diejenigen Probanden auf, die zusätzlich zu einer Major Depression an einer weiteren psychiatrischen Erkrankung litten. Auch schätzten sich diese Personen in der Befragung als stärker depressiv, bzw. weniger gesund ein, auch wenn ihr objektiv beurteilter Gesundheitszustand nicht von dem der anderen Probanden abwich. Frauen litten häufiger an Komorbidität mit Depression als Männer. Frau Barth stellte in der Zusammenfassung heraus, dass diese Komorbidität von Major Depression mit anderen psychiatrischen Störungen für die subjektive Lebensqualität besonders bedeutsam sei. Für die weiteren Erhebungswellen der ILSE-Studie werde hierauf verstärkt geachtet.

Herr Pantel/Heidelberg berichtete, anhand von volumetrischen Auswertungen kernspintomographischer Untersuchungen, über strukturelle zerebrale Veränderungen bei Patienten mit Spätdepressionen im Vergleich zu Patienten mit leichtgradiger Alzheimer-Demenz. In der Studie wurden 20 Patienten mit einer Spätdepression (Ersterkrankungsalter über 50 Jahre, Alter über 60 Jahre), 50 Patienten mit einer Alzheimer-Krankheit unterschiedlichen Schweregrades und 20 gleichaltrige gesunde Kontrollpersonen untersucht. Die Untersuchungsergebnisse zeigten, dass insbesondere in der bedeutsamsten Unterscheidung zwischen der kognitiv beeinträchtigten depressiven Patientengruppe und der Patientengruppe mit leichtgradiger Alzheimer-Krankheit die volumetrische Ausmessung des Amygdala-Hippocampus-Komplexes insgesamt links und frontal links eine gute Differenzierung erlaubte. Bei den depressiv Kranken waren Volumina der medialen temporalen Substrukturen signifikant größer als bei den untersuchten Patienten mit leicht- bis schwergradiger Alzheimer-Krankheit. Patienten mit spätem Auftreten einer Depression lassen sich demnach unter Berücksichtigung der Schwere der kognitiven Beeinträchtigung von Alzheimer-Kranken morphometrisch im Kernspintomogramm unterscheiden.

Herr Reischies/Berlin stellte konzeptuelle Überlegungen zur organischen Depression vor, welche er mit Ergebnisbeispielen aus der Berliner Altersstudie und der Literatur unterlegte. Bei der organischen Depression sei nach dem Zusammenhang zwischen den psychopathologischen Symptomen und den funktionellen neuroanatomischen Korrelaten zu fahnden. Aus den Untersuchungen bei zerebro-vaskulär bedingter Depression wisse man, dass die Patienten im Durchschnitt älter seien, die Familienanamnese meist negativ für Demenz sei und diese Kranken häufiger als depressives Symptom Apathie aufwiesen. Auch allgemeine körperliche Funktionseinschränkungen sind hier häufiger. In apparativen Untersuchungen zeigen sich bei zerebro-vaskulär bedingten Depressionen häufig tiefe Schädigungen der weißen Substanz insbesondere im Bereich des medialen orbito-frontalen Kortex. Neuropsychologisch findet man hier schwerpunktmäßig frontale Störungen. Herr Reischies entwickelte aus diesen Überlegungen zur Assoziation von Psychopathologie und neuroanatomisch-funktionellen Strukturen ein pathophysiologisches Modell des orbito-frontalen Kortex, der zum einen eine Belohnungsbewertung und ein Motivationssystem repräsentieren könnte und darüber hinaus Strukturen bereithalte, die positive Emotionalität auslösen könnten, beispielsweise ventrales Tegment, Nucleus accumbens und lateraler Hypothalamus. Starke efferente neuronale Verbindungen bestehen aus diesen letztgenannten Strukturen zum orbito-frontalen Kortex. Zusammenfassend betonte Herr Reischies, dass dieses Modell einer neuroanatomisch umschriebenen Dysfunktion seinen berechtigten Platz im multifaktoriell konstellierten ursächlichen System der Depression im höheren Lebensalter haben könnte.

Herr Herberg/Köln sprach als Leiter von ConTest, dem Zentrum für Psychometrie des TÜV Rheinlands, über die Altersabhängigkeit psychomotorischer Fähigkeiten und die hiermit verbundenen Ergebnisse einer TÜV-Studie mit dem Antidepressivum Citalopram. Allgemein bekannt ist der Zusammenhang von eingeschränkter Fahrtauglichkeit und der Einnahme von psychopharmakologischen Substanzen. Daher gehört es zu den allgemeinen Aufgaben des Zentrums für Psychometrie des TÜV Rheinlands 1. Fahrtauglichkeitskriterien zu erstellen, 2. die Altersabhängigkeit psychomotorischer Leistungen zu bestimmen und 3. den Einfluss von Pharmaka auf die Fahrtüchtigkeit zu prüfen. Hierbei bestehen besondere Anforderungen an ,,fahrgastbefördernde" Berufsgruppen. In der klinischen Studie mit Citalopram bei 78 Probanden konnten im Vergleich zu einer unbehandelten Personengruppe keine Einschränkungen in der psychomotorischen Leistungsfähigkeit durch die Einnahme von Citalopram festgestellt werden. Citalopram führte nicht zu sicherheitsrelevanten Leistungsveränderungen. Dieser Effekt war auch nicht dosisabhängig. Abgesehen von der Einnahme pharmakologischer Substanzen zeigt sich aber, dass die psychomotorischen Leistungsfunktionen wie Aufmerksamkeit, Geschwindigkeit und Konzentration alterskorreliert sind und mit fortschreitendem Alter leicht nachlassen. Dies geht aus einer Studie des TÜV in Köln hervor, die zu Normierungszwecken zwischen dem 18. und 80. Lebensjahr 620 gesunde Probanden auf ihre psychomotorischen Leistungsdaten untersucht hatte.

In der Zusammenfassung hat das VII. Gerontopsychiatrische Fachgespräch ergeben, dass depressive Störungen im Alter außerordentlich häufig sind und bei beinahe einem Viertel der Betroffenen eine psychiatrische Diagnose gestellt werden muss. Die epidemiologischen Untersuchungen haben überzeugend auf den engen Zusammenhang der Depression mit körperlichen Beeinträchtigungen, reduzierter Lebenszufriedenheit und höherer Pflegebedürftigkeit hingewiesen. Die ätiologische Konzipierung der organischen Depression wird gegenwärtig intensiv entwickelt. Neuroanatomisch steht die Dysfunktion des orbito-frontalen Cortex im Mittelpunkt der Betrachtung. Citalopram als Vertreter der selektiv serotonerg wirksamen Antidepressiva konnte in einer TÜV-Studie nachweisen, dass es die psychomotorische Leistungsfähigkeit als Voraussetzung von Fahrtüchtigkeit nicht sicherheitsrelevant einschränkt.

Priv.-Doz. Dr. med Martin Haupt

Rheinische Kliniken Düsseldorf
Psychiatrische Klinik der Heinrich-Heine-Universität

Bergische Landstr. 2
40629 Düsseldorf

Email: E-mail: KN42040@lvr.de

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