Pneumologie 2001; 55(4): 190-194
DOI: 10.1055/s-2001-12992
ÜBERSICHT
Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Ethische Probleme der elektronischen Compliance-Messung bei Asthmapatienten

Ethical Problems of Electronic Compliance Assessment in Asthmatic PatientsK-Ch Bergmann1 , S. Mühlig2 [*] , F. Petermann2
  • 1Allergie- und Asthma-Klinik, Bad Lippspringe
  • 2Zentrum für Rehabilitationsforschung der Universität Bremen
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Publication Date:
31 December 2001 (online)

Einleitung

Das mangelhafte Befolgen rational begründeter und praktikabler ärztlicher Empfehlungen zur medikamentösen Therapie durch Patienten ist in der Literatur gut dokumentiert. Eine ungenügende Compliance bei der Nutzung von Asthmamedikamenten wurde bei durchschnittlich 30 bis 70 % der untersuchten Kinder und Erwachsenen wiederholt beschrieben (vgl. Mühlig, Petermann & Bergmann[1], in diesem Heft). Compliance-Probleme entstehen insbesondere bei längerer Zeitdauer einer Medikation und der Einnahme mehrerer Medikamente. Unter bestimmten Umständen scheinen sich mehr Patienten non-compliant zu verhalten als verordnungskonform. Je genauer die Analysemethode, desto geringer fällt dabei in der Regel die Compliance-Rate aus. So sind die Selbstangaben der Patienten zur Compliance selbst in kontrollierten Studien weit entfernt von dem, was die elektronischen Überwachungsgeräte zeigen.

Die Folgen der Non-Compliance schließen nicht nur Behandlungsmisserfolge, akute Exazerbationen, kostspielige diagnostische Untersuchungen und Krankenhausaufenthalte für den individuellen Patienten, sondern auch enorme volkswirtschaftliche Belastungen und Fehlsteuerungen im Gesundheitswesen ein. Auch die Ergebnisse klinischer Studien können durch die Non-Compliance irreführend beeinflusst werden, da auch die Studienprobanden nur in etwa 50 % bis 70 % die empfohlene (vereinbarte) Medikamentendosis einnehmen. Unterstellt wird aber bei der Auswertung und Interpretation der Studien meist eine 100 %ige Compliance. Im Ergebnis können mindestens zwei falsche Schlussfolgerungen aus den Studienergebnissen gezogen werden: Erstens, dass die Substanz nicht wirksam ist und damit ihr Einsatz abgewiesen wird, oder zweitens, dass die Substanz aufgrund non-complianter Studienteilnehmer in ihrer Wirksamkeit unterschätzt und deshalb in einer zu hohen Dosierung empfohlen wird, so dass paradoxerweise Patienten mit einer guten Compliance in der Anwendungspraxis überdosiert werden.

Eine gute Compliance ist also aus mehreren Blickwinkeln wünschenswert. Dabei stellen die neuen Möglichkeiten der elektronischen Überwachung bzw. Messung des Compliance-Grades mit dem Chronolog [1] [2] oder Doser ([3]; vgl. Mühlig, Bergmann, Twesten & Petermann, in diesem Heft) für die Compliance-Forschung und klinische Praxis einen großen Fortschritt dar. Aufgrund der gravierenden Mängel und unzureichenden Validität anderer indirekter Erhebungsmethoden (wie Patientenbefragung, Arzteinschätzung oder AM-Schwundmessung), aber auch der begrenzten Einsatzmöglichkeiten direkter Messverfahren (Spiegelmessung, Markerkontrolle) gelten Medication Event Monitoring System - MEMS heute als „¿Goldstandard” der Compliance-Messung ([4]; vgl. Beitrag Mühlig, Petermann & Bergmann, in diesem Heft). Bei der Verwendung von elektronischen Monitoring-Systemen stellt sich aber die Frage, um welchen Preis die Anwendung solcher Instrumente dem Patienten zugemutet werden kann. Dabei stellt nicht die Kenntnis der Compliance-Daten an sich, sondern der Prozess der Datengewinnung durch die angewandte Methodik das Problem dar.

Literatur

1 „Verbreitung der Non-Compliance bei Asthma-Patienten: Aktueller Forschungsstand und methodologische Probleme”

3 Der Beitrag enthält Auszüge aus der Habilitationsschrift des Zweitautors

Dr S Mühlig

ZRF
Universität Bremen

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