Zentralbl Chir 2001; 126(2): 103-104
DOI: 10.1055/s-2001-12526-2
Originalarbeiten und Übersichten

J.A.Barth Verlag in Medizinverlage Heidelberg GmbH & Co.KG

Kommentar auf Anforderung der Schriftleitung zum Beitrag „Standortbestimmung der chirurgischen Therapie und Klassifikation nicht rupturierter Bauchaortenaneurysmen”

W. J. Stelter
  • (Frankfurt-Höchst)
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Publication Date:
12 May 2004 (online)

Eine Standortbestimmung der chirurgischen Therapie nicht rupturierter Bauchaortenaneurysmen und die retrospektive anatomische Klassifikation zur Bestimmung geeigneter Fälle für eine endovaskuläre Therapie müssen ein schiefes Bild ergeben, wenn die Autoren zum endovaskulären Verfahren keinerlei eigenen Zugang haben und ihn offensichtlich ablehnen. Es hilft auch nichts, wenn dabei zumeist Autoren zitiert werden, die ihrerseits über Erfahrungen mit kleineren und, wie man weiß, hoch selektierten Patientenkollektiven bei kurzer und auch nicht vollständig erfaßter Nachuntersuchung verfügen. Zu den Ergebnissen in der fleißigen Analyse der konventionellen Operationen über einen Zeitraum von 4 Jahren darf man die Autoren beglückwünschen. Die Analyse bestätigt die alte Erfahrung, daß die Operation symptomatischer Patienten mit einem deutlich höheren Risiko einhergeht, obwohl in „ihrem Krankengut die durchschnittliche Operationsdauer bei symptomatischen doch um 12 Minuten besser, nämlich 18 anstatt 6 Minuten unter der 3-Stunden-Grenze lag. Die symptomatischen Aneurysmen sind größer, aber wir erfahren nicht, ob vielleicht auch die Patienten älter waren, wie andere gefunden haben. An der Hospitalisationsdauer als hartem Erfolgskriterium muß man in Europa unter Berücksichtigung der spezifischen Gesundheitssysteme Zweifel anmelden. Oder auch daran, daß ausgerechnet wegen möglicher Venenanomalien (welche wäre denn zum Beispiel so gefährlich?), eine Computertomographie bei jedem angefertigt werden muß, oder auch ein MRT angefertigt werden darf, etc., etc., etc.

Zur Analyse der Kriterien für die Auswahl für ein mögliches endovaskuläres Verfahren müssen Bedenken erlaubt sein. Nicht nur die rupturierten Aneurysmen, die nicht Bestandteil der Analyse waren, aber doch gerade in dieser Hinsicht Interesse erregt hätten, wurden weggelassen, sondern auch die in dem selben Zeitraum endovaskulär versorgten Patienten. Wie hoch war denn diese Dunkelziffer, die zweifelsfrei das Bild verfälscht, und wer hat sie denn versorgt?

Wir haben in den letzten 6 Jahren von August 1994 bis November 2000 511 Patienten mit BAA endovaskulär in unserer Abteilung versorgt und kontinuierlich und lückenlos (nur 5 Patienten kommen nicht persönlich zur Nachuntersuchung, schreiben uns leider nur Briefe) nachuntersucht. Dazu kamen mehr als 310 endovaskuläre Operationen in anderen Kliniken auswärts. Über die Jahre betrug der Anteil der endovaskulär versorgten Patienten zuerst 50 %, dann in den letzten 3 Jahren 70 %. Dies war möglicherweise auch Folge einer gewissen (aber unbewiesenen) Präselektion und/oder einer besonders aggressiven Indikation. Auch als Allenberg in seiner ähnlichen retrospektiven Studie über die Möglichkeit der endovaskulären Versorgung nachdachte und den Anteil auf ca. 20 % schätzte, mag unser doppelt so hoher Anteil von 50 % noch eine gewisse Naivität im Umgang mit der Stentprothese reflektiert haben (wir glaubten an ihre Stabilität und kannten noch keine späten Endoleckagen etc.); der Anteil von 70 % über die letzten Jahre ist dagegen Ausdruck dafür, daß mit der Entwicklung von Stentprothesen der 3. und 4. Generation weitergehende Möglichkeiten bei inzwischen anatomisch deutlich problematischeren Patienten als früher gegeben sind.

Unser höherer Anteil von endovaskulären Operationen ist aber auch sicher Ausdruck einer von den Autoren abweichenden Interpretation der Einschlußkriterien, die neuere Möglichkeiten der suprarenalen Fixation, des Einschlusses von Nierenarterien, der 24 mm weiten iliakalen Verlängerungen etc. nicht berücksichtigt. Die Kriterien: Länge des Aortenhalses, seine Verkalkung oder wandständige Thromben, Kinking von Aorta- und Beckenarterien, die Stenosierung und Beurteilung der Zugangsarterien müssen relativiert und können nur von einem Praktizierenden vernünftig eingeschätzt werden; die Fehleinschätzung in der vorliegenden Arbeit betrifft auch die Gruppen II C1 und III. Genauso mußten wir schon Allenberg mit seiner zu niedrigen Einschätzung vor 5 Jahren entgegentreten.

Noch etwas muß den Autoren von jemand gesagt werden, der beide Verfahren praktiziert: Die Risikoprofile der endovaskulär und offen Operierten unterscheiden sich bei unseren Patienten ganz deutlich. Morbidität und Mortalität beider Verfahren mögen in der retrospektiven Analyse am Ende gleich erscheinen, aber die endovaskulär versorgten Patienten sind bei uns viel kränker als die anderen und älter! Die Letalität unserer elektiven Operationen ging in den ersten beiden Jahren nach EinfÏhren der endovaskulären Technologie von vorher 0-2 % auf 14-16 % (immer derselben Operateure!) in die Höhe. Es starben die häufig symptomatischen Risikopatienten, die wir damals (noch) nicht endovaskulär versorgen konnten!

Die Letalität der Explantation von Endoprothesen sehen wir anders als die Autoren: Die 16 notwendigen Prothesenexplantationen bei unseren Patienten, zum Teil in auswärtigen Kliniken, waren insbesondere nach langer Zeit sehr unangenehm. Ein Patient verstarb (nicht 45 %!), im Stadium der Ruptur seines Aneurysmas trotz liegender, aber undichter Prothese.

Das wahre Problem der endovaskulären Behandlung der Bauchaortenaneurysmen ist in einem anderen hier überhaupt nicht angesprochenen Feld zu suchen: Nicht die Implantierbarkeit (feasibility) wie hier diskutiert, sondern die Langzeitstabilität und -abdichtung (durability) sind entscheidend für den Erfolg der Methode. Hierfür sind noch keine Auswahlkriterien gefunden und auch nicht so rasch zu erwarten. In der Zwischenzeit wird die endovaskuläre Stentimplantation zur Behandlung von Aortenaneurysmen ihren Weg gehen müssen und wird auch von theoretisierenden, aber in der Praxis wenig sachkundigen Äußerungen, wie im vorliegenden Artikel nicht - Gott sei Dank! - aufzuhalten sein. Heute erscheint uns eine Implantierbarkeit bei 50 bis 60 % der BAA selbst für Vorsichtige realistisch.

Das größte Hindernis für das Verfahren, das inzwischen für viele unserer Patienten segensreich war, ist die fehlende Kostenübernahme durch die Krankenkassen, die sich auf ihre feste Budgetierung berufen.

Prof. Dr. W. J. Stelter

Chirurgische Klinik
Städtische Kliniken Frankfurt/Höchst

Gotenstraße 6-8

D-65929 Frankfurt





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