Rehabilitation (Stuttg) 2001; 40(1): 1-2
DOI: 10.1055/s-2001-12131
LAUDATIO
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Prof. Dr. med. Kurt-Alphons
Jochheim zum 80. Geburtstag

Prof. Dr. med. Kurt-Alphons Jochheim for his 80th AnniversaryW. Blumenthal
Weitere Informationen

Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
31. Dezember 2001 (online)

Prof. Kurt-Alphons Jochheim, einer der Gründerväter der modernen medizinisch-beruflich-sozialen Rehabilitation in Deutschland, seit Jahrzehnten Herausgeber der „Rehabilitation” und viele Jahre lang Vorsitzender der Deutschen Vereinigung für die Rehabilitation Behinderter, vollendete am 20. Januar 2001 sein 80. Lebensjahr.

Seine Lebensgeschichte spiegelt die Rehabilitation:

Aufgewachsen in einer Hamburger Kaufmannsfamilie. Reifeprüfung, kurzer Arbeitsdienst und Beginn des Medizinstudiums in Halle 1939. Militärdienst, Verwundung und Rekonvaleszenz als OP-Gehilfe. In Hamburg Fortsetzung des Studiums ab 1942, Staatsexamen und Promotion 1946. Jochheims Beteiligung bei der Gründung des Hamburger ASTA und später des Marburger Bundes zeigen schon früh seinen Blick für soziale Notlagen und sozialpolitische Möglichkeiten.

Als Assistent in der Neurologischen Abteilung des AK Heidberg bei dem Pette- und Kurt-Schneider-Schüler Werner Scheid erhielt Jochheim eine fundierte klinische Weiterbildung in Neurologie und Psychiatrie. Im Frühjahr 1950 wechselte er mit seinem Lehrer zur Nervenklinik der Universität Köln. Bald darauf Facharzt und Oberarzt, blickte er über die vorwiegend diagnostischen Interessen der damaligen Hochschulmedizin hinaus und entwickelte erste Programme zur Übung und Wiederherstellung gestörter Funktionen nach neurologischen Schädigungen.

Wissenschaftlich beschäftigten ihn verschiedene Aspekte des chronischen Schmerzes, der vegetativen Funktionsstörungen sowie die klinische und die experimentelle Virologie, speziell virusbedingte Nervenerkrankungen. Während eines Forschungsaufenthaltes in den USA lernte er außer dem Begriff die damals neue Sichtweise und Methodik der umfassenden medizinisch-beruflichen Rehabilitation körperlich Behinderter kennen und setzte sie als wesentliche Ergänzung der üblichen Therapie anschließend auch und gerade für Patienten mit schweren Folgen neurologischer und psychiatrischer Erkrankungen in der Nervenklinik Köln ein.

Ab 1956 erfolgten erste Veröffentlichungen zu verschiedenen Aspekten der Rehabilitation, 1958 die Habilitation für Neurologie und Psychiatrie mit der Monographie „Grundlagen der Rehabilitation in der Bundesrepublik Deutschland”. Seit über 40 Jahren bestimmen Veröffentlichungen zur medizinischen, schulisch-beruflichen und sozialen Rehabilitation fast ausschließlich Jochheims wissenschaftliches und publizistisches Wirken. Die Themenschwerpunkte liegen bei neurologischen und psychiatrischen Krankheiten, der Arbeitsweise von Rehabilitationseinrichtungen, der Aus- und Fortbildung von Fachkräften, der Bestimmung und Messung von Rehabilitationspotential, Behinderungsprofil und Arbeitsplatzerfordernissen, im Behindertensport und von Anfang an, besonders aber in den letzten Jahren bei der ergebnisorientierten Rehabilitationsforschung und Methodenkritik und der europäischen und internationalen Zusammenarbeit in der Rehabilitation. Bis in die Gegenwart wurden es, zum Teil in Zusammenarbeit mit anderen, mehr als ein Dutzend Monographien, Lehrbücher und Handbücher sowie über 250 sonstige Veröffentlichungen, 11 allein in den letzten drei Jahren.

Bei der Schaffung eigenständiger Strukturen der medizinisch-beruflichen Rehabilitation an der Universität traf Jochheim immer wieder auf Skepsis und bürokratische Widerstände. Erst 1959 konnte Jochheim mit Unterstützung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl eine bescheidene Werkstatt für Arbeitstherapie und Belastungserprobung an der Nervenklinik realisieren. Die erste spezielle klinische Einrichtung an einer westdeutschen Universität, das Rehabilitationszentrum der Universität zu Köln, eröffnete er nach zähen Verhandlungen 1966 und leitete es bis 1986.

Dazwischen lagen 1964 die außerplanmäßige Professur für Neurologie und Psychiatrie an der Medizinischen Fakultät der Universität zu Köln und die ordentliche Professur für Rehabilitation an der Deutschen Sporthochschule Köln, diese verbunden mit der Leitung des Seminars für Rehabilitation - seit 1971 Institut für Rehabilitation und Behindertensport.

In beiden Einrichtungen gelang es Prof. Jochheim, mit bescheidenen Mitteln dank engagierter Mitarbeiter modellhafte Vorhaben zu verwirklichen: Im Rehabilitationszentrum die integrierte medizinisch-beruflich-soziale Rehabilitation Behinderter als eine fachärztlich fundierte und verantwortete interdisziplinäre Dienstleistung, regionalisiert im Verbund eines großen Krankenhauses, mit eigenem stationären Bereich und problemlosem Übergang zur teilstationären Förderung bis hin zur rehabilitationsmedizinischen Ambulanz und Beratung - inhaltlich beginnend mit konsiliarischer Betreuung in den Akutkliniken über die frühe medizinische Rehabilitation, später Phase I b genannt, bis zum Schwerpunkt in der Rehabilitation Phase II. Im Institut der Sporthochschule eine Forschungs- und Ausbildungsstätte für behinderungsgerecht adaptierten Breiten- und Leistungssport als wichtiges Übungsfeld für die gesundheitliche Stabilisierung, persönliche Entfaltung und soziale Eingliederung Behinderter. Maßgeblich beteiligt war er an der Entwicklung des speziell auf die Bedürfnisse Behinderter ausgerichteten Ausbildungsganges für Diplom-Sportlehrer „B”.

Bei der Emeritierung im Jahr 1986 konnte Prof. Jochheim mit Befriedigung und Zuversicht sein Institut an der Sporthochschule übergeben, während die dauerhafte Verankerung des Rehabilitationszentrums an der Medizinischen Fakultät trotz der zukunftweisenden Konzeption wenige Jahre später scheiterte.

Unermüdlich war und ist Kurt-Alphons Jochheim, Professor im Wortsinn, auch ehrenamtlich für die Verbreitung und Entwicklung der Rehabilitation behinderter Menschen tätig. Ohne Zweifel hilft ihm hierbei die Unterstützung seiner Familie sowie seine Fähigkeit, die eigene Begeisterung für alle Aspekte der Rehabilitation auf die Personen seiner Umgebung zu übertragen.

Bereit und fähig zu führen und zuzuhören, stets sachbezogen mit profundem Sachverstand und souveränem Überblick, persönlich ganz uneitel und hilfsbereit, widmete er sich den zahlreichen ihm angetragenen Ehrenämtern. Als wichtigste seien genannt:

Vorsitzender der Deutschen Vereinigung für die Rehabilitation Behinderter von 1967 bis 1992, seither Ehrenvorsitzender Prof. Jochheim sorgte als Vorsitzender strukturell für die engere Einbindung der Behindertenverbände und der Leistungsträgergruppen und zuletzt noch die Überleitung der DDR-Gesellschaft für Rehabilitation; inhaltlich für eine konsensorientierte interdisziplinäre Arbeitsweise in Arbeitsausschüssen und Gremien sowie für öffentlichkeitswirksame Veranstaltungen und Publikationen. Seinem Wirken ist es zu verdanken, dass die DVfR als „einzige interdisziplinäre Fachorganisation für die gesamte Behindertenhilfe” (Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation) anerkannt ist. Noch heute leitet er einen Arbeitsausschuss und bringt seinen erfahrenen Rat in den Gremien ein. Mitherausgeber der Zeitschrift „Die Rehabilitation” seit ihrer Begründung 1962 Prof. Jochheim hat maßgeblich dafür gesorgt, dass „Die Rehabilitation” sich zum wichtigsten deutschsprachigen, auch international beachteten Forum für alle Fragen der Rehabilitation entwickelt hat. Sowohl die Berichte zur Rehabilitationspraxis und, verstärkt in letzter Zeit, zur Forschung als auch die übrigen Mitteilungen unterstreichen sein Bemühen um eine breite und kontinuierliche interdisziplinäre Information und Fortbildung auf allen Feldern der Rehabilitation. Präsident von Rehabilitation International, New York, 1972 bis 1976 In dieser Position und anderen Ämtern vorher und nachher hat sich Prof. Jochheim für die Konsolidierung dieser weltweit tätigen Vereinigung und die Entwicklung regional differenzierter gesundheitspolitischer Vorschläge zur Prävention von Behinderungen und Rehabilitation behinderter Menschen eingesetzt. Präsident der 2. Europäischen Konferenz für Rehabilitationsforschung 1985 in Düsseldorf und Mitinitiator der European Federation on Research in Rehabilitation EFRR Nach geduldiger Vorbereitung seit 1978 konnte Prof. Jochheim zusammen mit anderen Streitern 1992 die Anerkennung und Formalisierung des Facharztes für Physikalische und Rehabilitative Medizin und der Zusatzbezeichnung Rehabilitationswesen durch den Ärztetag erreichen. Als Berater und ärztlicher Sachverständiger in Fragen der Rehabilitation ist Jochheim zum Teil bis in die Gegenwart für zahlreiche nationale und übernationale Gremien tätig, u. a. für die Bundesregierung (BMA, BMJFG), für die WHO im Rahmen der ICIDH-Fortentwicklung, den Europarat in Straßburg, die Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation, Behindertenorganisationen, Berufsverbände und Beiräte von Rehabilitationseinrichtungen.

Prof. Jochheims außergewöhnliche Verdienste um die Rehabilitation in Deutschland wurden 1984 mit dem Bundesverdienstkreuz 1. Klasse und 1992 mit dem Großen Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland gewürdigt.

Kurt-Alphons Jochheim nur als Wissenschaftler, akademischen Lehrer, Institutsleiter und nicht zuletzt in vielen Ehrenämtern als einen der Pioniere der Rehabilitation in Deutschland zu sehen wäre nicht zureichend. Er blieb für seine Patienten stets ein besonders engagierter Arzt mit sicherem diagnostischen Blick und therapeutischer Zuwendung; er war und ist ein Mann mit lebhaftem Interesse an Menschen, Natur, Segeln, Kunst und Kultur, dessen Toleranz und Klarheit, dessen Begabung zu fairem Ausgleich und Weisheit im Alter auch von seinen Kritikern anerkannt werden.

Seit nahezu einem halben Jahrhundert wirkt Prof. Jochheim unermüdlich und fruchtbar für die Verwirklichung des Rehabilitationsgedankens in- und außerhalb Deutschlands. Er war maßgeblich daran beteiligt, dass Rehabilitation sich in unserem Staat zu einem integralen Teil der sozialen Sicherheit für alle Menschen mit Behinderungen entwickelt hat. Diese Menschen, die in der Rehabilitation Tätigen und die Öffentlichkeit, wir alle schulden ihm dafür großen Dank.

Schriftleitung und Verlag der „Rehabilitation”, Vorstand und Mitglieder der DVfR gratulieren Prof. Jochheim zum Geburtstag und wünschen, dass er weiterhin seinem Lebensthema Rehabilitation, der DVfR und der Zeitschrift in Freude, Gesundheit und Schaffenskraft verbunden bleibe.

Dr. med. Wolfgang Blumenthal
Geesthacht

    >