Aktuelle Ernährungsmedizin 2001; 26(1): 33-34
DOI: 10.1055/s-2001-11613-3
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Empfehlung für die optimale Kalziumzufuhr für Kinder und Jugendliche

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Publication Date:
28 April 2004 (online)

Empfehlung für die optimale Kalziumzufuhr für Kinder und Jugendliche

Stellungnahme von Privatdozent Dr. Armin Zittermann, Bonn

Die Referenzwerte enthalten für Kalzium ebenso wie für eine Reihe anderer Nährstoffe Angaben, die nach Alter und Geschlecht gegliedert sind. Die Referenzwerte müssen hierbei so gestaltet sein, dass sowohl das Risiko eines Nährstoffmangels als auch das Risiko für unerwünschte Wirkung aufgrund überhöhter Zufuhr gering ist. Als Grundlage für die Ermittlung der Referenzwerte dient der Nährstoffbedarf einer Altersgruppe, wobei definitionsgemäß der Bedarf als die Menge eines Nährstoffs bezeichnet wird, die zur Optimierung der Funktionen des Organismus führt, die von dem betreffenden Nährstoff abhängig sind. Somit haben die Zufuhrempfehlungen einen krankheitspräventiven Charakter.

Eine geringe Kalziumzufuhr muss als Risikofaktor für ein erhöhtes Osteoporoserisiko angesehen werden. Ein möglicher Zusammenhang mit anderen Erkrankungen (Kolonkrebs, Hypertonie) ist bisher nicht schlüssig bewiesen. Osteoporose ist eine Erkrankung, die sich insbesondere im Alter manifestiert. Damit ist der klinische Endpunkt Osteoporose nicht geeignet, wenn es um die Ermittlung von Referenzwerten für die Kalziumzufuhr bei Jugendlichen geht. Aus diesem Grunde müssen andere Kriterien für die Aufstellung einer Zufuhrempfehlung für Jugendliche herangezogen werden. Im Falle des Kalziums bestehen drei Möglichkeiten den Bedarf zu ermitteln: Kalziumbilanzstudien, die faktorielle Methode zur Ermittlung des Kalziumbedarfs (s. u.) sowie Interventionsstudien bei denen der Einfluss einer hohen Kalziumzufuhr im Vergleich zu einer niedrigen Kalziumzufuhr bezüglich der Entwicklung des Knochenmineralgehaltes untersucht wird.

Kalziumbilanzstudien haben ergeben, dass während der Pubertät die Kalziumretention bei einer Kalziumzufuhr von ungefähr 1500 mg/Tag ein Plateau erreicht [1]. Höhere Zufuhrmengen führen nicht zu einer vermehrten Kalziumretention. Vielmehr wird der Überschuss entweder renal oder über die Fäzes ausgeschieden. Bei der faktoriellen Methode werden die täglichen Verluste, die im Harn, mit den Fäzes und im Schweiß auftreten, erfasst. Des Weiteren wird die Kalziumretention, die für den Knochenaufbau während der Pubertät notwendig ist, ermittelt. Zusätzlich werden Daten zur intestinalen Kalziumabsorptionsrate bei gesunden Kindern während der Pubertät erfasst bzw. aus der Literatur zusammengetragen. Auf diese Weise kann für männliche Jugendliche eine alimentäre Kalziumzufuhr von 1505 mg/Tag und für weibliche Jugendlichen eine Kalziumzufuhr von 1276 mg/Tag ermittelt werden [2]. Diese Zufuhrmengen sind notwendig, um bei gegebener Absorptionsrate die Kalziumverluste auszugleichen und zusätzlich genügend Kalzium für eine Retention im Knochen bereit zu stellen.

Des Weiteren liegen einige lnterventionsstudien vor, die mit Kindern bzw. Jugendlichen durchgeführt wurden. In zwei Interventionsstudien wurden Mädchen im Alter von 11,9 Jahren (SD 0,5 Jahre) bzw. 11 Jahren (9 - 13 Jahre) untersucht. Es ergaben sich signifikante höhere Werte des Knochenmineralgehaltes an der Lumbalwirbelsäule bei den Gruppen, die ein Kalziumsupplement erhielten bzw. vermehrt Milch konsumierten und damit ihre tägliche Kalziumaufnahme gegenüber den Plazebogruppen von durchschnittlich 935 mg/Tag bzw. 728 mg/Tag auf 1370 mg/Tag bzw. 1473 mg /Tag erhöhten [3] [4].

In einer Zwillingsstudie, bei der ein Zwilling ein Plazebo und einer das Kalziumsupplement erhielt, trat bei den Kindern, die sich in der Phase der Pubertät befanden, jedoch kein zusätzlicher Nutzen auf (Kalziumzufuhr der Plazebogruppe: ca. 900 mg/Tag; Supplementgruppe: 1600 mg/Tag) [5].

Bei einer weiteren Zwillingsstudie (Alter: 10 - 17 Jahre) führte dagegen eine Supplementierung mit 1000 mg Kalzium/Tag, die in einer täglichen Gesamtzufuhr von mehr als 1600 mg Kalzium resultierte, zu einem signifikanten Anstieg des Knochenmineralgehaltes an der Wirbelsäule und der Hüfte, allerdings nur in den ersten 6 Monaten der Intervention. Während der folgenden 12 Monate trat eine weitere Veränderung nicht ein [6].

In den Erläuterungen zu den D-A-CH-Werten wird explizit darauf hingewiesen, dass der Kalziumbedarf in der Pubertät und Adoleszenz vermutlich zwischen 1000 und 1500 mg/Tag liegt, und dass der präventive Nutzen einer sehr hohen Kalziumaufnahme nicht ausreichend belegt ist.

Unter Einbeziehung von Bilanzstudien, der faktoriellen Methode sowie der Ergebnisse der Interventionsstudien wurde daher der Referenzwert bei 1200 mg/Tag festgelegt. Dieser Wert liegt bereits 100 mg niedriger als die US-amerikanischen Empfehlungen, die weltweit als wegweisend angesehen werden [2].

Die Frage, inwieweit durch eine übliche westliche Ernährungsweise die empfohlenen Zufuhrmengen realisierbar sind, darf keine Rolle spielen. Die Referenzwerte haben sich am Nährstoffbedarf und nicht an der Frage der praktischen Umsetzbarkeit zu orientieren. Dies zeigt das Beispiel des Jodmangels sehr eindrucksvoll. Würde sich der Referenzwert für Jod an der praktischen Realisierbarkeit ausrichten, so würde der Jodmangel in Mitteleuropa weiterhin bestehen bleiben, da nur wenige Lebensmittel nativ nennenswerte Mengen an Jod enthalten.

Es ist zu beachten, dass die Referenzwerte für Jugendliche bezogen auf die Nährstoffdichte nicht erhöht sind. Die höchsten Anforderungen an die Nährstoffdichte sind vielmehr bei den Senioren gegeben. An dieser Stelle sei auch auf Untersuchungen zur Ernährungsweise in prähistorischer Zeit verwiesen. Unsere Vorfahren haben, eine adäquate Energiezufuhr von 12,6 MJ vorausgesetzt, vermutlich täglich 1500 - 1800 mg Kalzium mit der Nahrung aufgenommen und damit deutlich mehr als die D-A-CH-Referenzwerte beinhalten [7].

Literatur

  • 1 Matkovic V, Heaney R P. Calcium balance during human growth: evidence for threshold behaviour.  Am J Clin Nutr. 1992;  55 992-996
  • 2  Institute of Medicine Food and Nutrition Board. Dietary reference intakes for calcium, phosphorus, magnesium, vitamin D and fluoride. National Academy Press 1997
  • 3 Lloyd T. et al . Calcium supplementation and bone mineral density in adolescent girls.  J Am Med Assoc. 1993;  270 841-844
  • 4 Chan G M. et al . Effect of diary products on bone and body composition in pubertal girls.  J Pediatr. 1995;  126 551-556
  • 5 Johnston C C. et al . Calcium supplementation and increases in bone mineral density in children.  N Engl J Med. 1992;  327 82-87
  • 6 Nowson C A. et al . A co-twin study of the effect of Calcium supplementation on bone mineral density during adolescence.  Osteoporos Int. 1997;  7 219-225
  • 7 Eaton S B, Nelson D A. Calcium in evolutionary perspective.  Am J Clin Nutr. 1991;  54 281S-287S

PD Dr. Armin Zittermann

Institut für Ernährungswissenschaft

Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn

Endenicher Allee 11 - 13
53115 Bonn

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