NOTARZT 2000; 16(6): 193-194
DOI: 10.1055/s-2000-8310
DER TOXIKOLOGISCHE NOTFALL
Der toxikologische Notfall
Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Bewusstlosigkeit mit Knoblauchgeruch

F. Martens
  • Charité, Campus Virchow Klinikum, Medizinische Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin, Klinik für Nephrologie und internistische Intensivmedizin (Direktor: Prof. Dr. Ulrich Frei), Berlin
Further Information

Publication History

Publication Date:
31 December 2000 (online)

Der Fall

Der Notarzt wird gegen 15.00 Uhr in den Keller eines Einfamilienhauses gerufen, wo ein zyanotisch verfärbter Mann von Zuckungen geschüttelt auf dem Boden liegt. Nach Angaben seiner Ehefrau war er etwa eine Stunde zuvor nach einem Streitgespräch in den Keller gegangen. Da er sich nach derartigen Vorkommnissen des Öfteren in seiner Werkstatt beruhige, habe sie an nichts Schlimmes gedacht.

Bei näherer Untersuchung findet sich ein ansprechbarer, motorisch unruhiger 41-jähriger Patient, der auf die Fragen des Notarztes jedoch nicht zu antworten vermag. Mit jedem Atemzug wird lautes Rasseln hörbar, aus dem Mund fließt bläulich verfärbter Speichel und die Kleidung des Patienten ist von Erbrochenem verunreinigt. Im Raum stinkt es bestialisch nach einer Mischung aus Knoblauch, Urin, Kot und Erbrochenem. Der Blutdruck ist mit 90/65 mm Hg deutlich erniedrigt, die Herzfrequenz liegt bei 48/min. Während der Notarzt eine großlumige Kunststoffverweilkanüle legt, leiten die Rettungssanitäter ein Notfall-EKG ab, das eine regelmäßige Sinusbradykardie zeigt.

Die ausgeprägte cholinerge Symptomatik, der eklige, an Knoblauch erinnernde Gestank und der zeitliche Zusammenhang mit einem Ehestreit lassen den Notarzt an eine Vergiftung mit Organophosphaten denken. Wegen der hochgradigen Ateminsuffizienz werden die Intubation und Beatmung vorbereitet. Währenddessen sucht die entsprechend instruierte Ehefrau des Patienten nach „Schädlingsbekämpfungsmitteln” und findet schließlich eine fast völlig entleerte Metallflasche mit der Aufschrift „Metasystox®”, die ursprünglich 30 ml enthalten hatte.

Zur Behandlung der ausgeprägten Bradykardie und zur Reduktion der ausgeprägten Bronchialsekretion verabreicht der Notarzt in kurzen Abständen insgesamt 5 mg Atropin. Nach Analgosedierung mit Fentanyl und Midazolam wird der Patient orotracheal ohne Komplikationen intubiert und anschließend mit reinem Sauerstoff und PEEP + 5 cm H2O beatmet. Da die Ingestion des Insektizids mutmaßlich sehr kurz zurückliegt, entschließt sich der Notarzt zur Durchführung einer Magenspülung. Nach Einführen des Magenschlauches lassen sich über 100 ml einer violetten Flüssigkeit aspirieren. Bei der nachfolgenden Magenspülung kann Wasser von einem Nachbarraum geholt und die Spülflüssigkeit in vorhandenen Garteneimern wieder aufgefangen werden. Nach etwa 30 l Spülung ist kaum noch eine Verfärbung des Spülwassers nachzuweisen. Daher werden 100 g Aktivkohle aufgeschwemmt über den Magenschlauch instilliert und dieser danach abgeklemmt. Nach dieser Prozedur werden ein Blutdruck von 105/65 und eine Herzfrequenz von 60/min gemessen. Das Rasseln über beiden Lungen hat deutlich nachgelassen und der anfängliche Speichelfluss ist kaum noch nachzuweisen. Daher entschließt sich der Notarzt zum Transport in die Intensivstation der nahe gelegenen Uniklinik, die auch über extrakorporale Giftentfernungsverfahren verfügt.

Dort wird der Patient unter Fortführung der kontinuierlichen Atropingabe über weitere 12 Tage maschinell beatmet und kann schließlich bei sich langsam normalisierender Serumcholinesterase extubiert werden. Spätschäden wurden durch die Vergiftung nicht ausgelöst.

Priv.-Doz. Dr. Frank Martens

Charité, Campus Virchow Klinikum

Medizinische Fakultät der Humboldt Universität zu Berlin Klinik für Nephrologie und internistische Intensivmedizin

Augustenburger Platz 1

13353 Berlin

Email: frank.martens@charite.de

    >