Pneumologie 2000; 54(9): 419-420
DOI: 10.1055/s-2000-7188
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Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Präventive INH-Therapie bei der Behandlung von Atemwegs- und Lungenerkrankungen mit Kortikosteroiden?

D. Kirsten
  • Zentrum for Pneumologie und Thoraxchirurgie, Großhansdorf
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Publikationsdatum:
31. Dezember 2000 (online)

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Unter präventiver Chemotherapie versteht man die Anwendung von Antituberkulotika bei tuberkulinpositiven Personen; Chemoprophylaxe beinhaltet die Therapie von Personen mit negativem Tuberkulintest zur Verhütung der Infektion bei Gefährdung (Exposition bzw. Immunsuppression). Diese Unterscheidung wird nicht immer streng eingehalten, sie erleichtert jedoch die therapeutische Entscheidung. Es besteht kein Zweifel daran, dass die Therapie mit systemischen Kortikosteroiden das Risiko, eine aktive Tuberkulose zu induzieren, grundsätzlich erhöhen [[1]]. Die wichtigsten pneumologischen Erkrankungen, die mit Kortikosteroiden, teils auch über längere Zeit behandelt werden, sind das Asthma bronchiale, die chronisch obstruktive Atemwegserkrankungen mit und ohne Emphysem sowie interstitielle Lungenerkrankungen, hier insbesondere auch die Sarkoidose.

Bis ca. 1975 gab es in Deutschland wenig Zweifel an der Sinnhaftigkeit einer INH-Therapie bei notwendiger Kortikosteroid-Langzeittherapie pneumologischer Erkrankungen, aber auch anderer chronischer Erkrankungen wie Rheumatoider-Arthritis, speziellen Anämieformen usw. Allerdings war die Literatur zu diesem Thema auch damals sparsam [[5], [4], [2], [1], [3], [6]]. Beschrieben werden sowohl reaktivierte Tuberkulosen als auch neu aufgetretene Tuberkulosen bei Tuberkulin-positiven Patienten. Die in aller Regel durchgeführte INH-Monotherapie war bei ausgeprägter Immunsuppression jedoch gelegentlich nicht in der Lage, eine aktive Tuberkulose zu verhindern, wie R. Kropp an 4 außergewöhnlichen Fällen beobachten konnte [[7]]. Die Etablierung der modernen antituberkulotischen Chemotherapie führte naturgemäß zu einem deutlichen Rückgang der Tuberkulosehäufigkeit und dadurch auch zu einem Rückgang prophylaktischer Behandlungen.

Empfohlen wird die präventive Chemotherapie auch im neuen Tuberkulosebuch [[8]] im Kapitel Therapie der Tuberkulose von G. Siemon und R. Kropp, Seite 136 und zwar wird als Indikation eine längerfristige Kortikosteroidbehandlung in „überphysiologischer” Dosis genannt. Die aktuellen Empfehlungen des ATS von 2000 [[9]] zeigen das relative Risiko zur Entwicklung einer aktiven Tuberkulose bei wenigen klinischen Bedingungen an (siehe Tab. [1]). Anzumerken ist jedoch, dass eine Erhöhung des relativen Risikos nicht in jedem Fall eine prophylaktische oder präventive Chemotherapie bedingt! Ich kann mich in den letzten 20 Jahren nur auf 2 - 3 Patienten besinnen, bei denen ein Kausalzusammenhang zwischen der Kortison-Langzeittherapie bei Patienten mit Asthma bronchiale und der Tuberkuloseentwicklung für möglich gehalten wurde. Bei der Kortisontherapie der Sarkoidose ist mir ein derartiger Zusammenhang bisher nicht begegnet! Allerdings habe ich das gleichzeitige Auftreten beider Erkrankungen in einigen Fällen beobachtet. Hier wurde dann eine regelrechte antituberkulotische Therapie parallel zu einer Kortisontherapie erfolgreich durchgeführt. In letzter Zeit wurde aus Mexiko eine Fallkontrollstudie aus den Jahren 1987 bis 1992 publiziert [[10]]. Die Autoren folgern aus ihrer Studie, dass ein Nutzen für eine INH-Prophylaxe nur in Ländern mit hoher Tuberkuloseprävalenz besteht. Diese Studie schloss jedoch nur Patienten mit einer chronischen Rheumatoider Arthritis und Kortison-Langzeittherapie ein. In einem Review zum Thema Kortikosteroide und Tuberkulose kommen Senderovitz und Viskum [[11]] zum Schluss, dass aus neueren prospektiven randomisierten, plazebokontrollierten Studien kein sicherer Nutzen für eine präventive Therapie bei Patienten mit positivem Tuberkulintest bzw. früher durchgemachter Tuberkulose durch eine INH-Monotherapie zu sehen ist. Generell sind die Nebenwirkungen der langmonatigen INH-Therapie gegen den potenziellen Nutzen immer wieder zu bedenken. Die durchzuführenden Maßnahmen vor Beginn einer präventiven Chemotherapie/Chemoprophylaxe mit INH, wie sie von Bartmann bereits 1973 postuliert wurden, sind weiterhin aktuell und sinnvoll ([[12]], Tab. [2]).

Tab. 1Relative Risiko für die Entwicklung einer aktiven Tuberkulose klinische Bedingungen relatives Risiko (unabhängig vom Tuberkulinstatus) Silikose 30 Diabetes mellitus 2 - 4 chronische Nierenkrankheiten 10 - 25 Z. n. Gastrektomie 2 - 5 Organtransplantation - Niere - Herz 20 - 70

Tab. 2Maßnahmen vor Beginn einer Prävention (Chemotherapie/Chemoprophylaxe) mit INH Tuberkulintestung aktive Tuberkulose ausschließen anamnestisch vorausgegangene antituberkulotische Therapie ausschließen nach vorausgegangener Hepatopathie fahnden, ggf. Hepatitisserolgie durchführen INH nur für maximal 4 Wochen rezeptieren (Compliance!)

Literatur

Prof. Dr D Kirsten

Krankenhaus Großhansdorf Zentrum für Pneumologie und Thoraxchirurgie

Wöhrendamm 80 22927 Großhansdorf