Aktuelle Urol 2000; 31(4): 197-199
DOI: 10.1055/s-2000-4659
EDITORIAL
Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Antirefluxive Ureterimplantation in ausgeschaltete Darmsegmente - Rückblick und Zukunft

R. Hohenfellner, J. Leißner
  • Urologische Klinik der Johannes Gutenberg-Universität, Mainz
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
31. Dezember 2000 (online)

E. Brickers Statement [[1]]: „Das Ileum-Conduit bedeutet zugleich das Ende des Tunnels” erwies sich bei erwachsenen Patienten als richtig, führte aber bei Kindern zu den bekannt hohen und schweren Spätkomplikationen als Folge der refluxiven Harnleiterdarmanastomose. Auch beim orthotopen Blasenersatz ist der Trend zur refluxiven Ureterimplantation unübersehbar. Der Grund hierfür ist einleuchtend: das Obstruktionsrisiko der antirefluxiven Ureterimplantation ist höher als das der befürchteten, refluxbedingten Pyelonephritis. Diese empirisch gewonnene Erkenntnis steht am Ende einer langen Lernkurve und einer über ein halbes Jahrhundert andauernden, kontroversen Diskussion. Die Auseinandersetzung, die vorwiegend im persönlichen Gespräch stattfand und sich nur zu einem geringen Teil in den Publikationen widerspiegelt, ist eines der interessanten und lehrreichen Kapitel in der Geschichte der Harnableitung.

Erstmals lenkte A. Fritjofsson das allgemeine Interesse auf das Thema. Patienten nach einer tumorbedingten Resektion eines Ureterostiums zeigten - solange infektfrei - keine, durch den sterilen Reflux bedingte Verminderung der Nierenfunktion. Die gleiche Beobachtung wurde bei der Pyelovesikostomie nach Autotransplantation gemacht [[2]].

Während einer im Schnitt 15-jährigen Nachbeobachtungszeit von über 1000 refluxiven Ureterimplantationen bei Erwachsenen unterschiedlicher Indikationen zeigten die Patienten ebenfalls einen unproblematischen Verlauf, solange sie infektfrei blieben. Das refluxive Niederdruckreservoir ist, so das Resumee, bei Infektfreiheit ungefährlich. Diese Situation ändert sich jedoch, wenn zusätzliche Faktoren auf die Blase Einfluss nehmen. Dementsprechend relativieren potentielle Risiken, wie eine zunehmende infravesikale Obstruktion, eine Schwangerschaft mit Kapazitätsminderung der Blase und unspezifischen Harnwegsinfekten oder eine Nierentransplantation in eine kleinkapazitäre Blase, die refluxive Ureterimplantation. Obgleich diese Erkenntnisse auch auf großkapazitäre Niederdruckreservoire aus detubularisierten Darmanteilen übertragen werden könnten, besteht dennoch weiterhin die Forderung nach einer antirefluxiven Harnleiterimplantation bei der Harnableitung, und eine Vielzahl von Techniken steht hierfür zur Verfügung.

Für die ersten großen Serien des orthotopen Blasenersatzes mit ausgeschalteten, tubularisierten Dünndarmsegmenten [[3], [4]] in den fünfziger Jahren, war diese Forderung nachvollziehbar und das Verfahren von Le Duc [[5]] die logische Konsequenz. Im Vordergrund stand dabei der nephroprotektive Effekt der antirefluxiven Implantation bei zu dieser Zeit noch vergleichsweise kleinkapazitären Hochdruckreservoiren mit hoher Miktionsfrequenz.

Auch das detubularisierte, großkapazitäre Niederdruckreservoir von Kock mit kutanem Stoma [[6]] - später als Hemikock mit urethralem Anschluss von Ghoneim und Skinner als Verfahren der Wahl angewandt - hielt an diesem Prinzip fest. Trotz großer publizierter Serien erlangte jedoch der Hemikock weder in Europa noch in den USA die erwartete Popularität. Der hier für die antirefluxive Ureterimplantation entwickelte Nippel, der technisch gegenüber dem Le Duc wesentlich aufwendiger ist, wird lediglich im S-Pouch von F. Schreiter [[7]] weiterhin erfolgreich angewendet. Alle weiteren Modifikationen, wie die Camey II Neoblase [[8]] und VIP-Pouch [[9]], nutzten die technisch einfachere Le Duc'sche Implantationstechnik.

Als erster relativierte Studer das Prinzip der antirefluxiven Ureterimplantation. Bewusst wurde hierfür eine initial niedere Pouchkapazität zugunsten eines lediglich Reflux-dämpfenden, langen efferenten Segmentes in Kauf genommen [[10]]. Die kurzen Harnleiter verminderten das Obstruktionsrisiko ebenso wie die bewährte, direkte ureterointestinale Anastomose. Der zweit- bis drittgradige Reflux bei voller Pouchkapazität erwies sich als ungefährlich für die Nierenfunktion. Trotz exzellenter Langzeitergebnisse anderer Techniken, wie etwa der Ulmer Neoblase [[11]], setzte sich der Studer-Trend immer mehr durch und die früher so erfolgreiche Le Duc'sche Technik wurde nach und nach durch den „Mini-Studer”, mit getrennter Nesbit-Implantation der Ureteren auf je eines der „Hörner”, abgelöst.

Nahezu zeitgleich erfolgte auch in Mansoura (Ägypten) die Abkehr von dem Prinzip des Nippels. Ursächlich hierfür waren Komplikationen, wie das Ischämie-bedingte Nippelgleiten und Steinbildungen am getaperten Segment, die zunächst beim Harnleiterersatz durch ausgeschaltete Ileumsegmente auftraten und schwerwiegende Folgen hatten. Die getaperten, mit antirefluxivem Nippel an die Blase angeschlossene Dünndarmsegmente wurden daraufhin aufgegeben. Später stellten sich die geschilderten Komplikationen auch beim Hemikock ein, und der antirefluxive Nippel wurde durch die subseröse Implantationstechnik ersetzt [[12]].

Zunächst von Padua für den VIP-Pouch übernommen - um die Obstruktionsrate der Le Duc'schen Technik zu reduzieren - eignet sich diese Technik am Dünndarm nur für normale, nicht dilatierte Harnleiter, da der tunnelbildende Anteil der Dünndarmwand für dilatierte und wandverdickte Ureteren zu schmal ist. Für den Dickdarm hingegen ist die Technik uneingeschränkt anwendbar und für primär dilatierte Ureteren sowie Revisionsoperationen bereits etabliert. Vergleicht man jedoch die Ergebnisse des submukösen Tunnels am Dickdarm mit der subserösen Implantationstechnik bei normalkalibrigen Ureteren, ergeben sich keine Vorteile für eine dieser Techniken [[13]].

Die jüngste Modifikation der antirefluxiven Implantation in ausgeschaltete detubularisierte Dünndarmsegmente wurde beim sogenannten „T pouch” beschrieben [[14]]. Soweit derzeit erkennbar, wird dieser lediglich in den Kliniken von Ghoneim und Skinner routinemäßig durchgeführt, wobei Spätergebnisse dieser Technik noch fehlen. Verfolgt man den bisherigen Trend der Inkaufnahme des Refluxes bei Niederdruckreservoiren, so erscheint eine Trendwende zugunsten des „T pouches” fragwürdig. Die Methode ist technisch aufwendig und durch eine voraussichtliche lange Lernkurve belastet, außerdem ist die Bilharzia-bedingte Harnleiterdilatation in unseren Breiten ein eher seltenes Ereignis und die tumorbedingte Harnleiterdilatation meist Anlass für ein palliatives Ileum-Conduit.

Sucht man nach weiteren Gründen für den anhaltenden Studer-Trend, so liegen diese im operativen Training. Von der mit Abstand häufigsten Form der Harnableitung, dem Ileum-Conduit, bedarf es nur einer leicht erlernbaren Modifikation zur Anlage einer orthotopen Ileumersatzblase, die dabei auftretenden Komplikationen sind bekannt und abschätzbar.

Harnleiterobstruktionen, gleichartig ob sie nach der Le Duc'schen Technik, Nippelbildung, subseröser oder submuköser Implantation auftreten, sind keineswegs ausschließlich der Implantationstechnik anzulasten. Die skeletierende Harnleiterpräparation mit nachfolgender Ischämie, die Abknickung des Ureters bei der Überkreuzung von links nach rechts und retroperitoneale Fibrosen sind davon unabhängige Faktoren. Spontane Peristaltik und Urinejakulation sowie kapillär-arterielle Blutung aus dem Ureterstumpf sind makroskopisch erkennbare Voraussetzungen für eine gute Durchblutung und einen knickfreien Verlauf des Ureters. Dagegen sollte bei ausgeprägter „Blässe” des Harnleiters und lediglich venös blutenden Ureterstümpfen eine weitere Resektion bis in gut durchblutete Abschnitte vorgenommen werden. Diese Hinweise in der anschließend publizierten Arbeit sind ebenso wertvoll wie das Verfahren selbst.

Mit der publizierten Methode von D. Echtle und D. Frohneberg eröffnet sich für den orthotopen Ileumersatz der Harnblase eine einfache und nachvollziehbare Technik der Harnleiterdarmanastomose. Die Vorteile sind eine direkte und wasserdichte Implantation der spatulierten Ureteren unter Sicht mit der Vermeidung von submukösen Urinombildungen. Die dünne Darmhinterwand, mit der dem Goodwin'schen Verfahren [[15]] nachempfundenen Harnleiterdarmverbindung, erweist sich als ausgesprochen obstruktionsarm. Beide Harnleiter verlaufen dorsal und weitgehend physiologisch, lediglich der linke in einer leicht verlaufenden Kurve nach medial.

Brickers Statement, das Ileum-Conduit ist zugleich das Ende des Tunnels, trifft damit aller Voraussicht nach auch für den Blasenersatz mit Ileum zu, wenngleich es den Umweg über die verschiedenen „Tunnel-Techniken” bedurfte und ein halbes Jahrhundert in Anspruch nahm, um zu dieser Erkenntnis zu gelangen. Ausgenommen davon sind jedoch kindliche Harnableitungen, bei denen nach wie vor die antirefluxive Ureterimplantation der Standard ist.

Aus der grob nachgezeichneten Entwicklung der Harnableitung aus detubularisierten Dünndarmsegmenten ergeben sich eine Reihe von Lehren und Konsequenzen:

Neuentwickelte Verfahren haben die größte Aussicht auf weite Verbreitung und damit Popularität, wenn sie sich an bereits etablierten Techniken orientieren und den Ausbildungsstandard berücksichtigen. Reproduzierbare Modifikationen ohne das erhöhte Risiko einer langen Lernkurve und mit bekannten und beherrschbaren Komplikationen sind meist Eingriffe, die geringfügige Fehler in operationstechnischen Details verzeihen. Schwachpunkte eines Verfahrens werden dem, der es entwickelt hat, meist zu einem bereits frühen Zeitpunkt offenkundig. Beispielsweise vollzog sich die Abkehr von der Le Duc'schen Technik und dem getaperten Nippel schrittweise und trotz publizierter, guter Ergebnisse. Persönliche Erfahrungen und Mitteilungen nicht zuletzt von Le Duc selbst führten zu einer später in der Literatur nachvollziehbaren Trendwende. Negative Erfahrungen des Erstautors mit einem bestimmten Verfahren und Hinweise auf Komplikationen und Misserfolge sind wertvolle sog. Anschlusspublikationen, die den gleichen Stellenwert haben wie die Veröffentlichung der Originaltechnik.

Literatur

  • 1 Bricker E. Bladder substitution after pelvic evisceration.  Surg Clin North Am. 1950;  30 1511-1519
  • 2 Pettersson S, Brynger H, Henriksson C, Johansson S L, Nilson A E, Ranch T. Treatment of urethelial tumors of the upper urinary tract by nephroureterectomy, renal autotransplantation, and pyelocystostomy.  Cancer. 1984;  54 379-386
  • 3 Couvelaire R. Le reservoire ileal de substitution apres la cystectomie totale chez l'homme.  J d'Urol. 1951;  57 408-413
  • 4 Camey M, Le Duc A. L'entero-cystoplastie après cystoprostatectomie totale pour cancer vessie. Indications, technique operatoire, surveillance et resultat sur quatre-vingt ans.  Ann Uro. 1979;  13 114-118
  • 5 Le Duc A, Camay M, Teillac P. An original antireflux ureteroileal implantation technique: long term followup.  J Urol. 1987;  137 1156-1158
  • 6 Kock N G, Nilson A E, Nilsson L O, Norlen L J, Philipson B M. Urinary diversion via a continent ileal reservoir: clinical experience in 12 patients.  J Urol. 1982;  128 469-475
  • 7 Schreiter F, Noll F. Kock pouch and S bladder: 2 different ways of lower urinary tract reconstruction.  J Urol. 1989;  142 1197-2000
  • 8 Camey M, Botto H. The ileal neobladder: development and long-term experience, Camey I and II.  Scand J Urol Nephrol Suppl. 1992;  142 98-100
  • 9 Pagano F, Artibani W, Ligato P, Piazza R, Garbeglio A, Passerini G. Vesica Ileale Padovana: a technique for total bladder replacement.  Eur Urol. 1990;  17 149-154
  • 10 Studer U E, Casanova G A, Zingg E J. Bladder substitution with an ileal low-pressure reservoir.  Eur Urol. 1988;  14 Suppl 1 36-40
  • 11 Flohr P, Hefty R, Paiss T, Hautmann R. The ileal neobladder - updated experience with 306 patients.  World J Urol. 1996;  14 22-26
  • 12 Abol-Enein H, Ghoneim M A. A novel uretero-ileal reimplantation technique: The serous lined extramural tunnel. A preliminary report.  J Urol. 1994;  151 1193-1198
  • 13 Riedmiller H. personal communication
  • 14 Stein J P, Lieskovsky G, Ginsberg D A, Bochner B H, Skinner D G. The T pouch: an orthotopic ileal neobladder incorporating a serosal lined ileal antireflux technique.  J Urol. 1998;  159 1836-1842
  • 15 Goodwin W E, Harris A P, Kaufman J L. Open, transcolonic ureterointestinal anastomosis: a new approach.  Surg Gynecol Obstet. 1953;  97 295-301

Prof. em. Dr. med R Hohenfellner

Johannes Gutenberg Universität Langenbeckstr. 1 55131 Mainz

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