Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2000; 35(3): 129-130
DOI: 10.1055/s-2000-155
EDITORIAL
Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Katecholamine: Qual der Wahl

J. Boldt
  • Abteilung für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin, Klinikum der Stadt Ludwigshafen
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Publication Date:
31 December 2000 (online)

“It is now about ten years since I first began to use this medicine. Experience and cautious attention gradually taught me how to use it. For the last two years I have not had occasion to alter the modes of management; but I am still far from thinking them perfect.”

Withering 1795 über Digitalis

Kardiale Vorerkrankungen sind immer noch die wesentlichste Ursache der perioperativen Mortalität [1] [2]. Die Verbesserung der chirurgischen Verfahren und die Weiterentwicklung des perioperativen Managements haben zu einer Erweiterung der Operationsindikation auch auf früher „inoperable” Patienten geführt. Zudem hat die Überalterung der Bevölkerung die Zahl der Patienten mit kardialen Vorerkrankungen erheblich ansteigen lassen und innerhalb der letzten 10 Jahren zu einer Verdopplung der hospitalisierten Patienten mit diesem Krankheitsbild geführt. Kardiovaskuläre Komplikationen gehören zu den häufigsten Ursachen der perioperativen Mortalität beim alten Patienten [3]. Sie stellen mit 44 % die häufigste Todesursache bei den über 60jährigen - im Gegensatz zu ca. 33 % bei unter 60jährigen Patienten [4]. Kardiovaskuläre Vorerkrankungen sind bei über 60jährigen um mehr als das 5fache häufiger (ca. 83 %) als bei unter 60jährigen Patienten (ca. 16 %) [5]. Die Angaben bezüglich der Inzidenz der postoperativen Herzinsuffizienz bei nicht-herzchirurgischen Eingriffen variieren zwischen 0,2 % bis zu 7,0 %. Die Letalität dieses Ereignisses liegt mit 20 % und 40 % dabei immer noch erschreckend hoch. Somit ist die Therapie der (akuten oder chronischen) kardiozirkulatorischen Insuffizienz auch heute noch eine Herausforderung.

Die Katecholamintherapie stellt bei der Versorgung des Patienten mit „low output” Syndrom (LOS) immer noch einen Eckpfeiler dar. Ob „natürliches” Katecholamin (Adrenalin, Noradrenalin) oder „Designerdroge” (Dopamin, Dobutrex, Dopexamin), ob als Monotherapie oder als Kombinationstherapie - aus den pharmakologischen und pharmakodynamischen Grundlagen, den physiologischen Mechanismen und den daraus ableitbaren jeweiligen pathophysiologischen Veränderungen läßt sich ein differentialtherapeutisches Konzept bezüglich der Indikation der einzelnen Katecholamine ableiten. Beides haben Schütz et al [6] und Gauss et al. [7] mit ihren Übersichten trefflich verstanden.

Eine suffiziente Therapie der akuten Herzinsuffizienz mit LOS muß neben einer effektiven Steigerung der Inotropie und Senkung der Nachlast zwei weitere Kriterien mitberücksichtigen: Wirksamkeit auch bei verminderter Empfindlichkeit und Anzahl der beta-Rezeptoren („down”-Regulation, beta-Blocker-Therapie) sowie Wirksamkeit auch bei längerer Therapiedauer (fehlende Toleranzentwicklung). Katecholamine erfüllen diese Forderungen nur bedingt. Ihr Einsatz ist mit dem Risiko einer Zunahme der Herzfrequenz (HR), einer Nachlaststeigerung, Arrhythmie, Auftreten subendokardialer Ischämien, einer Verschlechterung der diastolischen Funktion sowie dem Risiko eine „down-Regulation” der beta-Rezeptoren verbunden. Spezielle Krankheitsbilder sind zudem mit der Entwicklung einer relativen Unwirksamkeit von Katecholaminen verbunden. In der Intensivmedizin ist hierbei besonders die Sepsis zu nennen, bei der es durch die Entwicklung einer septischen Kardiomyopathie zu einem Versagen der „Standard”-Katecholamintherapie kommen kann. Erschwerend kommt bei der Wahl des geeigneten Katecholamins in dieser Situation hinzu, daß neben einer kardialen Komponente der Krankheitsverlauf noch durch ein zirkulatorisches Geschehen kompliziert wird. Eine Monotherapie erscheint hierbei wenig geeignet, welches Katecholamin als Monotherapie oder in Kombination mit anderen Substanzen am besten geeignet ist bleibt umstritten [8] [9].

Bei aller Vielfalt der Therapie- und Kombinationsmöglichkeiten bei der Versorgung des kritisch kranken herzinsuffizienten Patienten bleibt eine Forderung für alle medikamentösen Manipulationen: keine Therapie ohne ausreichendes Monitoring. Die hochdosierte Zufuhr eines oder mehrerer Katecholamine in Kombination mit anderen vasoaktiven Substanzen kann nicht von dem altehrwürdigen „Hand-an-den-Puls”-Prinzip begleitet sein, sondern bedarf eines ausgedehnten (invasiven) Monitorings. Welches Überwachungsverfahren in dieser Situation am besten geeignet ist, kann z. Zt. nicht abschließend beantwortet werden. Herkömmliche Monitoring-Verfahren sind auf die Erfassung globaler systemischer hämodynamischer Kenngrößen beschränkt. Es hat sich jedoch gezeigt, daß sich trotz „ausreichendem” Blutdruck ein Multiorgan-Versagen entwickeln kann. Die „Blutdruck-Kosmetik” durch Zufuhr eines Vasopressors kann mit fatalen Folgen für lebenswichtige Organsysteme verbunden sein. Die Erfassung von Veränderungen der regionalen Organperfusion oder sogar der Gewebeperfusion in definierten Bereichen unter einem bestimmten Katecholamin-Regime ist ein wünschenswertes Ziel. Ob die Umwandlung des z. Zt. noch gängigen globalen Monitorings zu einem regionalen Monitoring (z. B. im Sinne einer „gut directed therapy”) zu einer Verbesserung der Patientenversorgung oder gar des „outcome” führt, muß zukünftigen Untersuchungen vorbehalten sein.

Die Medizin gerät immer mehr in den Bannkreis der Ökonomie. Jegliches therapeutisches Handeln erhält heutzutage einen betriebswirtschaftlichen Rahmen. Die Gabe „natürlicher” Katecholamine (Adrenalin/Noradrenalin) gehört zu den preisgünstigsten Therapiekonzepten überhaupt - synthetische Katecholamine sind dagegegen deutlich teurer (z. B. Dopexamin). Verglichen mit anderen Therapieformen wie die Gabe überflüssiger oder unsinniger Antibiotika gehört die hämodynamische Therapie jedoch zu den preiswerten Verfahren und sollte aufgrund der vitalen Konsequenzen für den Patienten nicht durch finanzielle Gesichtspunkte beeinflußt werden.

Die Innovationszyklen in der Medizin werden immer kürzer. Dies gilt für technische Weiterentwicklungen genauso wie für viele medikamentöse Therapieformen. Die kardiovaskuläre Akuttherapie ist dagegen seit vielen Jahren unverändert. Auch Substanzen wie Dopexamin und die Phosphodiesterase (PDE)-Hemmer stehen in zahlreichen Ländern bereits seit vielen Jahren zur Verfügung. Vielversprechende neue Produkte wie z. B. „calcium sensitizer” sind trotz zahlreicher experimenteller Ansätze noch nicht zur Therapie der Herzinsuffizienz zugelassen. Katecholamine sind zweifelsohne preiswerte Substanzen - selbst die neueren Substanzen wie Dopexamin oder die PDE-Hemmer sind im Vergleich zu anderen Neuentwicklungen (z. B. Immunomodulatoren, Antibiotika) preiswert. Es scheint so, als ob die Industrie bei den zu erwartenden geringen Umsätzen an einer Weiter- bzw. Neuentwicklung dieser Medikamentengattung kein allzu großes Interesse hat. Erinnert sei an die „Geschichte” des PDE-Hemmers Enoximon. In der Hoffung auf einen Milliarden-Markt mit großem Ehrgeiz für die Therapie der Herzinsuffizienz entwickelt und untersucht, nimmt die Substanz heute nur noch den Wert einer Nischensubstanz ein. Als es sich herausstellte, daß die orale (Langzeit)-Therapie mit Enoximon das Überleben des Herzinsuffizienten nicht positiv beeinflußte, zeigte der Hersteller wenig Interesse, die i.v. Applikationsform weiter zu untersuchen bzw. eine vorhandene Weiterentwicklung (Piroximon) voranzutreiben. Bei einem Medizin-Markt, der immer mehr von „global playern” beherrscht wird, hat eine Substanz mit wenigen Millionen DM Jahresumsatz scheinbar keine Existenzberechtigung mehr!

Unser Wissen über die Pathophysiologie der (akuten bzw. chronischen) Herzinsuffizienz hat sich den letzten Jahren wesentlich verbessert. Dank der zunehmenden Erkenntnisse auf dem Gebiet der Rezeptorforschung sind wir heute in der Lage, die Dynamik der Herzinsuffizienz zu erfassen sowie die Unterschiede der Herzinsuffizienz bei den einzelnen Krankheitsformen zu spezifizieren. Unter dem Begriff des „low output”-Syndroms verbirgt sich ein buntes Bild kardiozirkulatorischer Abnormalitäten. Bei der perioperativen Versorgung des kardialen Risikopatienten sind wir häufig mit dem diagnostischen Dilemma konfrontiert, daß wir zwar wissen, daß es dem Patienten schlecht geht, wir aber nicht die genaue Ursache hierfür kennen. Die „magic bullet” für die Therapie der Herzinsuffizienz kann und wird es nicht geben. Zu unterschiedlich sind die der Herzinsuffizienz zugrundeliegenden Krankheitsbilder: Vor-versus Rückwärtsversagen, Links-versus Rechtsherzinsuffizienz, systolisch versus diastolische Herzinsuffizienz, angeborene versus erworbene Herzinsuffizienz, akute oder akute exazerbierte Insuffizienz des chronisch Herzkranken, rein kardiales versus kombiniert kardio-zirkulatorisches Versagen. Da eine therapeutische Patentlösung für alle Patienten mit „low output”-Syndrom sicherlich nicht möglich ist, sollten alle Therapiemaßnahmen mit Hilfe einer adäquaten hämodynamischen Überwachung individualisiert und entsprechend angepaßt werden. Schemata wie sie in der Übersicht von Gauss et al [7] formuliert worden sind, mögen bei der Versorgung des kardialen Risikopatienten hilfreich sein. Quidquid agis prudenter agas et respice finem - dies gilt sicher oder vielmehr ganz besonders für die Wahl des „idealen” Katecholamins bei der Behandlung der kardiovaskulären Insuffizienz.

Literatur

  • 1 Ebeling B J, Beinlich I. Morbidität und Mortalität in der Anästhesie. Jahrbuch der Anästhesiologie und Intensivmedizin Biermann Verlag; 1993: 55-65
  • 2 Mangano D T. Perioperative cardiac morbidity.  Anesthesiology. 1990;  72 155-184
  • 3 Lauven P M, Krier C, Stoeckel H. Anästhesie und der geriatrische Patient.  Anästh Intensiv Notfallmed. 1989;  24 75-76
  • 4 Unertl K, Wroblewski H, Gükler S. Das Risiko in der Anästhesie.  MMW. 1985;  127 609-612
  • 5 Peter K, Welte M, Groh J. Der kardiale Risikopatient. Jahrbuch der Anästhesiologie und Intensivmedizin Biermann Verlag; 1991/1992: 13-24
  • 6 Schütz W, Anhäupl T, Gauss A. Grundsätze der Katecholamintherapie. Teil 1: Charakterisierung der therapeutisch bedeutsamen Sympathomimetika.  Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther. 2000;  35 67-81
  • 7 Gauss A, Anhäupl T, Schütz W. Grundsätze der Katecholamintherapie. Teil 2: Leitfaden der klinischen Anwendung.  Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther. 2000;  35 131-136
  • 8 Meier-Hellmann A, Bredle D L, Specht M, Hannemann L. Dopexamine increases splanchnic blood flow but decreases gastric mucosal pH in severe septic patients treated with dobutamine.  Crit Care Med. 1999;  27 2166-2171
  • 9 Müller M, Boldt J, Schindler E, Sticher J, Kelm Ch, Roth S, Hempelmann G. Effects of low dose dopexamine on splanchnic oxygenation during major abdominal surgery.  Crit Care Med. 1999;  27 2389-2393

Prof. Dr. Joachim Boldt

Abteilung für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin Klinikum der Stadt Ludwigshafen

Bremserstr. 79
67063 Ludwigshafen

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