Aktuelle Urol 2000; 31(3): 147-148
DOI: 10.1055/s-2000-1455
EDITORIAL
Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Hypospadie 2000

H. Riedmiller
  • Urologische Klinik und Poliklinik, Julius-Maximilians-Universität Würzburg
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Publication Date:
31 December 2000 (online)

Die kaum mehr überschaubare Zahl von Publikationen über ein ganzes Jahrhundert, die sich mit den verschiedenen Aspekten der Versorgung von Hypospadien befassen, zeigt das stete, ungebrochene Interesse an dieser vergleichsweise häufigen Fehlbildung, dokumentiert aber auch die unermüdliche und noch nicht abgeschlossene Suche nach der perfekten Hypospadiekorrektur.

Über die Jahrzehnte hinweg sind zahlreiche operative Techniken, noch mehr Modifikationen dieser Techniken und kaum mehr zählbare Variationen dieser Modifikationen beschrieben worden. Letztlich lässt sich jedoch die ungeheure Vielzahl der verschiedenen operativen Verfahren reduzieren auf einige wenige Grundprinzipien, die - wie zum Beispiel die Techniken von Thiersch und Duplay oder auch von Mathieu - bereits im letzten Jahrhundert beziehungsweise vor vielen Jahrzehnten publiziert wurden.

Verfeinerte Operationstechniken, die Verwendung feiner Nahtmaterialien wie auch wenig reaktiver Kathetermaterialien, der freizügige Einsatz von Antibiotika sowie die Nutzung von Vergrößerungshilfen wie Lupenbrille oder gar Operationsmikroskop haben die Ergebnisse der Hypospadiekorrekturen erheblich verbessert und diese Operationsverfahren zu sicheren und zuverlässigen Techniken gemacht. Die oft erhobene Forderung, dass die Versorgung distaler Hypospadien eine komplikationsbedingte Reoperationsquote von weniger als 5 % und die der proximalen Hypospadien eine Reoperationsquote von weniger als 15 % aufweisen sollte, erscheint angesichts der in ehrlichen Publikationen aufzufindenden Ergebnisse überzogen.

Ganz eindeutig ist der heutige Trend, die überwiegende Mehrzahl aller Hypospadien in einsitziger Technik zu korrigieren; lediglich für die sehr komplexen Formen, wie zum Beispiel perineale Hypospadien, oder im Falle mehrfach voroperierter, sogenannter „Hypospadie-Krüppel”, erscheinen zweisitzige Verfahren mit primärer Gliedaufrichtung und späterer Rekonstruktion der Urethra akzeptabel. Wurde noch vor einer Reihe von Jahren - unter Bezug auf die psychologischen Effekte der Genitalchirurgie auf die kindlichen Patienten - ein sehr früher Zeitpunkt zwischen dem 6. und 12. Lebensmonat als ideal zur Hypospadiekorrektur postuliert, so ist heute offensichtlich das „Timing” der Genitalrekonstruktion in die zweite Hälfte des 2. Lebensjahres verlagert. Kontrovers diskutiert wird der Nutzen einer Androgenstimulation in Vorbereitung zur operativen Korrektur. Die Gabe von HCG, vor allem vor der Versorgung proximaler Hypospadien, führt zu einer Zunahme der Penislänge vornehmlich proximal des hypospaden Meatus, reduziert den Schweregrad der Verkrümmung, steigert die Durchblutung und Dicke des proximalen Corpus spongiosum und erleichtert somit die operativen Schritte.

Die Frage, ob es eine universelle und einfache Technik, anwendbar auf alle Formen der Hypospadie, gäbe, muss definitiv und schlicht mit Nein beantwortet werden. Gleichwohl gibt es im Rahmen der operativen Korrektur aller verschiedenen Hypospadieformen gemeinsame Grundprinzipien.

Eine der wesentlichen Herausforderungen - vor allem bei der Korrektur der mehr proximalen Hypospadien - ist die Versorgung und Beseitigung der Gliedverkrümmung. Wurde früher die Durchtrennung der Urethralplatte empfohlen, die dann eine Konstruktion der Neourethra mittels Tubus erforderlich machte, so geht heute der Trend ganz eindeutig zum vollständigen Erhalt der Urethralplatte. Auch die 1994 von Mollard und Castagnola propagierte en bloc-Mobilisation der Urethralplatte samt begleitendem rudimentären Corpus spongiosum erscheint aufgrund des Risikos der Devaskularisierung sehr fragwürdig. Oft ist allein durch Lösen der Haut und der Tunica dartos bereits eine vollständige Begradigung möglich. Weiterführend erlaubt bei den meisten penilen Hypospadien - selbst bei manchen Fällen penoskrotaler Hypospadien - die vollständige Resektion der spongiösen und fibrösen Chorda lateral der intakt verbleibenden Urethralplatte samt daruntergelegenem Spongiosum die vollständige Aufrichtung. Besteht anschließend dennoch eine nennenswerte Restverkrümmung, so ist deren Ursache - eine extrem kurze Urethralplatte oder ein Missverhältnis zwischen dorsaler und ventraler Länge der Corpora cavernosa - zu klären. Im ersten Fall ist die Durchtrennung der Urethralplatte erforderlich, im zweiten gilt die dorsale Raffung der Corpora cavernosa in der Technik nach Nesbit oder auch in der Modifikation nach Schröder und Essed als ideale Lösung. Nur bei sehr schwerer persistierender Verkrümmung und gleichzeitig sehr kurzem Glied kann zur Vermeidung einer inakzeptablen Kürzung des Penis durch dorsale Plikation der Einsatz eines ventralen „dermal graft” erforderlich werden.

Decter hat - in Analogie zur bekannten Technik bei Epispadien - 1999 über gute Ergebnisse bei der Gliedaufrichtung durch Rotation der Corpora cavernosa in „split and roll technique” berichtet.

Im Vergleich zur tubulären Rekonstruktion der Neourethra bieten ganz offensichtlich die Verfahren mit „onlay flaps” deutliche Vorteile: die Fistelquote ist halb so hoch wie bei den „tubes”, die Reoperationsrate ist erheblich geringer und - last but not least ” sind in der Nachbeobachtung die Flowverhältnisse bei den in Onlay-Technik korrigierten Hypospanden besser als bei denen mit tubulärer Rekonstruktion.

Ganz wesentlicher technischer Aspekt bei beiden Verfahren - wie auch allen anderen Hypospadie-Korrekturen - ist die sorgfältige Deckung der rekonstruierten Urethra mit gut vaskularisiertem Subkutangewebe oder gar einem gut vaskularisierten Tunica vaginalis-flap.

Aus eben genannten Gründen ist die von Asopa 1971 und später auch von Duckett beschriebene Technik des „transverse preputial island-flap”, die ursprünglich weite Verbreitung gefunden hat, zunehmend Onlay-Techniken unter Nutzung gestielter, vaskularisierter Hautlappen gewichen. Alternativ dazu stehen - insbesondere bei Mangel an Präputialhaut - freie Grafts zur Bildung der Neourethra zur Verfügung. Nachteile der in den 80er Jahren weitverbreitet genutzten Blasenmukosa-Transplantate sind neben der deutlichen Schrumpfungstendenz vor allem die Probleme am Neomeatus, die zu einer signifikanten Reoperationsrate zwangen. Deutlich geeigneter erscheinen heute Mundschleimhauttransplantate, die aufgrund der fehlenden Schrumpfungstendenz in letztlich notwendiger Größe 1:1 entnommen werden können. Wesentliche weitere Vorteile der Mundschleimhaut vor allem im Vergleich zu peniler Haut sind das dicke Epithel, die dünne Lamina propria sowie die ausgezeichnete Gefäßversorgung des Transplantates.

Ist die Indikation zur Korrektur proximaler wie auch peniler Hypospadien eindeutig, so ist dies nicht uneingeschränkt auf die distalen Hypospadien übertragbar. Starke Argumente für die Korrektur milder Hypospadien sind der außerordentlich hohe Grad an Patientenzufriedenheit wie auch der hohe Anteil ambulant und vor allem einsitzig durchführbarer Verfahren. Zur Klärung der Frage, ob milde, distale Hypospadien wirklich einer Korrektur bedürfen, fehlen leider randomisierte nichtoperierte Kontrollgruppen. Bei dem heute gegebenen ausgeprägten Trend zur Versorgung auch milder Hypospadien müssen jedenfalls zuverlässige Verfahren mit hoher kosmetischer Akzeptanz seitens des Patienten eingesetzt werden.

Die anfangs der 80er Jahre bestehende Euphorie zugunsten des MAGPI-Verfahrens (meatoplasty and glanuloplasty) zur Versorgung glandulärer und koronarer Hypospadien ist aufgrund der ausgeprägten Retraktionstendenz des Meatus einer deutlichen Ernüchterung gewichen. Zweifelsfrei sind jedoch bei richtiger Indikationsstellung zu dieser Technik (mobile distale Urethra, fehlende Chorda) gute funktionelle und kosmetische Ergebnisse zu erzielen. Auch die von Arap 1984 beschriebene Modifikation wie auch die von Zaontz propagierte GAP (glans approximation procedure) zeitigen sehr gute Ergebnisse.

Mit der von Bevin 1917 und 1932 von Mathieu beschriebenen Technik eines proximal gestielt verbleibenden Hautlappens am Ventrum penis sind subkoronare und distal-penile Hypospadien exzellent zu versorgen, insbesondere geeignet ist diese Technik bei Vorliegen einer flachen Urethralgrube und einer flachen Glans. Der oft angeführte Nachteil eines querliegenden Neomeatus kann durch Anwendung der Modifikation nach Barcat gegebenenfalls mit tiefer Inzision der Glans in der Mittellinie perfekt umgangen werden. Mehrere Publikationen aus den letzten Jahren mit großen Patientenserien weisen bei sorgfältiger Erhaltung der Gefäßversorgung des Hautlappens, Vermeidung überlappender Nähte und einer suffizienten zweischichtigen Deckung exzellente Ergebnisse mit einer Reoperationsrate von weit unter 5 % auf.

Eine regelrechte Renaissance erlebt eines der ältesten zur Rekonstruktion der Harnröhre beschriebenen Verfahren: die 1869 von Thiersch zur Versorgung von Epispadien und 1880 von Duplay zur Harnröhrenrekonstruktion bei Hypospanden publizierte Technik ist in der TIP-Modifikation (tubularized incised plate) von Snodgrass die offensichtlich derzeit in den USA meistgeübte Technik zur Versorgung distaler Hypospadien. Die vertikale Inzision der Urethralplatte zur Gewährleistung eines spannungsfreien Verschlusses zum Rohr, wurde bereits 1989 von Rich im Zusammenhang mit der Mathieu-Technik propagiert und später von Snodgrass wieder aufgegriffen. Die mit dieser Technik erzielten Ergebnisse sind den Resultaten der Mathieu-Technik vergleichbar. Inwieweit die von vielen Nutzern dieser Technik berichtete wiederholte Kalibrierung des Neomeatus im Follow-up einen dilatierenden Effekt hat und zu den Ergebnissen beiträgt, mag dahingestellt sein.

Betrachtet man über die Jahrzehnte hinweg die Tendenzen im Rahmen von Hypospadiekorrekturen, so fällt zweifelsfrei das Festhalten an - beziehungsweise die Rückkehr zu - sehr traditionellen und lange bekannten Grundprinzipien auf. All die vielzähligen wellenweise publizierten Variationen und Modifikationen altbewährter Techniken müssen erst den Test der Zeit bestehen, bevor über ihre wirkliche Wertigkeit entschieden werden kann.

Erst die intraoperative Evaluierung des Patienten mit Kalibrierung der Harnröhre, Nachweis der Mobilität der Urethra, artifizieller Erektion sowie Kenntnis über das Ausmaß der Dysplasie des distalen Corpus spongiosum lässt die gegebene Situation klar beurteilen. Deshalb muss jeder Hypospadie-Operateur über eine breite Palette operativer Techniken verfügen, um im individuellen Fall das geeignete Verfahren wählen zu können.

H Riedmiller

Urologische Klinik und Poliklinik Julius-Maximilians-Universität

Würzburg

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