NOTARZT 2000; 16(1): 31-34
DOI: 10.1055/s-2000-11
SUPPLEMENT - REANIMATION 2000
Supplement - Reanimation 2000
Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Stellenwert der Simulation in der Reanimationsausbildung

H. Kuhnigk
  • Klinik für Anaesthesiologie der Universität Würzburg
    (Direktor: Prof. Dr. N. Roewer), Würzburg
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Publication Date:
31 December 2000 (online)

 

Die Reanimation gehört durch ihre Komplexität zu den forderndsten Aufgaben ärztlicher Tätigkeit. Die Schwierigkeit in der Verknüpfung von theoretischem Wissen, manuellen Fertigkeiten, Entscheidungsfindung, Teamkoordination und Zeitdruck spiegelt sich in der Vielzahl von Richtlinien und Empfehlungen zur Reanimation wider [1]. Das forciert die Suche nach neuen Wegen für eine verbesserte Reanimationsausbildung.

In der Anästhesiologie zeigen der rasante Anstieg der Zahl von Simulationszentren und die Einführung kostenintensiver „Full-Scale”-Simulatoren den wachsenden Stellenwert von Simulationstechniken in der Aus- und Fortbildung [2]. Diese Entwicklung erstreckt sich auch auf die Ausbildung im Bereich der Reanimation, obwohl hier bereits sehr früh Simulationstechniken wie Phantome und später PC-Bildschirmprogramme eingeführt wurden [3] [4]. Eine Ausbildung ohne Rückgriff auf Simulationstechniken ist allein durch das hohe Patientenrisiko während der Reanimation nicht vertretbar. Dazu kommt die Diskrepanz zwischen der Zahl der Auszubildenden und der Zahl der tatsächlichen Reanimationen.

Für den einzelnen Notarzt ist die Wahrscheinlichkeit einer Reanimation erstaunlich gering. In Helsinki [5] beträgt die Inzidenz präklinischer Kreislaufstillstände 79,8 pro 100 000 Einwohner pro Jahr, in Bonn [6] die Inzidenz präklinischer Reanimationen 48,3 auf 100 000 Einwohner pro Jahr. Ein Notarzt, der für 100 000 Einwohner ein Jahr lang jeden Tag acht Stunden zuständig wäre, führt damit 15 - 25 Reanimationen pro Jahr durch. Realistische Einsatzhäufigkeiten reduzieren diese rechnerische Zahl weiter auf unter fünf Reanimationen pro Jahr. Nach neuesten Zahlen beläuft sich in Bayern der Anteil der Reanimationen an einem Gesamtkollektiv von über 200 000 Notarzteinsätzen auf 3,7 % [7].

Die Reanimationen in praxi erfolgen in der Regel ohne Supervision. Eine Korrektur im Sinne einer Optimierung der Umsetzung allgemein akzeptierter Empfehlungen ist dadurch nicht möglich und durch die geringe Zahl der Reanimationen ein Trainingsdefizit sogar wahrscheinlich.

Kaye [8] untersuchte 1986 aktuelle Reanimationskenntnisse bei Ärzten, Krankenschwestern und Laien jeweils 4 - 12 Monate nach einem standardisierten Reanimationstraining ohne folgende Auffrischungskurse. In seiner Studie entsprachen die Leistungen von Ärzten und Schwestern denen von Laien. Inzwischen sind leider ohne durchschlagenden Erfolg erhebliche Anstrengungen unternommen worden, bessere Ergebnisse zu erzielen.

Eine kanadische Studie [9] bei klinisch tätigen Anästhesisten, die durch ihre Ausbildung über erweiterte Kenntnisse in der Reanimation verfügen sollten, zeigte die Problematik erst kürzlich. Während einer simulierten Operation, die sich von realen Bedingungen nur durch den Einsatz eines „Full-Scale”-Simulators als „künstlichen Patienten” unterschied, trat nach einer Stunde unerwartet ein Kammerflimmern auf. Es sollte vom Anästhesisten in der ihm vertrauten Weise, in Kanada den „advanced cardiac life support” (ACLS)-Richtlinien, behandelt werden. 9 % der Anästhesisten erfüllten die ACLS-Richtlinien vollständig, 30 % zeigten kleinere Abweichungen wie inadäquate Energielevels bei der Defibrillation oder Abweichungen bei den Medikamentendosierungen. 61 % zeigten große Abweichungen wie fehlende Adrenalingabe, keine Defibrillation oder Fortführen der Operation trotz Reanimationspflichtigkeit.

Diese Ergebnisse legen nahe, dass vorhandene Richtlinien in der Praxis nur schwer umzusetzen und die Zahl der Reanimationen für eine entsprechende Routine zu gering sind. Bisherige Techniken zur Vermittlung von Reanimationsfertigkeiten greifen offensichtlich nur unzureichend.

Leitlinien sollen ein standardisiertes Vorgehen für Anwender unterschiedlichen Erfahrungsstandes unter Einschluss aller Therapieoptionen auch in speziellen Situationen ermöglichen. Die dabei zu integrierenden Schritte sind umfangreich und stellen selbst im umschriebenen Bereich der Reanimation hohe Anforderungen an den Ausführenden. Als Beispiel seien die potenziell reversiblen Ursachen für einen Kreislaufstillstand aus den Leitlinien des European Resuscitation Council [10] genannt: Oxigenierung, Einschätzung des Volumenstatus, Elektrolythaushalt, Temperaturhomöostase als diagnostische Probleme, Thoraxdrainage, Perikardpunktion sowie Lysetherapie als invasive Therapieprinzipien oder das Wissen um Medikamenteninteraktionen. Zusätzlich sprechen die Empfehlungen in dieser Rubrik technische Schwierigkeiten, Atemwegsmanagement, venöse Zugänge, eine differenzierte Pharmakotherapie sowie Schrittmachertherapie an. Eine immer und in jedem Fall optimale Umsetzung all dieser Punkte in der Praxis erscheint schwierig. Diese Problematik wird auch von den Autoren erkannt und in dem Satz „Resuscitation practice remains as much an art as a science” (Reanimation bleibt sowohl eine Kunst als auch eine Wissenschaft) zum Ausdruck gebracht. Damit werden aber auch die Ziele für eine optimierte Aus- und Weiterbildung in der Reanimation deutlich.

Die Ausbildung in der Reanimation muss sich weiterentwickeln und kann sich nicht nur auf das korrekte Durchführen von Basismaßnahmen, Defibrillation und regelmäßige Adrenalingabe beschränken. Dazu ist ein koordinierter Ablauf mit eindeutiger Aufgabenverteilung im gesamten Reanimationsteam, um Zeitverluste zu verhindern, Voraussetzung. Dosierungen und Wirkungen während der Reanimation eingesetzter Medikamente sollten auch unter psychischer Anspannung bekannt sein und Reaktionen auf schnelle und unerwartete Zustandsänderungen des Patienten müssen zur Routine werden. Diagnostische und therapeutische Verfahren werden in den Reanimationsablauf integriert, um nach Beendigung der unmittelbaren Reanimationsmaßnahmen eine fortdauernde Stabilisierung in der Postreanimationsphase erzielen zu können.

Simulation im Sinne eines exakten Abbilds und funktionalen Modells der Realität ermöglicht ein umfassendes Training ohne Patientengefährdung. Während eines simulierten Kreislaufstillstands können Therapieoptionen ausprobiert, abgeändert oder erneut durchgeführt werden. Die Koordination sämtlicher Maßnahmen imTeam kann trainiert werden.

Ein solches Konzept für die Reanimationsausbildung wurde bereits Mitte der 80er Jahre durch den Einsatz des Mega-Code-Trainings angestrebt [3]. Allerdings lag dabei der Schwerpunkt auf dem Erlernen von Einzelmaßnahmen wie Intubation, Herzdruckmassage, Arrhythmierkennung und Defibrillation. Die Einbeziehung von Medikamentenwirkungen oder das Teammanagement war zu diesem Zeitpunkt noch nicht integriert. Dennoch ist bereits damit ein positiver Effekt erkennbar. Schneider [11] führte bei Notärzten ein Mega-Code-Trai-ning mit acht Stunden Dauer durch und untersuchte den Effekt bei der Behandlung von Kreislaufstillständen. Nach dem Mega-Code-Training erfolgte die Intubation im Schnitt 1,1 min und die Adrenalingabe 1,3 min früher.

Realitätsnahe Simulationen wie das Mega-Code-Training sind allerdings zeit-, personal- und kostenintensiv, da neben einem umfangreichen Equipment ein qualifizierter Instruktor vorhanden sein muss.

Als Vorbereitung für diesen Praxisteil können PC-Bildschirmprogramme dienen. Schwid [4] verglich die Ergebnisse in einer standardisierten Mega-Code-Prüfung bei der Behandlung von supraventrikulärer Tachykardie, AV-Block II° und Kammerflimmern von zehn Anästhesisten nach Vorarbeit mit einem Lehrbuch oder einem PC-Bildschirmprogramm. Nach der Vorbereitung mit dem PC-Programm zeigten sich signifikant bessere Ergebnisse in einer Punktebewertung durch hinsichtlich des Schulungsmodus geblindete Instruktoren.

Als weitergehende Komponente bietet sich der Einsatz von „Full-Scale”-Simulatoren nach einem absolvierten Mega-Code-Training an. Schwerpunkt sind dabei die Lösung von Teamproblemen wie z. B. Kommunikation untereinander, Aufgabenverteilung, Arbeiten unter Zeitdruck und Erfolgszwang. Hier ist es Trainingsziel, bei einem kritischen Patienten durch aktives und optimales Handeln eine Reanimationssituation noch abzuwenden oder nach Wiedereinsetzen einer spontanen Rezirkulation nach Reanimation diese aufrecht zu erhalten.

Für die zukünftige Praxis der Ausbildung bietet sich damit ein Stufenkonzept an. Am Anfang stehen Aufgabentrainer für Einzelaufgaben wie Basismaßnahmen oder Intubation. Den zweiten Schritt stellen PC-Simulationen dar, die EKG-Analyse oder das Abwägen von Indikationen ermöglichen. Nach dem Zusammenführen von Einzelmaßnahmen und Teamtraining mittels Mega-Code-Training bildet ein Reanimationstraining mit einem „Full-Scale”-Simulator den Abschluss.

Neben der Vermittlung von Basiswissen und dem Training von Algorithmen ist die Anwendung von Simulationstechniken ein mögliches Instrument zur Vermittlung von Expertenwissen, da neben der Anwendung theoretischen Wissens und einzelner Fertigkeiten auch die komplette Umsetzung in praktische Maßnahmen möglich wird. Die Simulationstechnik unterliegt gegenwärtig einer rasanten Weiterentwicklung und Perfektionierung. Wegen der erreichten Realitätsnähe und dem fehlenden Patientenrisiko sind sie aus der Reanimationsausbildung schon jetzt nicht mehr wegzudenken. Die Entwicklung innovativer Ausbildungskonzeptionen und sich abzeichnende Möglichkeiten für Forschung steigern ihren Stellenwert in der Reanimationsausbildung zusehens.

Literatur

  • 1 Weißmann A, Sefrin P. Kardiopulmonale Reanimation 2000 - Eine Gegenüberstellung aktueller Richtlinien.  Der Notarzt. 2000;  16 16-22
  • 2 Roewer N, Kuhnigk H. Anästhesiesimulation - Konsequenz technologischen Wandels.  Anaesthesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther. 1998;  33 697-698
  • 3 Kaye W, Mancini M E, Rallis S F. Advanced cardiac life support refresher course using standardized objective-based Mega code testing.  Crit Care Med. 1987;  15 55-60
  • 4 Schwid H A, Rooke G A, Ross B K, Sivarajan M. Use of a computerized advanced cardiac life support simulator improves retention of advanced cardiac life support guidelines better than a textbook review.  Crit Care Med. 1999;  27 821-824
  • 5 Kuisma M, Maatta T. Out-of-hospital cardiac arrests in Helsinki: Utstein style reporting.  Heart. 1996;  76 18-23
  • 6 Fischer M, Fischer N J, Schüttler J. One-year survival after out-of-hospital cardiac arrest in Bonn city: outcome report according to the „Utstein style”.  Resuscitation. 1997;  33 233-243
  • 7 Sefrin P, Brandt M. Reanimation im Rettungsdienst in Bayern.  Der Notarzt. 2000;  16 14-15
  • 8 Kaye W, Mancini M E. Retention of cardiopulmonary resuscitation skills by physicians, registered nurses, and the general public.  Crit Care Med. 1986;  14 620-622
  • 9 Kurrek M M, Devitt J H, Cohen M. Cardiac arrest in the OR: how are our ACLS skills?.  Can J Anaesth. 1998;  45 130-132
  • 10 Robertson C, Steen P, Adgey J, Bossaert L, Carli P, Chamberlain D, Dick W, Ekstrom L, Hapnes S A, Holmberg S, Juchems R, Kette F, Koster R, de Latorre F J, Lindner K, Perales N. The 1998 European Resuscitation Council guidelines for adult advanced life support: A statement from the Working Group on Advanced Life Support, and approved by the executive committee.  Resuscitation. 1998;  37 81-90
  • 11 Schneider T, Mauer D, Diehl P, Eberle B, Dick W. Does standardized mega-code training improve the quality of pre-hospital advanced cardiac life support (ACLS)?.  Resuscitation. 1995;  29 129-134

Dr. med. H. Kuhnigk

Klinik für Anaesthesiologie der Universität Würzburg

Josef-Schneider-Straße 2

97080 Würzburg

Email: E-mail: hkuhnigk@anaesthesie.uni-wuerzburg.de

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