NOTARZT 1999; 15(5): 105-110
DOI: 10.1055/s-1999-9102
ORIGINALIA
Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Bedeutung der präklinischen Fehleinschätzung des Verletzungsausmaßes für die Prognose von polytraumatisierten Patienten

Impact of Incorrect Preclinical Injury Severity Assessment for the Prognosis of Polytrauma PatientsR. Simon1 , J. Schmidt1 , U. Göhring1,2 , T. Fritz1,2 , T. J. Meeder1,2
  • 1Chirurgische Universitätsklinik, Heidelberg
  • 2Sektion Unfall- und Wiederherstellungschirurgie, Heidelberg
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Publication Date:
31 December 1999 (online)

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Zusammenfassung

Im Zeitraum von 1988 - 1993 wurden durch das Notarzteinsatzfahrzeug Heidelberg-10 insgesamt 501 schwerverletzte und polytraumatisierte Patienten versorgt. Von diesen wurden 188 Patienten analysiert, wovon 42 Patienten klinische Spätkomplikationen entwickelten. In der vorliegenden Studie wurden die präklinischen Diagnosen des Notarz-tes bei Patienten mit und ohne Komplikationen mit den tatsächlichen klinischen Diagnosen verglichen. Patienten mit späteren Komplikationen waren bei Ankunft bezüglich der Vigilanz (Koma-Index 11,4 ± 0,7 vs. 12,4 ± 0,7), des systolischen Blutdrucks (121 ± 5 vs. 117 ± 3 mmHg) und Herzfrequenz (98 ± 5 vs. 90 ± 2/min) den Patienten ohne Komplikationen vergleichbar. Die weitere Analyse ergab jedoch, daß Patienten mit Spätkomplikationen weitaus häufiger nachintubiert werden mußten (21,4 vs. 8,9 %). Darüber hinaus zeigte sich, daß in der Gruppe ohne Komplikationen bis auf Verletzungen des Beckens und der oberen Extremität erheblich mehr Verletzungen diagnostiziert wurden, als tatsächlich vorhanden waren (9,6 - 37,7 %). Im Gegensatz dazu war ein umgekehrter Trend bei den übersehenen Verletzungen zu beobachten. Hier wurden in der Gruppe mit Komplikationen durchweg mehr Diagnosen nicht erkannt als in der Gruppe ohne Komplikationen. So wurden Schädel-Hirn-Traumen (8,5mal), Beckenverletzungen (3mal), Wirbelsäulenverletzungen (2,5mal) sowie Thoraxtraumen und Verletzungen der oberen Extremität doppelt so häufig am Unfallort nicht erkannt. Aus den genannten Ergebnissen ist zu folgern, daß das besondere Augenmerk des Notarztes am Unfallort auch dann auf Kopf- und Rumpfverletzungen zu richten ist, wenn Koma-Index und Hämodynamik noch nicht richtungweisend sind. In unsicher gelagerten Fällen sollte sich der Notarzt für eine primäre Intubation und Beatmung entscheiden.

During the period between 1988 - 1993 a total number of 501 polytraumatized patients were treated by the mobile emergency service in Heidelberg. Of 188 fully documented patients 42 developed clinical complications. In the present study the preclinical diagnosis made by the treating physician at the scene of the accident was compared with the definitive clinical diagnosis. Most of the patients were initially responsive and had normal blood pressure and heart rate. However, subsequent analysis revealed that clinical complications occurred more frequently in patients where intubation and mechanical ventilation became necessary in the emergency room. In the group without complications injuries were usually overdiagnosed. In contrast, in the patient group with later complications (> 72 hrs after trauma) serious injuries of the head, chest, abdomen and pelvis were more frequently not recognized. We conclude that the attention of the emergency physician should be directed towards the possibility of serious head and body injuries even if arterial pressure, heart rate and vigilance are still normal. In all uncertain cases primary intubation should be performed.

Literatur

Dr. med. Priv.-Doz. Jan Schmidt

Chirurgische Universitätsklinik Heidelberg

Im Neuenheimer Feld 110

D-69120 Heidelberg