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DOI: 10.1055/s-1999-10681-2
Editorial
Publication History
Publication Date:
28 April 2004 (online)
Deutschland ist ein Jodmangelland. Schilddrüsen Erwachsener im „jodhaltigen” Schweden haben etwa die halbe Größe und das halbe Gewicht der Schilddrüsen erwachsener Deutscher. In Deutschland besteht ein deutliches Nord-Süd-Gefälle, etwa 7 - 8 % der Bevölkerung in Schleswig-Holstein, aber etwa 33 % der Bayern haben einen Kropf. In Nordrhein-Westfalen liegt die Häufigkeit der Schilddrüsenerkrankungen bei etwa 15 % der Bevölkerung, also etwa 2,5 Millionen Menschen. Strumarevisionen gehören daher mittlerweile zu den häufigsten chirurgischen Eingriffen. Sie sind häufiger als Operationen der Leistenhernie.
Im Regelfall wird mit dem Begriff „Struma” eine Überfunktion gleichgesetzt. Dabei sind Hypothyreosen wahrscheinlich gar nicht so selten. Nach amerikanischen Zahlen haben etwa 1 % der Bevölkerung eine Hypothyreose, in Deutschland rechnet man mit etwa 2 % der Bevölkerung, die als hypothyreot eingestuft werden müßten. Bei dieser doch hohen Inzidenz ist verwunderlich, warum uns die Hypothyreose wenig Probleme bereitet. Die subklinische Form der Hypothyreose wird normalerweise, im Rahmen der praeoperativen Risikoeinstufung als ASA I oder ASA II eingestuft, da die Symptome Kälteintoleranz, Verstopfung und/oder leichte Ermüdbarkeit nicht als anaesthesiologisch relevant eingestuft werden. Anders ist dies bei der manifesten Hypothyreose bis hin zum myxoedemen Koma. Dies sind Patienten, die einer extremen anaesthesiologischen und meist auch intensivmedizinischen Betreuung bedürfen. Sie bieten erhebliche Probleme von seiten des Herzens und des Kreislaufs, sie sind meist coronar herzkrank, (grenzwertig) herzinsuffizient und hyperton. Auf Grund der Amyloidablagerungen und der Oedembildung haben wir häufiger als bei euthyreoten Patienten Intubationsschwierigkeiten und hypotensive Phasen nach der Anaesthesieeinleitung. Die Aufwachphase ist häufig verlangsamt, die Patienten werden schwer wach und reagieren verstärkt auf Überhang von Opiaten oder Muskelrelaxantien. Es empfiehlt sich daher sicherlich eine längere Überwachung im Aufwachraum oder noch besser in einer Intensivüberwachungseinheit. Eine Besonderheit hypothyreoter Patienten verdient besondere Beachtung. Aufgrund ihrer reduzierten Stoffwechsellage erkennt man bei diesen Patienten eine Infektion nicht am Fieber, auf andere Infektionszeichen ist daher besonders zu achten.
Etwa 15mal häufiger als die Hypothyreose ist der Fall der Hyperthyreose. Wichtig erscheint hier, daß hyperthyreote Patienten großzügig praemediziert werden, um Tachycardien oder hypertone Phasen möglichst zu vermeiden. Ein besonderes Problem bilden Patienten in der thyreotoxischen Krise bzw. hyperthyreote Patienten, die nicht zufriedenstellend medikamentös euthyreot eingestellt werden können. Bis vor kurzem ging man davon aus, daß durch die chirurgische Manipulation Schilddrüsenhormone freigesetzt werden und möglicherweise der Patient - vergleichbar der Manipulation an der Nebenniere bei der Phäochromozytom-Operation - gefährdet wird. Nach neueren Erkenntnissen kann man jedoch davon ausgehen, daß eine solche Freisetzung von Schilddrüsenhormonen nicht zu beobachten ist. Die Narkoseführung der Hyperthyreose wird in der Arbeit von A. Röper u. Mitarb. (dieses Heft) beschrieben. Eines ist jedoch auch hier schon festzuhalten: Prinzipiell sind alle Anaesthesieverfahren möglich. Wichtiger als die spezielle Anaesthesietechnik erscheint die Kenntnis der Pathophysiologie der Erkrankung, die Besonderheiten der perioperativen Therapie und der gut ausgebildete Anaesthesist.
Patienten in medikamentös eingestellter euthyreoter Stoffwechsellage, die zur elektiven Operation der Struma (oder anderer Art) anstehen, können anaesthesiologisch wie jeder Patient der entsprechenden Risikoklasse behandelt werden. Bei einer großen Struma sollte sich der Anaesthesist jedoch auf Intubationsschwierigkeiten einstellen.
Ob vor der elektiven Chirurgie prinzipiell eine Euthyreose zwingend vorgeschrieben werden muß, läßt sich zur Zeit nicht sicher beantworten. Patienten mit einer leichten Erhöhung der strumaspezifischen Laborwerte ohne entsprechende klinische Zeichen wie z. B. Tachycardie können den bisherigen Erfahrungen nach jedoch wie euthyreote Patienten behandelt werden. Hyperthyreote Patienten mit deutlichen Symptomen der Schilddrüsenüberfunktion, oder sogar Patienten die in der hyperthyreoten Krise operiert werden müssen, sollten jedoch unter großzügiger Indikationsstellung postoperativ intensiv überwacht werden.
Dr. Prof. Dr. P. M. Lauven
Klinik für Anästhesiologie und operative Intensivmedizin
Städt. Kliniken Bielefeld-Mitte gemGmbH
Teutoburger Str. 50
D-33604 Bielefeld