Gesundheitswesen 2025; 87(S 01): S154-S155
DOI: 10.1055/s-0045-1802216
Abstracts │ BVÖGD, BZÖG, DGÖG, LGL
03.04.2025
Postersitzung Infektionsschutz
13:30 – 15:00

Aufhebung der COVID-19-assoziierten nicht-pharmazeutischen Interventionen: mögliche Auswirkungen auf die Meldungen von Mensch zu Mensch übertragener Infektionskrankheiten im Jahr 2022 in Bayern, Deutschland

J Hausmann
1   Institut für Medizinische Informationsverarbeitung, Biometrie und Epidemiologie – IBE, LMU München
2   Pettenkofer School of Public Health, München
3   Bayerisches Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL), München
,
A Dörre
4   Abteilung für Infektionsepidemiologie, Postgraduiertenausbildung für angewandte Epidemiologie (PAE), Robert Koch-Institut, Berlin
,
K Katz
3   Bayerisches Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL), München
,
S van de Berg
3   Bayerisches Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL), München
› Author Affiliations
 

Hintergrund: Die COVID-19-Pandemie und die zur Eindämmung des Infektionsgeschehens erlassenen nicht-pharmazeutischen Interventionen (NPI) haben weltweit zu einem erheblichen Rückgang der Fallzahlen verschiedener Infektionskrankheiten geführt. Mit der schrittweisen Aufhebung der NPIs wurden wieder vermehrt Atemwegs- und Magen-Darm-Erkrankungen gemeldet, teils außerhalb der üblichen Saisonalität. Dies ließ die Hypothese eines möglichen Nachholeffekts bei Infektionskrankheiten aufkommen.

Wir analysierten die Surveillancedaten, die gemäß Infektionsschutzgesetz an das Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) und Robert Koch-Institut (RKI) übermittelt wurden, um die potenziellen Auswirkungen der Aufhebung der COVID-19-assoziierten NPIs auf die Meldungen ausgewählter Infektionskrankheiten in Bayern im Jahr 2022 zu bewerten.

Methoden: Wir verglichen die Meldezahlen für Influenza, Windpocken, Norovirus-Gastroenteritis und Rotavirus-Gastroenteritis pro Meldewoche in einem Zeitraum vor der Pandemie (2016-2019) mit denen im Jahr 2022. Dazu nutzten wir zwei verschiedene Modelle der Zeitreihenanalyse (time series analysis): i) ein Vorhersagemodell (predictive model), welches die Fallzahlen pro Meldewoche für die Pandemiejahre 2020-2022, auf Basis der Daten aus den Jahren 2016-2019 prognostiziert, ii) ein unterbrochenes Zeitreihenmodell (interrupted time series model), basierend auf Daten aus den Jahren 2016-2022, welches einen Regressionsterm für Pandemieperioden enthält.

Ergebnisse: Für das Jahr 2022 wurde ein Anstieg der Inzidenzraten (incidence rate) im Vergleich zum Zeitraum vor der Pandemie für Influenza (incidence rate ratio [IRR] =3,47, 95%CI: 1,49-7,94) und Rotavirus-Gastroenteritis (IRR=1,36, 95%CI: 0,95-1,93) beobachtet, wenn auch nicht signifikant für Rotavirus-Gastroenteritis. Im Gegensatz dazu wurden niedrigere Inzidenzraten für Windpocken (IRR=0,52, 95%CI: 0,41-0,65) und Norovirus-Gastroenteritis (IRR=0,59, 95%CI: 0,42-0,82) beobachtet. Ein verändertes saisonales Muster zeigte sich vor allem bei der Influenza, und zwar in Form einer früheren Influenzawelle verglichen mit den vorpandemischen Jahren.

Schlussfolgerung: Zusammenfassend beobachteten wir für die ausgewählten Krankheiten unterschiedliche Entwicklungen im Infektionsgeschehen. Unsere Ergebnisse bestätigen dabei nur teilweise einen Nachholeffekt bei den untersuchten Infektionskrankheiten im Jahr 2022 nach schrittweiser Aufhebung der NPIs.

Unsere Studie trägt zum Verständnis der Epidemiologie ausgewählter Infektionskrankheiten in Folge der COVID-19-Pandemie bei. Ein umfassendes Bild der Auswirkungen der Pandemie sowie der Aufhebung der NPIs wird sich möglicherweise erst bei fortgesetztem Monitoring (auch anderer Datenquellen) und der Bewertung potenzieller zusätzlicher Einflussfaktoren zeigen.

Die Arbeit ist publiziert unter: Front Public Health. 2024 Jul 31;12:1437485. doi: 10.3389/fpubh.2024.1437485.



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Article published online:
11 March 2025

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