Gesundheitswesen 2025; 87(S 01): S71
DOI: 10.1055/s-0045-1802032
Abstracts │ BVÖGD, BZÖG, DGÖG, LGL
03.04.2025
Potenzial der Abwasseruntersuchung für den Bereich der Öffentlichen Gesundheit
08:30 – 10:30

Abwasserbasierte Surveillance als ergänzende Strategie zur Überwachung von Krankheitserregern

P-L Plaumann
1   Bayerisches Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL), Sachgebiet Hygiene, Oberschleißheim/Erlangen, Bayern
,
A Bschorer
1   Bayerisches Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL), Sachgebiet Hygiene, Oberschleißheim/Erlangen, Bayern
,
M Hohl
1   Bayerisches Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL), Sachgebiet Hygiene, Oberschleißheim/Erlangen, Bayern
,
K Springer
1   Bayerisches Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL), Sachgebiet Hygiene, Oberschleißheim/Erlangen, Bayern
,
T Ziegler
1   Bayerisches Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL), Sachgebiet Hygiene, Oberschleißheim/Erlangen, Bayern
,
N Ackermann
2   Bayerisches Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL), Public Health Mikrobiologie, Oberschleißheim, Bayern
,
C Berger
2   Bayerisches Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL), Public Health Mikrobiologie, Oberschleißheim, Bayern
,
A Dangel
2   Bayerisches Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL), Public Health Mikrobiologie, Oberschleißheim, Bayern
,
A Sing
2   Bayerisches Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL), Public Health Mikrobiologie, Oberschleißheim, Bayern
,
L Weise
2   Bayerisches Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL), Public Health Mikrobiologie, Oberschleißheim, Bayern
,
J E Drewes
3   Technische Universität München, Lehrstuhl für Siedlungswasserwirtschaft, Garching, Bayern
,
A Uchaikina
3   Technische Universität München, Lehrstuhl für Siedlungswasserwirtschaft, Garching, Bayern
,
C Wurzbacher
3   Technische Universität München, Lehrstuhl für Siedlungswasserwirtschaft, Garching, Bayern
,
H Blum
4   Genzentrum der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU), München
,
A Graf
4   Genzentrum der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU), München
,
S Krebs
4   Genzentrum der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU), München
,
Oliver T Keppler
5   Max von Pettenkofer-Institut, Ludwig-Maximilians-Universität (LMU), München
,
M Münchhoff
5   Max von Pettenkofer-Institut, Ludwig-Maximilians-Universität (LMU), München
,
M Obradovic
5   Max von Pettenkofer-Institut, Ludwig-Maximilians-Universität (LMU), München
,
S Huber
1   Bayerisches Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL), Sachgebiet Hygiene, Oberschleißheim/Erlangen, Bayern
,
P Dudler
1   Bayerisches Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL), Sachgebiet Hygiene, Oberschleißheim/Erlangen, Bayern
› Author Affiliations
 

Infolge der globalen Verbreitung des Coronavirus (SARS-CoV-2) hat sich das Abwassermonitoring als eine wirkungsvolle Methode zur Überwachung der Ausbreitung von Krankheitserregern etabliert. Bereits im Jahr 2022 wurde das bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) beauftragt, das Abwassermonitoring in Bayern zu koordinieren und zu harmonisieren. Seitdem wurde ein Netzwerk aus insgesamt 30 Beprobungsstandorten aufgebaut, an denen zweimal wöchentlich Abwasserproben entnommen werden, um eine kontinuierliche Überwachung zu gewährleisten. Seit 2024 werden diese Proben zusätzlich zu SARS-CoV-2 auf Influenza A- und Influenza B-Viren sowie das Respiratorische Synzytialvirus (RSV) untersucht. Des Weiteren werden im Rahmen der Abwassersurveillance auch mikrobiologische Fragestellungen adressiert, wobei ein besonderes Interesse der Verbreitung multiresistenter Bakterien oder sonstiger klinisch relevanter bakterieller Krankheitserreger, wie beispielsweise Vancomycin-resistente Enterokokken (VRE) und hypervirulente Klebsiella pneumoniae, gilt. Zukünftig sollen weitere relevante Infektionserreger mit Hilfe der Abwassersurveillance untersucht werden.

Das Abwassermonitoring bietet erhebliche Vorteile gegenüber den traditionellen Meldedaten. Während diese in der Regel stark von der Testbereitschaft der Bevölkerung und den demografischen Merkmalen der Probanden abhängen, erfasst das Abwassermonitoring unabhängig von individuellen Faktoren alle potenziell infizierten Personen, auch wenn diese asymptomatisch sind. Dadurch wird diese Form der Surveillance zu einem effektiven Instrument, um allgemeine Infektionstrends in der Bevölkerung zu erkennen und abzubilden. In Phasen, in denen herkömmliche Überwachungssysteme aufgrund unzureichender Testdaten keine verlässlichen Informationen liefern können, erweist sich das System als besonders wertvoll. So stellt das Abwassermonitoring seit dem Wegfall der Testpflicht für SARS-CoV-2 im Frühjahr 2023 als einziges Surveillancetool weiterhin flächendeckende Daten zum Infektionsstatus der Bevölkerung bereit.

Die Analyse der Influenzawelle 2023/2024 hat bereits gezeigt, dass die Peaks der Influenza-A- und Influenza-B-Wellen durch die Daten, die vom Abwassermonitoring generiert werden, tendenziell früher erkannt werden können als durch die Meldedaten. Dieser Unterschied lässt sich vermutlich darauf zurückzuführen, dass jüngere Bevölkerungsgruppen, die häufig eine Schlüsselrolle bei der frühen Verbreitung von respiratorischen Viren spielen, in den klassischen Surveillancesystemen oft unterrepräsentiert sind. Demgegenüber ermöglicht das Abwassermonitoring eine Erfassung aller Altersgruppen, wodurch ein umfassenderes Bild der Infektionsdynamik gewonnen werden kann.

Das zukünftige Potenzial des Abwassermonitorings liegt in der Erkennung von Infektionskrankheiten, die durch herkömmliche Meldesysteme nicht abgedeckt werden, wie seltene oder neu auftretende Erreger. Dies könnte ermöglichen, Krankheiten frühzeitig zu erkennen, für die bisher keine systematische Überwachung existiert. Zudem bietet es die Möglichkeit, Umweltfaktoren oder chemische Rückstände von beispielsweise Medikamenten oder Schadstoffen zu erfassen, die Einfluss auf die öffentliche Gesundheit haben können. Durch die standortbezogene Probenentnahme können geografische Hotspots von Infektionen identifiziert werden, was gezielte, lokale Maßnahmen ermöglicht. Langfristig könnte das System sogar genutzt werden, um Biomarker für chronische oder nicht übertragbare Krankheiten wie Diabetes oder Stoffwechselerkrankungen zu überwachen und so umfassendere gesundheitliche Trends in der Bevölkerung zu erkennen.

Durch die frühzeitige und demographisch unabhängige Erkennung und Erfassung von Infektionstrends stellt das Abwassermonitoring eine wertvolle Ergänzung zu den bestehenden Surveillancesystemen dar. Dies bietet dem ÖGD die Möglichkeit gegebenenfalls entsprechende Maßnahmen zur Eindämmung einer Krankheit zu ergreifen.



Publication History

Article published online:
11 March 2025

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