Rehabilitation (Stuttg) 2018; 57(03): 165-174
DOI: 10.1055/s-0044-101819
Originalarbeit
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Verlaufskarrieren und biografische Konstellationen beruflicher Rehabilitanden und deren Einflüsse auf Rückkehr und nachhaltigen Verbleib in Arbeit

Trajectories and Biographical Constellations in a Long-Term Study on Vocational Retraining and their Effects on Return to Work and Sustainable Stay at Work
Sebastian Klaus
1   Abteilung Rehabilitationssoziologie, Institut für Rehabilitationswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin
,
Alexander Meschnig
1   Abteilung Rehabilitationssoziologie, Institut für Rehabilitationswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin
,
Ernst von Kardorff
1   Abteilung Rehabilitationssoziologie, Institut für Rehabilitationswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin
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Publication Date:
20 June 2018 (online)

Zusammenfassung

Ziele der Studie Mit dem Blick auf biografische (Risiko-)Konstellationen für Ge- und Misslingensbedingungen – und damit auf die Wirksamkeit und Nachhaltigkeit von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben – begleitet die Studie mit qualitativ-hermeneutischen Verfahren berufliche Rehabilitandinnen und Rehabilitanden über einen Zeitraum von etwa 2 Jahren nach der Umschulung auf dem Weg zurück ins Beschäftigungssystem.

Methode Die Studie folgt einem Mixed-Method-Design. Neben einer Fragebogenerhebung von insgesamt 214 Teilnehmern und 19 Interviews mit Experten aus Wissenschaft und Praxis bilden 30 episodisch-narrative Interviews mit teilnehmenden Rehabilitanden den Schwerpunkt des Forschungsdesigns.

Ergebnisse Insgesamt gelingt etwa 80% der Maßnahmenteilnehmer unseres Samples nach 18 Monaten der Übergang in Erwerbsarbeit. Entscheidende Hemmnisse für das Gelingen zeigen sich in charakteristischen Risikokonstellationen, die durch Umschulungsberufswahl, Umgang mit der Krankheit, Schonraumbedarf, Lebenslauforientierung, Zielorientierung, Akzeptanz einer Übergangsphase mit geringerer Entlohnung, regionaler berufsspezifischer Arbeitsmarkt sowie soziale Einbindung und Unterstützung gekennzeichnet sind.

Schlussfolgerungen Mithilfe qualitativ-hermeneutischer Verfahren wird es möglich über Diagnose(-zuschreibung) und andere aus der Theorie bekannte Aspekte hinausgehend, neue, für die Rehabilitanden wichtige Wirkfaktoren zum Return to Work zu generieren. Diese verweisen auf deren Einbettung in Prozesse, Kontexte, Zusammenhänge und Wechselwirkungen zwischen Biografie und Kontextfaktoren. Aus den Ergebnissen lassen sich konkrete Unterstützungsbedarfe und Handlungsansätze für kritische Risikokonstellationen entwickeln.

Abstract

Objektives Using qualitative-hermeneutical methods with a focus on biographical (risk-) constellations for conditions of success or failure of return to work – and therefore on the efficiency and sustainability of employment participation benefits – the study accompanies participants during a time span of 2 years after their vocational retraining on their way back into the first labor market.

Methods The study applies a mixed method design which combines 30 episodical-narrative interviews of participating rehabilitants alongside with a questionnaire survey of a total of 214 participants and 19 interviews of scientists and vocational retraining experts.

Results Overall approximately 80% of the participants of our sample successfully return to work within a period of 18 months. Significant barriers can be illustrated by characteristic risk constellations, which correspond to the following dimensions: occupational choice, coping with illness, the need for protective area beyond the rehabilitation scheme, lack of (typical) life course orientation, lack of acceptance of a transitional phase with lower salary, regional occupation-specific labor market as well as social inclusion and support.

Conclusion Qualitative-hermeneutical methods generate – apart from diagnostic attributions and theoretical hypotheses – new factors effective for return to work with importance for rehabilitants; these factors refer to their embeddedness in processes, interrelations and interactions between biography, context factors, and administrative routines. The results identify specific needs for post-rehabilitation services supporting persons with risk constellations.

 
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