Der Klinikarzt 2018; 47(01/02): 10-11
DOI: 10.1055/s-0044-101387
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Sind Sie Patient Blood Manager oder transfundieren Sie noch?

Patrick Meybohm
,
Kai Zacharowski
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
14. Februar 2018 (online)

Heutzutage ist die Transfusion von Blutkonserven Standard und in deutschen Kliniken eine der häufigsten Behandlungsmaßnahmen – und eine oftmals lebensrettende dazu. Daran besteht kein Zweifel. Der lebensstiftende Ruf des besonderen Saftes hat jedoch auch dazu geführt, dass Blutprodukte bei nahezu jeder größeren OP routinemäßig bereitgestellt werden, ohne die Notwendigkeit zu hinterfragen oder die Patienten besser auf die OP vorzubereiten.

Vielmehr liegt bei etwa jedem dritten Patienten bereits präoperativ eine Anämie als unabhängiger Risikofaktor für Bluttransfusionen, Komplikationen und postoperative Sterblichkeit vor. Demzufolge rücken die Anämiediagnostik und -therapie (wenn medizinisch umsetzbar) als wesentliche Bausteine eines sogenannten Patient Blood Management (PBM) zunehmend in den Fokus [1]. Da bei vielen Patienten der präoperativen Anämie ein behandelbarer Eisenmangel zugrunde liegt, ist grundsätzlich die frühzeitige Identifizierung, idealerweise 2–4 Wochen vor der Operation, anämischer Patienten und/oder Patienten mit Eisenmangel entscheidend. Aber auch bei einem kürzeren Zeitintervall bis zur Operation sollte eine Anämie präoperativ diagnostiziert und behandelt werden, um postoperativ, wenn notwendig, einen rascheren Hämoglobinanstieg zu ermöglichen. In Deutschland fehlt es bislang (noch) an nationalen Vorgaben. In anderen Ländern hingegen wurde die Therapie einer präoperativen Eisenmangelanämie inzwischen mit nationaler Priorität zur Pflicht erklärt, beispielsweise in Australien durch den Standard 7 des Australian Commission on Safety and Quality in Health Care (ACSQHC) [2] und in Großbritannien mit der Qualitätsstandard-Richtlinie des National Institute for Health Care Excellence (NICE) [3]. Sogar die WHO empfiehlt seit 2010 offiziell allen Mitgliedstaaten die Vorbereitung vor einer Operation und die Implementierung von PBM [4]. Dieses PBM-Konzept stellt den Patienten in den Mittelpunkt der Behandlung, nicht Blutprodukte und ihre Verwendung. Neben dem bereits erwähnten Management einer präoperativen Anämie fokussiert PBM ebenso auf die Prävention und/oder Optimierung einer Koagulopathie, den Einsatz umfassender interdisziplinärer Maßnahmen zur Vermeidung und/oder Reduktion unnötiger Blutverluste und eine patientenzentrierte Entscheidungsfindung zum optimalen Einsatz allogener Blutprodukte. Vor allem die Prävention und Minimierung von unnötigen Blutverlusten ist essenziell, um der im Krankenhaus erworbenen Anämie (KEA) entgegenzuwirken. Dieses gelingt beispielsweise durch Reduktion der Anzahl der Blutentnahmen auf das notwendige Minimum, Verwendung von Blutentnahmeröhrchen mit dem kleinsten für die Analyse ausreichenden Volumen (z. B. Nutzung kleinerer Monovettengrößen bzw. geringere Füllung der Monovetten), Vermeiden des „Verwerfens“ verdünnter Blutreste in Entnahmespritzen durch geschlossene Blutentnahme-Systeme, Rückführen von autologem Blut durch maschinelle Autotransfusion u. v. a [5].

Mithilfe von PBM können die Eigenblutressourcen massiv geschont und aufgebaut werden, allogene Bluttransfusionen werden dadurch öfters überflüssig. Dass das PBM-Konzept für die Patienten sicher ist und zu einem deutlich geringeren Einsatz von Blutkonserven führt, konnte auch durch ein wissenschaftlich begleitetes Pilotprojekt auf Basis von knapp 130 000 stationären Patientendaten zuletzt nachgewiesen werden [6]. Das Deutsche PBM Netzwerk, dem mittlerweile mehr als 100 Kliniken angehören, wurde zuletzt mit dem Humanitarian Award des Patient Safety Movements 2016 sowie vom Aktionsbündnis Patientensicherheit mit dem Preis für Patientensicherheit 2016 ausgezeichnet.

Da viele deutsche Krankenhäuser PBM im klinischen Alltag noch gar nicht oder unzureichend umsetzen, fordern seit Herbst 2017 die Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI) und die Deutsche Gesellschaft für Chirurgie (DGCH) gemeinsam, dass 1.) alle an der Behandlung Beteiligten wesentliche Aspekte von Patient Blood Management unter Berücksichtigung lokaler Bedingungen umsetzen und 2.) gleichzeitig die strukturellen, administrativen und budgetären Rahmenbedingungen im Gesundheitswesen geschaffen werden sollten [7], [8].

Liebe Leserinnen und Leser, in der aktuellen Ausgabe des klinikarzt werden die wichtigsten Studien aus den vergangenen Jahren zum Thema PBM für Sie aufbereitet vorgestellt.

Wir wünschen Ihnen viel Spaß bei der Lektüre.

Ihre

Prof. Dr. Patrick Meybohm & Prof. Dr. Dr. Kai Zacharowski, ML FRCA
Universitätsklinikum Frankfurt,
Klinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin und Schmerztherapie,
Theodor-Stern-Kai 7,
60590 Frankfurt am Main